Musik_Marsen Jules - Herbstlaub

Die Farbe des Herbstes

Das Label CCO liegt mit seinen Veröffentlichungen meist genau am Puls der Zeit. Dieses wunderschöne Album bietet zeitgemäße Ambience gepaart mit Anleihen klassischer Programm-Musik.    24.02.2005

Wenn die Nächte länger werden und die Tage kürzer, die Blätter golden leuchten, dann hat der Sommer ausgedient. Martin Juhls aka Marsen Jules verwebt Streicher, Synth-Flächen und found sounds zu äußerst komplexen, flächigen Atmosphären, die in ihrer Intensität variieren - gleich einer Herbstbrise, die durch Birkenhaine streicht. Ansonsten ist für Klischees in Jules’ hermetischer Welt kein Platz.

Minimal-musikalische Poesie kommt einer Beschreibung seiner Experimente schon eher nahe. Jules verzichtet völlig auf Beats oder wellenartige Klangbögen, was bleibt sind ruhige, fließende Soundcollagen wie kühle Luft, die durch das Fenster dringt.

Der einzige Vorwurf, der mit Bestimmtheit zulässig ist, betrifft die gelegentlich sterile Transparenz in Jules’ Kompositionen. Keine Spur von improvisatorischen Ambitionen, nichts passiert zufällig. Jeder einzelne Ton, jede Phrase wirkt wie auf dem Reißbrett gezeichnet. Digitale Workstations, gesampelte Streicher, kurzum computergenerierte Musik neigt stets dazu leblos zu wirken, das liegt in der Anti-Natur der Technik.

Nichtsdestotrotz ist "Herbstlaub" eines der schönsten Alben, das je auf CCO erschienen ist, man kann zu Jules’ Klanggemälden meditieren, Novalis lesen oder Atemübungen betreiben, als pure "listening music" sind sie weniger geeignet, es liegt nicht ausreichend Spannung im Aufbau der einzelnen Stücke. Das tut der Schönheit, die in "Herbstlaub" schlummert, aber keinen Abbruch. Und der nächste Herbst kommt auch bestimmt.

Ernst Meyer

Marsen Jules - Herbstlaub

ØØØ


City Centre Offices/Soul Seduction (D 2004)

 

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Kommentare_

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