Stories_John D. MacDonalds Travis McGee II

Bye, bye Trenchcoat!

Anfang der 50er Jahre war das große Sterben der Pulp-Magazine nicht mehr aufzuhalten. Jetzt waren schnelle, spannende Romane in billigen, kleinen Taschenbüchern gefragt. Der Ökonom MacDonald erkannte die Trendwende und warf sich auf das neue Medium.    13.05.2013

Zum ersten Teil der EVOLVER-Story: Me and Travis McGee

 

 

John Dann MacDonald wurde am 24. Juli 1916 in Sharon, Pennsylvania geboren. Als er zwölf war, zog seine Familie nach Utica, New York. Kurz darauf wurde er schwerkrank und mußte ein ganzes Jahr lang das Bett hüten. In dieser Zeit las er wie ein Besessener, um sich von Krankheit und Monotonie abzulenken. 1934 schrieb er sich an der Wharton School of Finance an der Universität von Pennsylvania ein. Nach dem Studium ging er nach New York und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Natürlich arbeitete er auch als Tellerwäscher - das darf wohl in keiner amerikanischen Erfolgsbiographie fehlen. Später landete er an der Universität von Syracuse, wo er Betriebswirtschaft studierte und mit Diplom abschloß. MacDonald gehört zu den ganz wenigen Schriftstellern, die eine Ausbildung in Ökonomie gemacht haben - ein Aspekt, der sich in seinem Werk niederschlagen sollte. An der Universität lernte er die Kunststudentin Dorothy Prentiss kennen, die er 1937 heiratete. Anschließend zogen beide nach Massachusetts, wo MacDonald an der wirtschaftlichen Fakultät von Harvard seine universitären Kenntnisse vertiefte.

1939 beendete er endgültig seine Studien; in diesem Jahr wurde auch sein Sohn Maynard John geboren. Nach wenig befriedigenden Jobs in der Wirtschaft trat er 1940 in die Armee ein. Im Juni 1943 wurde er als Stabsoffizier nach Neu-Delhi, ins Hauptquartier für den hinterindischen Kriegsschauplatz, versetzt. Dort wurde er auch dem Office of Strategic Service (OSS), dem direkten Vorläufer der CIA, zugeteilt. In dieser Funktion war er direkt an den Guerilla-Aktionen der Amerikaner gegen die Japaner in China und Hinterindien beteiligt und war in die Planung der Burma-Offensive, die die Kriegswende zu Gunsten der Amerikaner mit einleitete, involviert. Wegen der strengen Geheimhaltungsvorschriften des OSS unterlag selbst seine Post an die Familie strengen Zensurmaßnahmen. Deshalb schrieb MacDonald für seine Frau statt eines Briefes einmal eine 2100 Worte lange Kurzgeschichte über sein Leben in Neu-Delhi. Ohne MacDonald zu fragen, verkaufte Dorothy diese Impression für 25 Dollar an das Magazin "Story”. Die Story wurde im Sommer 1946 unter dem Titel Interlude in India veröffentlicht und gehört unter MacDonald-Fans zu den gesuchtesten Raritäten.

Im September 1945 kehrte John nach New Jersey zurück, wo seine Familie inzwischen wohnte, und Dorothy überreichte ihrem verblüfften Mann den Scheck vom "Story"-Magazin. Erstmals dachte er ernsthaft darüber nach, Schriftsteller zu werden. Zumindest schien ihm das eine gute Gelegenheit, um sich langsam wieder in die Nachkriegsgesellschaft einzuleben. "In den nächsten vier Monaten schrieb ich etwa 800.000 unverkäufliche Worte. Es war die klassische Learning-by-doing-Methode. Hätte ich damit begonnen, einen Roman pro Jahr zu schreiben, hätte es zehn Jahre gedauert, bis ich das Handwerk gelernt hätte. So saß ich vier Monate wöchentlich 80 Stunden an der Schreibmaschine, schrieb und lernte. Ungefähr 25 bis 30 Kurzgeschichten von mir zirkulierten ständig zwischen den Magazinen." Fünf Monate später verkaufte er seine zweite Geschichte für 40 Dollar an das Pulp-Magazin "Detective Tales”. Anfang 1947 hatte er bereits 23 Geschichten an alle möglichen Magazine verkauft und konnte seine Familie mit der Schriftstellerei ernähren.

