Stories_Rome/Interview

Von der Poesie der Musik

Anläßlich der aktuellen Albumveröffentlichung der Luxemburger fand EVOLVER-Autor Dr. K Gelegenheit, Jerome Reuter - Texter und Songwriter der Band - genauer ins Verhör zu nehmen.    17.08.2009

Rome kommen weder aus Rom noch aus Berlin - das war im Pressetext zu einer mysteriösen Mini-CD mit dem Titel "Berlin" zu lesen, die das damalige Luxemburger Einmannprojekt mit einem Mal bekannt machte. In der Tat basiert der Name, der nicht ganz zufällig an die ewige Stadt gemahnt, auf dem Vornamen des Liedermachers Jerome Reuter. Und so sollte Rome als Musikprojekt auch verstanden werden: als zutiefst persönlicher Einblick in die Reflexionen und Visionen eines Intellektuellen, der eine der sinnlichsten aller Kunstformen auswählte, um direkt den Weg zum Herzen des Hörers zu beschreiten. Waren frühere Veröffentlichungen von Rome noch bewußt kämpferisch und fast apokalyptisch, wandte man sich spätestens auf dem expressionistisch inspirierten Konzeptalbum "Masse Mensch Material" (2008) einer ausgeprägten Introspektion zu. Romes Universum aus Wut und Resignation der frühen Jahre wurde durch eine gepflegte und engagierte Melancholie erweitert.

 

EVOLVER: Wie sieht denn eure Arbeitsteilung aus? Wer ist bei Rome wofür zuständig?

Jerome: Wir sind ein Zweiergespann, bei dem Patrick für die Arrangements und Produktion verantwortlich ist, und ich die Sachen schreibe und konzipiere. Wir arbeiten in zwei Phasen. Da hat jeder abwechselnd die Hosen an. Während der ursprünglichen Entstehungsphase weiß Patrick gar nicht, was ich grad so mache, und wartet geduldig, bis ich ihn dann im Studio quasi überfalle. Und während der Produktionsphase quatsch´ ich ihm auch nicht wirklich rein. Wir arbeiten jetzt schon eine Weile so zusammen, und das hat sich ganz gut eingependelt.

 

EVOLVER: Wie würdest du eure Musik beschreiben?

Jerome: Es sind Songs. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Ein Song an sich ist eine dreiminütige Form der Kleinkunst und kann alle möglichen Formen annehmen, zielt aber letztlich immer darauf ab, Menschen zu berühren. Wir fühlen uns sowohl der Tradition des französischen Chansons verbunden als auch der des Rock´n´Roll. Wir haben da nix Neues erfunden, sondern versuchen lediglich, diese Tradition auf unsere eigene und moderne Art weiterzuführen. Unsere Platten sind Ansammlungen thematisch verbundener Songs - die ihrerseits allerdings auf Eigenständigkeit beharren, da sie sehr wohl isoliert überleben können. Soviel zur Anatomie. Die eigentliche musikalische Stilrichtung zu definieren ist für mich sehr schwierig. Dazu fehlt mir doch etwas die Distanz. Ich denke, es ist charakteristisch für unsere Songs, daß sie nicht die Berührung mit Geschichte, Literatur und Philosophie scheuen. Das ist nicht immer leichte Kost, aber macht mehr Spaß. Und düster wird´s auch auffällig oft, haha.

 

EVOLVER: Eurer Biographie läßt sich entnehmen, daß Rome fast durch Zufall gegründet wurde. Was kannst du uns darüber berichten?

Jerome: Ich habe halt viel in Bands rumgespielt und vom Schlagzeug über Baß und Gitarre bis hin zum Gesang alles durchgenommen. Am Ende waren aber alle Projekte irgendwie fahl und ausgelaugt - und das Konto war leer. Aus Trotz habe ich mein letztes Geld im Studio meines Kumpels Patrick verbraten, um solo mal irgendwas in der Musikrichtung, die mich damals erfüllte, aufzunehmen. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß die Resonanz so groß sein würde. Daß aus diesem Soloprojekt dann relativ schnell ein zweiköpfiges Monster wurde, ist mir heute noch unheimlich. Rome hat sich da selbst genommen, was es braucht. A bisserl Frankenstein.

