Stories_Jacqueline Susann

Marketing im Tal der Puppen

Über 40 Jahre ist es her, seit sie den Buchmarkt durch gekonnte mediale Selbstinszenierung revolutionierte. Martin Compart über den ersten "Popstar" unter den Schriftstellern.    13.04.2004

Noch vor drei, vier Jahrzehnten hätte man sich zumindest gewundert, wenn ein Schriftsteller durch Talkshows oder andere TV-Unterhaltungssendungen gestreunt wäre, um sein neues Werk zu promoten. Heute ist diese Art der Promotion eine Selbstverständlichkeit, bis in die 60er Jahre war sie jedoch völlig unüblich.

Es war vor allem eine Autorin, die diese Revolution der Vermarktungsstrategien von Büchern anführte. Ihr Name ist heute fast vergessen, obwohl sie einen nach wie vor unerreichten Rekord hält: Sie brachte drei Bücher hintereinander aus dem Stand auf den ersten Platz der "New York Times"-Bestsellerliste. Ihr Name: Jacqueline Susann.

Über Susanns gigantischen Erfolg rümpfte die hehre Kritik natürlich die Nase. Sie paare ein minimales literarische Talent mit einem gigantischen Talent für Public Relations, wurde damals gelästert. Zur Neuauflage ihres Bestsellers "Valley of Dolls" ("Tal der Puppen") eilte viel später sogar Camille Paglia zur Ehrenrettung herbei, indem sie darauf hinwies, daß die Popkultur - von den schmutzigen Romanen einer Jackie Collins bis zu TV-Soaps à la "Melrose Place" - Jacqueline Susann sehr viel zu verdanken habe:

 

Es waren Susann und Harold Robbins, die diese modernen, sexgeladenen Melodramen erfunden haben. Für mich ist "Tal der Puppen" einer der großen Romane der Nachkriegszeit. Sie schrieb in demokratischer Straßenprosa, sehr filmisch, alles wurde visualisiert. Susann war Arbeiterklasse, so wie die junge Joan Crawford Arbeiterklasse war. Ich bewundere sie als Mensch und als Geschäftsfrau. Sie war wie Madonna.

 

Vor allem aber war Jaqueline Susann die erste Autorin, die mit einem neuen erfolgreichen Marketing-Ansatz alle zuvor üblichen Strategien aushebelte und die Epoche des "gemachten Bestsellers" einführte. Durch sie wurde das Buchgeschäft endgültig zu einem Bestandteil des Showbusineß. Susann wurde zu einem Markenzeichen, weil sie in Talkshows, Fernseh- und Radiosendungen auftrat und mit großem Geschick sich selbst und ihr Werk anpries, bis sie Millionen Käufer fand.

 

Egal, was ein Interviewer fragt, ich kann ihn immer thematisch zu meinen Büchern führen.

 

Die ehemalige Miss Philadelphia, Fernsehsprecherin und Werbetexterin wußte genau, was sie tat. Sie verglich das Verkaufen von Büchern gerne mit dem von Zahnpasta. Außerdem verlangte sie von ihrem Verlag, daß die Inserate für ihre Romane auf den Filmseiten geschaltet würden - und nicht im Literaturteil. Eine Angestellte der Buchhandelsgruppe B. Dalton sagte damals:

 

Durch Jackie bekamen wir neue, zusätzliche Kundschaft. Sie brachte Leute in die Buchhandlungen, die nie zuvor eine Buchhandlung von innen gesehen hatten.

 

Noch weiter ging Susanns Mann Irving Mansfield, der eine besonders bedenkliche Taktik entwickelte: Er ließ von Mitarbeitern in den Schlüsselbuchhandlungen bestimmter Städte die gerade ausgelieferten Bücher seiner Frau aufkaufen, um sie auf der Bestsellerliste schneller nach oben zu drücken. Keine Expansion ohne Investition!

Jacqueline Susann erfand (oder perfektionierte zumindest) ein neues Subgenre: glitzernde Melodramen über das Sexleben und die Welt der Schönen und Reichen. Die fiktiven Personen ihrer Bücher ähnelten immer prominenten Gestalten der Zeitgeschichte. So ließ sie sich gern unterstellen, sie schreibe Schlüsselromane über Hollywood und Washington und verarbeite das geheime Leben (über das sie wohlinformiert sei) bekannter Politiker und Stars wie Marilyn Monroe, Grace Kelly oder John F. Kennedy. Diesen Eindruck bestärkte sie geschickt, indem sie in jedem Interview die reale Person und ihre fiktive Verschlüsselung nannte - und augenzwinkernd dementierte, daß beide irgendetwas miteinander zu tun hätten.

Ihr erstes Buch "Every Night, Josefine" (1963) war eine rührende Geschichte über Susanns Pudel Josefine und verkaufte sich 1,7 Millionen Mal - was Mrs. Susann nicht genug war. Obwohl ihr Verleger eine Fortsetzung wollte, schrieb sie etwas völlig anderes: einen mit Sex gespickten Roman über drei Hollywood-Starlets, die sich nach oben kämpften. Die Sexszenen galten 1966 als skandalös, ja pornographisch; heute wirken sie eher harmlos. Jeder in Susanns Verlag haßte das Buch, aber die Gattin des Verlegers liebte es:

 

Es liest sich, als würde man heimlich zwei Frauen am Telefon belauschen, die sich über die sexuellen Vorlieben ihrer Ehemänner unterhalten. Bei so einem Gespräch muß man einfach zuhören.