In den nächsten Jahren war MacDonalds Ausstoß an Kurzgeschichten geradezu atemberaubend: Er verkaufte 1947 mindestens 35, 1948 etwa 50 und 1949 sogar 73 Geschichten. 1950, das Jahr, in dem er Romane zu schreiben begann, veröffentlichte er 52 short stories. Er schrieb alle Arten von Geschichten: Sport-Stories, Abenteuergeschichten, Western, Science Fiction, Fantasy und Kriminalgeschichten - immer mehr Kriminalgeschichten; bis in die frühen 50er Jahre waren es mehr als 160 Crime-Stories. Er veröffentlichte so viele Geschichten, daß manchmal mehrere im selben Magazin erschienen. In der Juli-1949-Ausgabe von "Fifteen Sports Stories” etwa gab es gleich vier auf einmal von ihm zu lesen. Deshalb mußte er sich eine Reihe von Pseudonymen zulegen; so schrieb er etwa als John Wade Farrell, Robert Henry, John Lane, Scott O´Hara, Peter Reed und Henry Rieser. Trotzdem verkaufte er nicht einmal alle seine Geschichten. Später erzählte er, wie er einen Nachmittag damit verbracht hatte, seinem elfjährigen Sohn dabei zuzusehen, wie der zwei Millionen unverkaufte Worte verbrannte. 1951 zogen die MacDonalds in den Bundesstaat, dessen genauester Chronist er werden sollte: nach Florida. Zuvor hatte er aber mit The Brass Cupcake bei Gold Medal Books seinen ersten Roman, eine Taschenbuch-Originalausgabe, veröffentlicht.

Anfang der 50er Jahre war das große Sterben der Pulp-Magazine nicht mehr zu übersehen. Neue Medien wie Fernsehen und Taschenbuch verdrängten die jahrzehntelang für die Literaturgenres eine innovative Rolle spielenden Pulps in der Gunst der Leserschaft. Kurzgeschichten und Fortsetzungsromane in großformatigen Magazinen waren jetzt nicht mehr gefragt, sondern schnelle, spannende Romane in billigen, kleinen Taschenbüchern, die sich auf den täglichen Fahrten mit Bus oder Bahn aus den Vororten in die Stadt zügig herunterlesen ließen. Der Ökonom MacDonald erkannte die Trendwende ziemlich rasch und warf sich auf das neue Medium "Taschenbuch-Originalroman”. Von den 42 Romanen zwischen 1950 und 1964, die MacDonald vor dem ersten Serienroman um Travis McGee geschrieben hat, gelten heute viele als Klassiker. Wie kaum einem anderen amerikanischen Autor gelingt ihm ein facettenreiches Bild der US-Gesellschaft im Umbruch. Auf dem Höhepunkt der MacDonald-Renaissance Anfang der 1990er waren in den USA wieder alle Non-MacGees lieferbar - bis auf zwei Ausnahmen, deren Wiederveröffentlichung er noch vor seinem Tod ablehnte: die James-M.-Cain-Imitation Weep For Me aus dem Jahre 1951 (die von manchen Fans hochgeschätzt wird) und die Novellisierung eines Judy Garland-Films.