 

EVOLVER: Euer Band-Name läßt viel Raum für Spekulationen zu. Besteht eine direkte Verbindung zur "Ewigen Stadt" Rom oder hat es doch eher etwas mit deinem Vornamen Jerome zu tun?

Jerome: Eigentlich beides. Wie gesagt, das alles ist etwas zufällig entstanden. Ich habe mir anfänglich nicht allzugroße Gedanken über den Namen gemacht. Einen guten Projektnamen konnte ich nicht finden, und Rome war das Ergebnis der Suche nach einem Pseudonym für meine Person. Das klang aber etwas doof. Dann ist mir aufgefallen, daß es für dieses Projekt an sich aber absolut passend ist. Deshalb verbinde ich mit Rome nicht meine Person, sondern nur diese musikalische Welt. Zudem ist der Name kurz und leicht zu merken ... nur schlecht zu googlen.

 

EVOLVER: Kommen wir einmal zu den Texten. Sind es wahre Begebenheiten und persönliche Erfahrungen, die euch zu diesen poetischen Texten inspirieren, oder ist es eher pure Fiktion?

Jerome: In jedem Song liegt Autobiographisches begraben, aber es sind keine Tagebuchvertonungen. Was man erlebt, hält natürlich Einzug in die Kunst. Aber es geht hier nicht um die plastische Darstellung meines Lebens. Vielmehr sind es Stimmungen, die ich einzufangen oder zu erschaffen versuche. Gefühle, die man in bestimmten Situationen hat, lassen sich auf vielfältige Weise vertonen. Der Initiator ist real, die Form fiktiv.

 

EVOLVER: Eure Songs haben oft deutsche Titel, die Texte sind aber - neben einigen deutschen, französischen und englischen Sprach-Samples - nur auf Englisch. Das ist etwas verwunderlich. Kannst du uns verraten, welche Absicht dahinter steckt, deutsche Songtitel zu englischen Texten zu wählen?

Jerome: Wir sind mehrsprachig aufgewachsen. Patrick hat italienische Wurzeln, ein Teil meiner Familie lebt in Spanien, wir sind beide an der französischen beziehungsweise belgischen Grenze in Luxemburg aufgewachsen und haben lange in Deutschland gelebt. Diese und andere Sprachen prägen unsere persönliche Welt ständig. Es gibt Dinge, die man nicht übersetzen kann, Stimmungen, die nur in einer bestimmten Sprache in bestimmten Wörtern mitschwingen - deshalb die Vielfalt bei Rome. Wir sehen uns auch vorrangig als Europäer. Das Englische ist sozusagen unsere Amtssprache.

 

EVOLVER: Es ist faszinierend, wie gut ihr die Botschaft eurer Texte durch die musikalischen Arrangements vermitteln könnt. Jeder, der englische Texte nicht versteht, weiß trotzdem, worum es geht. Wie schafft ihr es so gekonnt, die Verbindung zwischen Text und Musik herzustellen?

Jerome: Das ist uns eine sehr wichtige Angelegenheit. So wollen wir auch, daß unsere Kunst funktioniert. Man soll halt gleich verstehen können und dann doch immer noch eine Menge zu entdecken haben. Allerdings muß man zuerst einmal gewillt sein, sich auf das einzulassen, was da passiert. Ich denke, die Verbindung von Text und Musik liegt bereits im Entstehungsprozeß begründet. Ich schreibe die Texte und wähle die Worte der Stimmung entsprechend. Die erste Idee für einen Song beinhaltet immer beides: Text und Musik, wobei beide anfangs noch unterentwickelt sind.

 


EVOLVER: Der Großteil eurer Hörer und Fans kommt aus dem Bereich des Neofolk. Könnt ihr euch neben "Apocalyptic Folk" auch mit diesem Genre identifizieren?

