Musik_The Tuss - Rushup Edge

Im Universum des Aphex

Das Debütalbum dieses Projekts ist das stärkste Lebenszeichen englischer Elektronik seit Jahren - unabhängig davon, wer nun wirklich genau dahintersteht.    05.09.2007

The Tuss ist ein neues, auf dem britischen Kultlabel Rephlex erscheinendes Musikprojekt. Man muß kein Insider sein, um zu wissen, daß sich besagtes Label im Besitz von Richard "Tricky Dick" James befindet. Weiters ist hinlänglich bekannt, daß sich der neben Aphex Twin gerne auch andere Pseudonyme verpaßt. Dazu zählten in der Vergangenheit Polygon Window, The Dice Man oder Caustic Window.

Es steht also durchaus zu befürchten, daß es die vermeintlichen Drahtzieher hinter The Tuss - Brian und Karen Tregaskin - gar nicht gibt. Ob hinter den Tracks von "Rushup Edge" aber nun wirklich Richard D. James und Squarepusher oder doch zwei unbekannte Belgier stecken, ist angesichts der Musik dieses phantastischen Minialbums eigentlich bedeutungslos.

Wenn der Aphex Twin das Album schon nicht selbst geschrieben hat, so hat er es zumindest produziert. Allerdings liegt der Verdacht nahe, das er ein cleveres Versteckspiel treibt. Man weiß ja, wie gerne er anderen Menschen sein Gesicht überstülpt (in Videos, auf Platten-Covern etc). Und so entstand im Laufe der Jahre eine Art ungeschriebenes Gesetz: "Wenn Aphex produziert, klingt es auch wie Aphex." Dies ist ein Vorwurf, den sich auch schon früher real existierende Musiker wie Astrobotnia oder The Global Goon gefallen lassen mußten.

Oder andersrum: Wenn es sich bei The Tuss um James selbst handelt, ist die vorliegende CD das beste, was er seit "Drukqs" eingespielt hat. Ist er es nicht, so handelt es sich trotzdem um die logische Fortführung seiner elfteiligen "Analord"-Serie - ausgestattet mit deutlich mehr Electro statt Acid. Klangen die "Analord"-Tracks mehrheitlich retro und auf den Dancefloor beschränkt, finden sich auf "Rushup Edge" stilistisch offenere Stücke. Der Soundpool, aus dem die sechs Tracks entstanden sind, klingt ebenfalls verdammt nach Aphex. Hat er jemand anderem seine Sample-Datenbanken geliehen? Und alle seine heißgeliebten Analog-Synths? Kaum vorstellbar.

 

Zur Musik: Der Opener "Synthacon 9" besitzt alles, was ein fulminanter Electro-Track braucht: scharfe Hi-Hats, einen fetten Sägezahnbaß - und nach fast jedem zweiten Takt wird ein neues Element eingeführt. Die Patterns variieren ständig. Typisch für Aphex Twin ist auch die Art, wie die Beserln, Snares und Hi-Hats ineinander geshufflet werden. Na gut, vielleicht hat er ja doch auch noch beim Programmieren geholfen.

"Last Rushup 10" kombiniert auf äußerst clevere Weise Drum´n´Bass mit pulsierenden Acid-Bässen - garniert mit ein paar pentatonischen Melodien aus der guten alten Ambient-Zeit. Dann, nach etwa vier Minuten, bleibt der Track kurz stehen und eine arabische Melodie übernimmt den Vorsitz. Irre! Ab jetzt läuft alles anders. Kein schlechter Trick. Auch hier stecken mehrere Songs in einem. "Shiz Ko E" beginnt mit einem harschen Industrial-Intro, um dann schlagartig in einen der besten "funny" Songs überzuschwenken, der seinerzeit auf "Mike and Ritch: Expert Knob Twiddlers" nicht enthalten war.

"Death Fuck" ist das schrägste Stück dieses an denkwürdigen Sounds nicht gerade armen Sixtrackers. Zuerst stampft eine "Windowlicker"-Bassdrum langsam dahin, die an "Bucephalus Bouncing Ball" gemahnt, bis völlig durchgedrehte Snares und verquere Acid-Bässe jeglicher Harmonie den Garaus machen. Ein gurgelndes Wasserklavier bringt anschließend wieder ein bißchen Licht in die Angelegenheit. "Goodbye Rute" ist ein sanft ausklingendes Finale, das uns ziemlich einsam und überirdisch gestimmt zurückläßt. So wie sich das kalte Universum eben anfühlt, egal ob es das von Mr. James ist oder nicht.

Am besten hört man sich das Minialbum übrigens auf Triple-12" an, die Tracks bekommen durch die verschwenderische Großzügigkeit (ein Song pro Seite, und das bei diesen Ölpreisen!) einfach mehr Luft zum Atmen. Empfehlung!

Ernst Meyer

The Tuss - Rushup Edge

ØØØØ


Rephlex (GB 2007)

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