 

 

Da MacDonalds Romane meistens als Taschenbuch-Originalausgaben erschienen, wie gleichzeitig die Bücher von Jim Thompson, David Goodis oder Charles Williams, wurden sie bei Erscheinen von der Kritik wenig beachtet. Lediglich Anthony Boucher, einer der Großen der amerikanischen Kriminalliteraturkritik, besprach und lobte seine Bücher regelmäßig. Er verglich ihn sogar mit Simenon, was den großen Ausstoß (in den 50er Jahren durchschnittlich vier Romane im Jahr) und das gleichmäßig hohe Niveau angeht. Im Laufe der Jahre wurde MacDonald mit mehreren literarischen Ehrungen bedacht: 1955 erhielt seine Story The Bear Trap den "Benjamin-Franklin-Preis” der Universität von Illinois als beste short story des Jahres. Der Roman A Key to the Suite wurde 1964 in Frankreich mit dem "Grand Prix de la Littérature Policière” ausgezeichnet. Sein Roman The Last One Left wurde 1967 für den "Edgar-Allan-Poe-Preis” nominiert; mal wieder typisch für die amerikanische Kriminalschriftstellervereinigung und ihre Ostküstenklüngelpolitik, daß MacDonald ebensowenig wie Mickey Spillane, Erle Stanley Gardner, Rex Stout, Ed McBain, Chester Himes, Gavin Lyall, Len Deighton, Desmond Bagley und und und einen "Edgar" für den besten Roman des Jahres verliehen bekam. 1972 gaben ihm die Mystery Writers of America, wie in solch peinlichen Situationen üblich, dann aber noch ihren "Grand Master Award".

John D. MacDonald starb am 28. Dezember 1986 in Milwaukee.

 

 

PS: Die Berufsbezeichnung des Protagonisten in Jörg Fausers "Das Schlangenmaul" war übrigens eine bewußte Reminiszenz an J. D.s großen Helden.

Martin Compart

Kommentare_

Stories
Western - damals und heute

Im Zeichen des Sechsschüssers

In den 80ern und 90ern erschienen in der "Heyne-Filmbibliothek" einige dringend lesenswerte Werke rund um Filmemacher, Schauspieler und Genres. Einige davon gehen auf das Konto der deutschen Western-Koryphäe Thomas Jeier. Martin Compart sprach mit ihm über das uramerikanische Genre.  

Stories
Charles-Bronson-Special

Treffen der Generationen

Er war weit mehr als ein Mann, der nur Rot sieht. Martin Compart sprach mit Filmliebhaber Oliver Nöding über Charles Bronson - einen Schauspieler, der keinesfalls in Vergessenheit geraten sollte und immer noch eine Entdeckung wert ist.
 

Stories
TV-Serien & Ideologien

A Game of Pawns

Dienen Qualitätsserien noch der gehobenen Unterhaltung oder längst der ideologischen Indoktrination? Und was haben deutsche TV-Produktionen damit zu tun? MiC liefert dazu einen Tagebucheintrag - knapp nach den Iden des März.  

Stories
Flashman/Interview Bernd Kübler

Höret seine Heldentaten!

Hätten wir im EVOLVER eine Ruhmeshalle für fiktive Personen aus der Populärkultur, wäre George MacDonald Frasers Flashman ein eigenes Podest sicher. Martin Compart sprach mit Herausgeber Bernd Kübler über die Hörbuch-Adaptionen von Flashys Abenteuern.  

Stories
Philip Kerr - Die Bernie-Gunther-Serie

Im Pesthauch der Nazis

Kennen Sie den PI und ehemaligen Kriminaloberkommissar Bernhard Gunther, der im Berlin der 30er und Folgejahre für Recht und Ordnung sorgt? Nein? Dann ist es Zeit, daß Sie der Reihe des britischen Krimiautors Philip Kerr Ihre Aufmerksamkeit schenken. Martin Compart gibt fachgerechte Starthilfe.  

Stories
Zum Gedenken an Jack Vance

Der Weltendenker baut uns ein Traumschloß

Werner Fuchs gedenkt eines Science-Fiction- und Fantasy-Autors, dessen Imagination in den Genres unvergleichbar ist. Nach dieser Lektüre gibt es keine Entschuldigung mehr, die Werke des US-Schriftstellers Jack Vance nicht zu lesen oder neu zu entdecken.