Jerome: Es ist ein sehr vielschichtiges und schwer eingrenzbares Genre. Da gibt es viel Müll, aber auch einige Perlen, wie überall. Unser Schwerpunkt liegt zwar woanders, aber Schnittstellen gibt es da natürlich auch. Was die Hörer angeht, so ist das uns völlig egal, aus welcher musikalischen Ecke sie kommen, solange sie bereit sind, sich darauf einzulassen, was wir tun - und uns nicht in einer Erwartungshaltung einsperren. Ich weiß von einigen Metalheads, die durch Rome zur Welt der ruhigeren Klänge gefunden haben. Ist doch schön. Andersrum funktioniert es auch: Songwriter-Fans, die plötzlich anfangen, sich für düsteren Underground zu interessieren. Es ist gut, wenn ein Austausch stattfindet. So bleibt man lebendig.

 

EVOLVER: Neofolk wird oft zugesprochen, er sei stark mit der rechten Szene verbunden. Wie stehst du zu dieser Aussage?

Jerome: Es gibt überall braune Schafe, auch im Neofolk. Da braucht man sich nichts vorzumachen. An den Fans sieht man allerdings, daß das mehrheitlich keineswegs Faschos sind. Das Benutzen rechter Symbolik ist und bleibt ein heikles Thema. In allen Kunstbereichen. Es gibt Bands, die faschistoide Ästhetik tendenziell unreflektiert benutzen - das stört mich. Sie aber komplett aus aller Kunst zu verbannen, ist natürlich ebenfalls falsch. Ich muß sagen, daß mich das alles zutiefst langweilt; wir als Rome haben uns nie davor gescheut, offen zu unserer antifaschistischen Gesinnung zu stehen. Wenn man unsere Platten hört, liegt das zwar meiner Meinung nach auf der Hand, aber es wird immer Menschen geben, die versuchen, einem etwas unterzujubeln. Deshalb verstecken wir uns nicht hinter den Geistern, die manche Acts gerufen haben. Uns liegt nichts daran, mit Rome Politik zu betreiben. Wir wollen auch nicht auf Teufel-komm-raus als unpolitische oder mißverstandene Kunstformation gelten. So haben sich schon viele Künstler und Literaten Anfang des vergangenen Jahrhunderts schuldig gemacht. Dann lieber Farbe bekennen - selbst auf die Gefahr hin, sich zu irren.

 

EVOLVER: Hat eure Musik einen politischen Hintergrund?

Jerome: Ein klares Jein. Wenn man sich die neue Platte "Flowers From Exile" anhört, die im Kontext des Spanischen Bürgerkriegs spielt, teilweise autobiographisch ist - ein Teil meiner Familie hat gegen Franco gekämpft - und es ideologisch gesehen nicht mit der Schweiz hält, dann wäre es Unsinn, einen politischen Hintergrund zu leugnen. Es ist aber keine politische Platte. Es gibt, wie bei Rome üblich, keine Schwarzweißmalerei. Alles um uns ist politisch. Nichts bleibt reine Politik. Wenn man die Liebe zwischen den Menschen und die Angst vor den Menschen besingt, hat das nichts Politisches. Und gleichzeitig gibt es nichts, was politischer sein könnte.

 

EVOLVER: Kannst du uns erzählen, welche Einflüsse, seien es musikalische, literarische, andere künstlerische oder sogar außerhalb der Künste, in das Songwriting und die Texte von Rome einfließen?

Jerome: Alles eben Erwähnte; das, was wir zur Zeit erleben, in unserem Privatleben oder in der Welt; das, womit wir uns beschäftigen, sprich Literatur, Geschichte, Philosophie, Kunst jeglicher Art. Ideen kommen von überall. Manchmal gibt es da ein Buch oder einen Film, die mich besonders inspirieren, aber das Wichtigste ist, daß man ständig weitersucht, sich nicht zufrieden gibt, nicht stehen bleibt und niemals die Koffer auspackt.

 

EVOLVER: Wodurch unterscheiden sich die einzelnen Veröffentlichungen von Rome? Und was haben sie gemeinsam?

Jerome: Ich glaube, daß die Alben allesamt eine deutliche Entwicklung zeigen. Wir haben drei Alben gebraucht, um uns zu definieren und unser Territorium abzustecken. Jetzt fühlen wir uns in Rome schon fast wie zu Hause und können jetzt anfangen, rumzuspielen. Wir wissen nicht, wohin es geht, aber wir wissen, daß der Weg nicht gerade sein wird. Das, wovor man als Künstler am meisten Angst hat, ist die Wiederholung. Wiederholung ist Stillstand, und Stillstand ist Tod.

