Print_Datum - Seiten der Zeit

Gegen den Strich

Allen gängigen Prognosen zum Trotz spucken einige überdurchschnittlich ambitionierte Blattmacher in die Hände und präsentieren das Monatsheft "Datum"...    09.03.2004

Fast wäre es zu spät gewesen. Fast hätte der Mahlstrom des Kommerzjournalismus, der zu lange schon die Gehirne der Leser mit repetitiven Inhalten wundscheuert, alles mitgerissen und verschlungen. Doch die neue Zeitschrift "Datum" beantwortet nachhaltig den immer lauter werdenden Ruf nach "Neuem Qualitätsjournalismus". Und wir lernen wieder einmal: Es ist NIE zu spät.

"Datum" liegt jetzt auf. Irgendwie sieht es anders aus, springt einen zwar nicht gerade an, ist dafür aber unaufdringlich und kühn skizziert. Das haptische Schlüsselerlebnis ist atemberaubend: Das Blatt ist so weich wie fest und dabei auch noch geschmeidig - und schon rutschen wir in eine Klopapierreklame.

Aber Ernst beiseite...

Nicht nur der optische Anspruch ist gehoben, sondern auch die Textbeiträge heben sich wohltuhend essayistisch vom gängigen Anlaßjournalismus ab. Über Layout- oder Korrekturfehler diskutieren wir dann bitte frühestens in einem halbem Jahr; schließlich halten wir eine Nullnummer in Händen. Sechs Monate wird es wahrscheinlich ohnehin dauern, bis sich die dem qualitativ hochwertigen Journalismus fast völlig entwöhnten Leser an die zugemuteten Textmengen gewöhnt haben werden.

Beim kurzen Reinlesen fällt gleich auf, daß die Offenheit des Editorials richtig entwaffnend ist. Die Herausgeber nennen selbstbewußt die Vorbilder, deren Konzepte sie inspirierten: das deutsche "Brand Eins", die Schweizer "Weltwoche" und das Magazin der "Süddeutschen" - eine interessante Melange. Die Blattlinie "Wir wissen, wie wir aussehen, und wir wissen, was wir schreiben" läßt Hoffnung keimen.

Vielleicht haben wir es hier mit einer ehrlichen Illustrierten zu tun, falls so etwas heutzutage überhaupt noch jemanden interessiert. Doch hier, im postkapitalistischen Dschungel, ist es um die Intelligenz bekanntlich schlecht bestellt. "Datum" erscheint daher wie ein anachronistischer Luxus - wenn auch einer, der bezahlbar ist. Der Preis von 4,50 Euro ist angemessen.

Zu hell strahlen noch die Irrlichter der Coaching-Blender, Gurus, NLP-Adepten, EU-Spieler und ewiggestrigen Wiederkäuer. Doch "Datum" tickt. Immer schneller, wie ein alter Geigerzähler, den man Richtung Tschernobyl dreht. Danke für dieses Zeichen! Endlich erheben sich ein paar Jungjournalisten vom Futtertrog und zeigen, wie sie - die nächste Generation - diese Welt sehen. Sie ist braun, schlammig braun, wie das Logo.

Ja, selbst die Anordnung der Stories, sprich Rhythmus (oder Duktus), geht unorthodoxe Wege. Schluß mit dem "x Bücher in einer Zeitschrift"- Konzept - gebt uns Raum zum Atmen und viele weiße Seiten. So können die Gedanken fliegen, und über dem Kommerz-Smog leuchtet der Himmel.

Ernst Meyer

Datum - Seiten der Zeit

ØØØØ

Verein zur Förderung des Qualitätsjournalismus in Österreich (Wien 2004; Monatszeitschrift)


"...die Weltwoche optimiert" (Constantin Peyfuss, freier Art Director, Wien)

"...ein nobles Understatement" (Ingrid Polivka, Art Directrice, "Schaufenster", Die Presse, Wien)

"...wohltuend langsam und unaufgeregt" (Thomas Weber, Chefredakteur, "the gap", Wien)

 

Bisher ist nur die Nullnummer über den Handverkauf erhältlich. Die erste reguläre Ausgabe erscheint Ende Mai. Bis dahin bietet die Homepage der Zeitschrift einen netten ersten Überblick, was da auf uns zukommt.

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