Print_Evan Wright - Generation Kill

Trauma in Sicht

In seinem Tatsachenbericht beschreibt der "Rolling Stone"-Autor den Irak-Krieg aus der Sicht eines "eingebetteten Journalisten", der gen Bagdad marschiert.    10.11.2005

"Es war einmal ein Dorf im Irak." Vermutlich wird es irgendwann einen Film mit einem ähnlichen Titel über irgendein Wüstenkaff geben. Und weil Hollywood es tragisch braucht, wird die Geschichte mit dem Bild eines amerikanischen Panzers zu Ende sein, wenn das Dorf innerhalb weniger Minuten in Rauch und Flammen aufgeht. Denn der Einmarsch der US-Truppen im Irak artete bisweilen in ein blindes Gemetzel aus, dem unzählige Zivilisten zum Opfer fielen - nach Vietnam endlich neues Futter für die amerikanische Traumatisiermaschine.

Die ins Kriegsgeschehen eingebetteten Journalisten erlebten das Geschehen so hautnah mit, daß einige von ihnen nicht mehr zurückkehrten. Trotzdem zeigten sie die Wahrheit nur selektiv. Aus ihrer Perspektive konnten sie das größere Bild nicht sehen und oft genug auch nicht die Filter, die ihre Bilder zu Hause durchliefen, bevor sie gesendet wurden.

Es wird also vermutlich nicht mehr lange dauern, bis sich die US-Filmmaschine dem Thema widmet, und dann wäre Evan Wrights Bericht "Generation Kill" vermutlich eines der zur Verfilmung geeignetsten Bücher über "das neue Gesicht des amerikanischen Krieges". Der amerikanische Journalist gehörte für zwei Monate als "embedded journalist" zu einer Einheit des 1. Aufklärungsbataillons, das an vorderster Front operierte. Nach seiner Rückkehr ist aus den vielen Berichten, Notizen und Interviews ein Buch geworden, das sich so spannend liest wie ein Roman - wobei die Ereignisse allerdings wirklich passiert sind. Der beklemmende Film, für den Evans minutiös und präzise das Drehbuch liefert, beginnt im eigenen Kopf zu laufen, und er zeigt keine aufrechte Streitmacht, die an die Befreiung des Irak glaubt, sondern in den Krieg geschickte Soldaten, die "mehr oder weniger Amerikas erste Generation von Wegwerfkindern" verkörpern, schreibt Wright. "Über die Hälfte der Jungs im Zug kommt aus zerbrochenen Elternhäusern, wurde von häufig abwesenden, alleinstehenden, arbeitenden Müttern erzogen. Vielen sind Videospiele, Reality-Shows und Internetpornographie vertrauter als ihre eigenen Eltern. Bevor der Krieg gegen den Terrorismus begann, erhoffte man sich kaum mehr von dieser Generation, als durch die Highschool zu pubertieren, ohne allzu viele weitere Schüleramokläufe wie den von Columbine anzuzetteln."

Wright hält sich von Stereotypen fern. Obwohl das Buchcover, das einen gesichtslosen Soldaten zeigt, anderes suggerieren möchte, haben Wrights Protagonisten eine Identität. "Viele Amerikaner glauben, daß der Krieg mit den hochmodernen Waffen sauber und ohne viele Tote gewonnen werden kann", sagte Wright in einem Interview im 3sat-Programm "kulturzeit": "Ich aber habe erlebt, daß wir zwar eine tolle Technik haben, doch die geht nur bis zu einem bestimmten Punkt. Irgendwann landet man immer bei ein paar jungen Männern oder Frauen der Bodentruppen, in totalem Chaos, die entsetzliche moralische Entscheidungen treffen müssen, die unabsichtlich Zivilisten erschießen oder ihre eigenen Kameraden, weil keiner weiß, was um die nächste Ecke los ist. Das ist es, was ich über den Krieg erfahren habe." Der "Rolling Stone"-Journalist versucht gar nicht erst moralisierend daherzukommen und läßt auch die politische Motivation für den Krieg weitgehend außer acht; dafür schildert er mit authentischer Überzeugungskraft eine Welt, wie wir sie sonst nur aus dem Kino kennen.

"Wir wirken im Buch vielleicht wie Durchgeknallte und Verrückte. Aber wir haben einen Ehrenkodex, für den wir sterben", sagte Sergeant Tony Espera in der schon erwähnten "kulturzeit"-Sendung. Espera wurde wegen Wrights Reportage degradiert. Die Wahrheit, so Espera weiter, sei ein Teil dieses Ehrenkodex. "Evan Wright hat die Wahrheit geschrieben. Hätte er gelogen, dann hätten wir uns beschwert. Aber er hat nicht gelogen."

Chris Haderer

Evan Wright - Generation Kill. Das neue Gesicht des amerikanischen Krieges

ØØØ

(Generation Kill. Devil Dogs, Iceman, Captain America and the New Face of American War)


Zweitausendeins (Frankfurt a. Main 2005)

 

Links:

CROPfm Big Brother News #54


Buchvorstellung von "Generation Kill" [CROPfm/Radio Helsinki, 28. 10. 2005].

Links:

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