 

EVOLVER: Die Single beinhaltet zwei bereits bekannte Tracks vom Album "Nera" ("Reversion") und "Masse Mensch Material" ("Wir Götter Der Stadt") und zudem zwei neue Titel. Weisen diese den ungefähren Weg zum kommenden Album?

Jerome: Ja. "To Die Among Strangers" ist sozusagen die Single-Auskopplung, und "Mourir A Madrid" ist inhaltlich gesehen eine Kurzform des gesamten kommenden Albums, eine Art Destillat.

 

EVOLVER: Zudem gibt es eine auf 150 Stück limitierte Box, die zusätzlich noch ein T-Shirt enthält, auf dem folgender Spruch zu lesen ist: "The Secret Son Of Europe". Wer ist für euch der geheime Sohn Europas?

Jerome: Das kann von Jesus bis Guido Westerwelle so ziemlich jeder sein. "The Secret Sons of Europe" ist ein Songtitel von "Flowers From Exile", und die Bedeutung liegt in dem Song und im Album. Da will ich jetzt wirklich nicht vorgreifen.

 

EVOLVER: Es ist heutzutage sehr schwer geworden, mit Musik noch Geld zu verdienen. Wie schaut das bei euch aus? Könnt ihr von eurem musikalischem Schaffen leben oder habt ihr auch noch ganz "normale" Berufe?

Jerome: Es geht von der Hand in den Mund. Wir sind Saisonarbeiter. Patrick hat ansonsten ein Studio in Karlsdorf zu führen, und ich halte mich mit Nebenjobs über Wasser, Übersetzungen und solche Sachen.

 

EVOLVER: Was bedeutet für euch Erfolg?

Jerome: Daß ich nicht mehr Übersetzungen und solche Sachen machen muß, haha. Finanziell gesehen bedeutet für uns Erfolg, daß wir keine Angst mehr vor dem nächsten Monat haben müssen. Künstlerisch ist man nie zufrieden. Alles muß weitergehen. Aber sicher haben wir immer ein Erfolgserlebnis, wenn wir sehen, daß wir es geschafft haben, Menschen mit unserer Kunst zu berühren. Das geht tief. Und das ist für mich Erfolg.

 

EVOLVER: Habt ihr derzeit Lieblingsalben anderer Bands, die ihr empfehlen könntet?

Jerome: Ui, das ist schwierig. Aktuelles gibt es da wenig. Ich hör grad viel Chanson, Léo Ferre und so. Der hat eine interessante Spoken-Word-Platte namens "Et ... basta!" Die hören wir uns gern auf Tour an.

Dr. K

Rome - Flowers from Exile

ØØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

"Unsere Heimat haben wir verloren. Was uns von ihr geblieben ist, tragen wir im Koffer durch Europa." Einst noch mit den apokalyptischen Gefilden des Neofolk verhaftet und doch bereits mit "Berlin" oder "Nera" weitblickende Werke schaffend, haben Rome mit ihrem neuen Werk "Flowers from Exile" nicht nur sich selbst, sondern auch der paneuropäischen Emigrantengeschichte ein würdiges Denkmal gesetzt.

Zentriert um die ausdrucksstarke Stimme Jerome Reuters, erzählen Rome die Geschichte von Reuters eigener Familie in der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs und des Exils. Facettenreiche Gitarren, mal mit flamencoartigen Melodielinien, mal treibend-rastlos rhythmisierend, jagen einem Gänsehaut über den Rücken. Untermalt mit Klangfragmenten und dezent akzentuierenden Sprecheinlagen, die die Texte in ihrer Wirkung gezielt unterstützen, erzeugen die akustischen und elektronischen Drums und Percussions in Harmonie mit den detailverliebten Arrangements unvergeßlich schöne Lieder, die im Innersten berühren. Das ist Poesie in perfekter Einheit in Musik gegossen. Große Kunst.

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Kommentare_

D.K. - 17.08.2009 : 10.34
Danke für das Interview! Eine Ausnahmeband!

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