William Gibson, eine der wichtigsten Stimmen der neueren Science Fiction, spricht über seine Werke, die Zukunft des Buches, die Gegenwart der multikulturellen Gesellschaft, das Verschwinden der Boheme, weltweites Marketing und seine Vergangenheit im Süden Amerikas. Stefan Becht und Markus Friedrich interviewten die Cyberpunk-Legende für den EVOLVER.

Es ist nicht leicht, einem Gott zu begegnen - besonders dann, wenn es einer ist, der in Kanada wohnt, lieber Bücher schreibt als darüber zu sprechen, und mit seinen Werken ein ganzes Literaturgenre (die Science Fiction) entscheidend verändert hat. Also schickten wir zuerst einmal E-Mails, telefonierten, flogen ein paar tausend Kilometer, bezogen unser Hotelzimmer und verdauten unseren Jetlag. Doch dann kam, wie so oft im Leben, alles ganz anders.

"Rauchen ist bei einer Strafe von mindestens 2000 Cand. $ untersagt", kann man in Vancouver am Schaufenster jedes Lokals lesen. Im Hotel ist es natürlich sowieso verboten. Noch nicht mal an der Bar - der letzten Bastion des blauen Qualms, der selbst in Amerika redlich die Treue gehalten wird - dürfen wir eine schnelle Zigarette durchziehen. Also gehen wir, bevor wir den "Großvater des Cyberpunk" treffen, noch einmal schnell hinaus vor die Hotelhalle. Auf der anderen Seite der Straße steht ein großer, hagerer Mann, in eine schlichte schwarze Jacke gehüllt, der durch seine Brille den Hoteleingang fixiert und beinahe heimlich an seiner Zigarette zieht. "Das ist er!" dämmert es uns und wir winken William Gibson über die Straße hinweg zu. Wie gesagt: Es ist nicht leicht, einem Gott zu begegnen - doch wenn man ein Laster mit ihm teilt, wird alles einfacher.


EVOLVER: Wir haben Ihnen die deutsche Ausgabe Ihres neuen Buchs mitgebracht. In Deutschland trägt "All Tomorrow´s Parties" den Titel "Futurematic".
William Gibson: Ah, sehr schön, danke. Deutschland ist das einzige Land, in dem das Buch ein Lesebändchen hat. Ich mag das sehr.

EVOLVER: Wissen Sie, wieviele Übersetzungen es von "All Tomorrow´s Parties" schon gibt?
Gibson: Die Übersetzungen, von denen ich bis jetzt sicher weiß, sind französisch, italienisch und japanisch. Und danach - was auch immer... Eigentlich bin ich sowieso immer wieder überrascht, in wievielen Sprachen meine Bücher erscheinen. Aber es dauert immer ein paar Jahre, z. B. zwei, drei Jahre für die ungarische Fassung.

EVOLVER: Aber mit einer japanischen Ausgabe ist wahrscheinlich relativ schnell zu rechnen, da sich ja sehr viele Elemente der japanischen, chinesischen, asiatischen Kultur in ihren Büchern finden?
Gibson: Japan war fast von Anfang an mein drittaktivster Markt, nach den USA und England. Die Japaner mochten meine Geschichten von Anfang an. Das begann mit den sehr populären Science-Fiction-Taschenbüchern, und nun erscheinen meine Bücher auch in teuren Hardcover-Versionen. Ich bin mir nicht sicher, wer sie liest. Ich war nicht mehr in Japan, seitdem ihre aufgeblähte Wirtschaftblase geplatzt ist. Sie konnten es sich nicht mehr leisten, mich einzuladen, und so hatte ich keine Gelegenheit mehr, die wunderbare Erfahrung weiterzuführen und herauszukriegen, wie die Leser dort mit meinen Geschichten umgehen und was sie für sie bedeuten. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es eigentlich ist, Japaner in Japan zu sein und dann eines meiner Bücher zu lesen.

EVOLVER: Aber dadurch, daß in Ihren Geschichten so viele unterschiedliche kulturelle Elemente zum Zug kommen, besonders auch asiatische, geben Sie diesen Kulturen doch eine hervorragende Identifikationsmöglichkeit, sich in Ihren Büchern wiederzufinden?
Gibson: Na ja, dieser asiatische Einfluß rührt daher, glaube ich, hier in Vancouver zu leben. Ein großer Teil der Geschäfte dieser Stadt wird mit der anderen Pazifikseite betrieben, viel eher als mit dem Rest von Kanada oder Nordamerika. Ich glaube, während der zehn Jahre, bevor Hongkong an China zurückgegeben wurde, sind über vier Milliarden US-Dollar an Kapital von dort hierher in Sicherheit gebracht worden.

EVOLVER: Hat das die Stadt seit den 80er Jahren nicht auch ziemlich verändert?
Gibson: Vancouver veränderte sich geradezu drastisch - und tut es immer noch. In gewissem Sinne sitzen wir hier in diesem Hotel auch auf Hongkong-Geld, denn damit ist es wahrscheinlich gebaut worden. Das hat auch die Wahrnehmung von dem, was "Emigration" eigentlich bedeutet, total verändert, im Vergleich zu anderen Teilen Nordamerikas. Weil die Emigranten, die hierher kamen, Kapital mitbrachten und dadurch für die Stadt sehr lukrativ waren.

EVOLVER: Wissen Sie, wieviel Menschen aus Hongkong hier in Vancouver leben?
Gibson: Nein, nicht genau. Ich wohne am Rand von Vancouvers Gegenstück zu L.A.´s Beverly Hills. Vor 20 Jahren war das eine Gegend, in der wohlhabende, weiße Kanadier lebten. Jetzt ist die Mehrheit chinesisch, weil es in diesem im traditionell englischen Stil erbauten Viertel die besten Immobilien gab. 75 Prozent meiner Nachbarn sind heute chinesischer Abstammung.

EVOLVER: Aber da gibt es doch sehr viel mehr in Ihren Geschichten, von diesem asiatischen Spirit, wie zum Beispiel...
Gibson: ... der taoistische Killer?

EVOLVER: Nein, nicht der aus "Futurematic". Eher wie die jungen Leute in "Idoru", die die Fan-Website des Musikers Rez betreiben, oder den Jungen aus der Netz-Gemeinschaft der "Ummauerten Stadt" mit seinem Würfel-Computer. Sie alle, diese jungen Menschen, sind auf ihre Art Trendsetter, Teil einer neuen Kultur, die erst noch im Entstehen ist. Haben Sie eigentlich Freunde in Singapur oder Hongkong, die Ihnen Einblick in die lokale Szene geben?
Gibson: Neeeein. Ich hab´s vom Zugucken...



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