Fortsetzung...

EVOLVER: Wir haben gehört, daß Sie ein sehr konzentrierter, fleißiger Schreiber sein sollen. Jeden Morgen ziehen Sie sich an Ihren Schreibtisch zurück und schreiben kontinuierlich zwei oder drei Stunden, jeden Tag...
Gibson: Ja, aber nur wenn ich arbeite! (allgemeines Gelächter)

EVOLVER: Ach, nur wenn Sie arbeiten?
Gibson: Ja. Wenn ich nicht arbeite, hab´ ich nicht das Gefühl, ein fleißiger Autor zu sein. Wenn ich mich an den traditionellen Standards für Science-Fiction-Autoren in den USA orientierte, müßte ich sagen: Ich bin geradezu unproduktiv!

EVOLVER: Im Ernst?
Gibson: Wirklich. Schauen Sie, die ersten SF-Autoren, die ich traf, als ich mit Science Fiction begann, schrieben zwei bis drei Bücher pro Jahr! Das mußten die! Das war eine Frage des Überlebens. Und meine Selbsteinschätzung geht eher in die Richtung, daß ich ein bißchen faul und sehr, sehr langsam bin. Das Gute in meiner Position ist der Luxus, ein Jahr Zeit zu haben, um ein Buch zu schreiben. Für mich ist es schwierig, es in kürzerer Zeit hinzukriegen. Aber immer, wenn ich mit einem Buch beginne und dann nicht konsequent fünf Tage die Woche von morgens um neun Uhr bis nachmittags um fünf schreiben würde, hätte ich das Gefühl, niemals zu Ende zu kommen. Und es wird nicht einfacher!

EVOLVER: In der Zeitschrift "Wired" war ein Foto von Ihnen abgebildet, auf dem man im Hintergrund eine Flipchart mit ziemlich vielen Zetteln darauf erkennen konnte. Entwerfen Sie Ihre Geschichten und die Handlungsstränge zuerst an der Tafel einer Flipchart?
Gibson: Hmmm, ich bin jetzt nicht ganz sicher, was Sie meinen. Normalerweise hängt da alles rum, was so reinkommt. Ich bin nicht so gut im Notieren von Einfällen, deshalb kleb´ ich mir Bildchen an die Wand, dann kann ich sie sehen. Ich habe einen Freund, der ist Filmregisseur, und er sagt zu dieser Pinnwand "Mood-Board". Wenn er ein neues Video dreht, dann beginnt er ebenfalls mit einem solchen "Mood-Board". Er fängt irgendwo an der Wand an, Bilder aufzukleben. Anfangs versteht er den Kontext noch nicht, aber er fügt weiter Bilder hinzu, um die Stimmung wachsen zu lassen. So entsteht der Look seiner Videos. Das ist so ähnlich, wie ich es auch mache; wobei ich das eher in meinem Kopf tue als an der Wand. Zu Beginn ist es kein rationaler, nicht einmal ein verbaler Prozeß.

EVOLVER: Von "Idoru" wurden drei Kapitel, die nicht im Buch sind, auf einer eigenen Website publiziert. Warum findet sich nun fast gar nichts über "All Tomorrow´s Parties" im Web?
Gibson: War das bei der deutschen Ausgabe von "Iduro"? Na ja, das hat wohl etwas mit dem Marketing für das Buch zu tun, von dem ich wenig Ahnung habe. Ich weiß, daß der amerikanische Verleger damals wegen "Idoru" angefragt hat.

EVOLVER: Die "Idoru"-Site war überhaupt sehr schön; eine feine Idee, die drei Kapitel, die das Buch nicht enthielt - mit dem herrlichen Lesestück "Blackwell´s Mum" -, online zu stellen...
Gibson: Jetzt weiß ich, was Sie meinen, klar. Daß es diesmal nichts gibt, hat einfach damit zu tun, daß es keine Reste gab.

EVOLVER: Reste? Bei Ihnen gibt´s Reste?
Gibson: Wenn ich anfange ein Buch zu schreiben, lege ich mir einen Ordner namens "Stuff" auf den Schreibtisch, also den Bildschirm meines Rechners. Und wenn ich dann beim Schreiben oder Lesen merke, diese Sequenz paßt jetzt nicht oder ist nicht so, wie ich sie gerne hätte, schmeiße ich sie in "Stuff", um sie nicht gleich löschen zu müssen. Normalerweise, wenn ich mit einem Buch fertig bin, ist in dem Ordner nicht mehr viel drin. Aber am Ende von "Idoru" fanden sich da plötzlich noch diese drei Stücke drin. Ich erklärte mich damit einverstanden, sie im Web zu publizieren.

EVOLVER: Und bei "All Tomorrow´s Parties" ist...
Gibson: ... einfach nichts übrig geblieben, genau. Ich habe gut gearbeitet! Für die Website zum Buch führte ich in New York ein Interview mit meinem Freund Jack Womack. Ich wollte nach der Fertigstellung des Buches nichts mehr dazu schreiben, das finde ich nicht gut.

EVOLVER: Wie denken Sie über das Copyright im Web? Ist das nicht gerade für einen Autor wie Sie, der in der ganzen Welt publiziert wird und von seinen Tantiemen lebt, äußerst schwierig?
Gibson: Das ist schon kompliziert, aber für mich ist es nicht unmittelbar bedrohlich. Wenn ich Pop-Musiker wäre, müßte ich wirklich darüber nachdenken, wie ich mich den neuen Gegebenheiten anpasse. Das Großartige an erzähltem Text, der in ein Buch gepackt ist, ist doch, daß er viel beweglicher und leichter zugänglich ist als alles, was man aus einem Download produzieren könnte. Wenn ich den ganzen Text ins Web stellte, könnte das jemand herunterladen und einen Ausdruck davon machen. Aber so ein Ausdruck ist schon ziemlich primitiv. Jemand anderes könnte sich den Text herunterladen, sich wirklich die Mühe machen, ihn typographisch zu gestalten und das Buch so herzustellen, wie es jetzt vor uns liegt. So schwierig ist das ja auch nicht. Doch dazu braucht er wieder das Papier, die Farbe und eine Menge Zeit. Das ist doch unsinnig, wenn er das Buch für ein paar Dollar fix und fertig in einem Buchladen kaufen kann. Also, warum sich darüber Sorgen machen?



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