 

Das Buch hieß "Tal der Puppen", erschien im Februar 1966 und hielt sich 28 Wochen auf Platz eins der "NYT"-Bestsellerliste. Die paar Kritiker, die es besprachen, sahen das Buch als Beispiel für den zivilisatorischen Verfall an, zumindest aber für den Niedergang großer Literatur. Und Susann zog nach, mit Statements wie "Nabokov und ich schreiben auf demselben Niveau. Aber ich bin besser." Schäumende Haßtiraden aller sie bisher ignorierenden Kritiker waren ihr von nun an sicher. Werbung kann zwar negativ sein, muß deshalb aber noch lange nicht den Absatz verschlechtern. In diesem Jahr gab es keine TV-Show, keine Illustrierte und keine Zeitung, in der Jacqueline Susann nicht mehrmals auftauchte. Ihr Name wurde zum Markenartikel für Sex, Indiskretion und Glamour.

1969 erschien ihr nächster Streich. "Die Liebesmaschine"(bei Heyne 2001 neu aufgelegt) blieb 26 Wochen an der Spitze der Buch-Charts. Diesmal zettelte sie einen Streit mit Truman Capote an, der durch sämtliche Medien ging. Susann hatte sich in einer Fernsehsendung über Capotes Stimme lustig gemacht. Capote schlug in einer anderen Talkshow zurück und sagte, Susann sei "ein geborener Transvestit. Sie sieht aus wie ein Fernfahrer im Fummel." Später entschuldigte er sich bei den Truckern für diesen Vergleich.

Ihr Streit beherrschte die Medien mehrere Monate (und hielt bis zu Susanns Tod 1974 an). Bereits 1962 hatte man bei Jackie Krebs diagnostiziert. Aber nur ihre engsten Freunde wußten von ihren gelegentlichen Behandlungen in Krankenhäusern. Als 1973 ihr letzter Bestseller "Einmal ist nicht genug" erschien, bekam sie erneut Bestrahlungen. Geschwächt und gegen den Willen der Ärzte verließ sie das Krankenhaus, um auf eine PR-Tour durch 18 Städte zu gehen. In jeder Stadt suchte sie heimlich ein Spital auf, um ihre Chemotherapie fortzusetzen. Für das Buch lohnte sich ihr selbstmörderischer Einsatz: Wieder kam sie auf Platz eins. Doch sie magerte weiter ab und starb ein Jahr später. Ihr Mann stellte die Urne mit ihrer Asche in das Regal mit ihren Erfolgsbüchern.

In den USA, wo ihre Bücher 15 Jahre lang nicht lieferbar waren, wurde sie vor zwei Jahren wiederentdeckt: als "Mutter" der modernen Literatur, die Trash und Melodram zum Bestseller-Konzept verlötete.

Martin Compart

Bibliographie


• "Every Night, Josefine" (1963, dt.: "Geliebte Josephine")

• "Valley of the Dolls" (1966, dt.: "Tal der Puppen")

• "The Love Machine" (1969, dt.: "Die Liebesmaschine")

• "Once Is Not Enough" (1973, dt.: "Einmal ist nicht genug")

Links:

Kommentare_

Stories
Western - damals und heute

Im Zeichen des Sechsschüssers

In den 80ern und 90ern erschienen in der "Heyne-Filmbibliothek" einige dringend lesenswerte Werke rund um Filmemacher, Schauspieler und Genres. Einige davon gehen auf das Konto der deutschen Western-Koryphäe Thomas Jeier. Martin Compart sprach mit ihm über das uramerikanische Genre.  

Stories
Charles-Bronson-Special

Treffen der Generationen

Er war weit mehr als ein Mann, der nur Rot sieht. Martin Compart sprach mit Filmliebhaber Oliver Nöding über Charles Bronson - einen Schauspieler, der keinesfalls in Vergessenheit geraten sollte und immer noch eine Entdeckung wert ist.
 

Stories
TV-Serien & Ideologien

A Game of Pawns

Dienen Qualitätsserien noch der gehobenen Unterhaltung oder längst der ideologischen Indoktrination? Und was haben deutsche TV-Produktionen damit zu tun? MiC liefert dazu einen Tagebucheintrag - knapp nach den Iden des März.  

Stories
Flashman/Interview Bernd Kübler

Höret seine Heldentaten!

Hätten wir im EVOLVER eine Ruhmeshalle für fiktive Personen aus der Populärkultur, wäre George MacDonald Frasers Flashman ein eigenes Podest sicher. Martin Compart sprach mit Herausgeber Bernd Kübler über die Hörbuch-Adaptionen von Flashys Abenteuern.  

Stories
Philip Kerr - Die Bernie-Gunther-Serie

Im Pesthauch der Nazis

Kennen Sie den PI und ehemaligen Kriminaloberkommissar Bernhard Gunther, der im Berlin der 30er und Folgejahre für Recht und Ordnung sorgt? Nein? Dann ist es Zeit, daß Sie der Reihe des britischen Krimiautors Philip Kerr Ihre Aufmerksamkeit schenken. Martin Compart gibt fachgerechte Starthilfe.  

Stories
Zum Gedenken an Jack Vance

Der Weltendenker baut uns ein Traumschloß

Werner Fuchs gedenkt eines Science-Fiction- und Fantasy-Autors, dessen Imagination in den Genres unvergleichbar ist. Nach dieser Lektüre gibt es keine Entschuldigung mehr, die Werke des US-Schriftstellers Jack Vance nicht zu lesen oder neu zu entdecken.