Stories_The Gunman

Gute Vorlage, guter Film?

Bald startet Pierre Morels Verfilmung von Manchettes "La Position Tireur Couché" in den Kinos. MiC folgt bei seiner Besprechung dem Beispiel Hegels und Manchettes selbst - er hat den Film nicht gesehen. Doch er weiß auch so, wovon er spricht.    25.03.2015

Die Poster sind online, ein neuer ist Trailer auch schon da, und bald kommt der Film in die Kinos. Die Rede ist von "The Gunman", Pierre Morels loser Adaption von "La Position Tireur Couché", dem letzten noch zu Lebzeiten erschienen Roman von Jean-Patrick Manchette. Allerdings machen Trailer und Pressetexte deutlich, daß der Film mit der Vorlage nur wenig gemein hat (auch wenn pünktlich zum Start die amerikanische Übersetzung von 2002, damals mit dem Titel "The Prone Gunman" veröffentlicht, nunmehr als Tie-in-novel unter dem Filmtitel neu aufgelegt wird.)

 

 

Die Vorlage: LA POSITION TIREUR COUCHÉ

In einem Brief an Pierre Siniac sprach Manchette 1977 von einem Projekt über einen professionellen Killer. "Ich arbeite an einer Figur, die an und für sich völlig uninteressant ist, weshalb es sich im wesentlichen um eine Stilübung handelt." Und was dies für Manchette bedeutete, hatte er in den Chroniken dargelegt: "Einen Roman noir heute zu schreiben heißt, ich mache es wie die Amerikaner, nämlich völlig anders. Einer veralteten Form treu zu bleiben, heißt sie genau zu befolgen, ja sie zu achten, bedeutet sie ins Äußerste zu verdrehen. Genau das versuche ich in meinem neuen Projekt."

Um Manchettes Ansatz zu verstehen, muß man sich seine Haltung zum Schreiben, zur Kunst, zur sozialen Wirklichkeit seiner Zeit vor Augen führen. In Schlagworten: "Schreiben bedeutet für mich Broterwerb; der Roman noir ist die moralische Literatur unserer Zeit; er ist ein Produkt für den Markt, ein Nahrungsmittel, er entstand in den 1920er Jahren, als Reaktion auf die Hochphase der Konterrevolution, die mit dem Zweiten Weltkrieg die Revolution endgültig besiegte."

Für Manchette hat der Roman noir seine wesentliche Formsprache in nur zehn Jahren, zwischen dem Erscheinen von "Red Harvest" (Dashiell Hammett, 1929) und "The Big Sleep" (Raymond Chandler, 1939) gefunden. 40 Jahre nach Hammett, Anfang der Siebziger des 20. Jahrhunderts, zu schreiben bedeutete für ihn, der sich politisch als marxistischen Anarcho bezeichnete, der neuen sozialen Wirklichkeit nach 1968 gerecht zu werden. Dazu gehörte für ihn auch die Hoffnung auf eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung, die letztlich enttäuscht wurde.

Seine zweiten und dritten in der "Serie noir" bei Gallimard veröffentlichten Polars, "L´Affaire N´Gustro" (1971) und "Nada" (1972), waren hochpolitisch, mit Erscheinen von "Le Petit Bleu De Cote Quest" (1976), seinem siebten Polar, begann Manchette bereits nicht mehr an die gesellschaftliche Veränderung, an einen Sieg der revolutionären Kräfte über den Kapitalismus zu glauben. Hoffnungslosigkeit machte sich breit.

Das Scheitern verzweifelter Aktionen Einzelner prägte seine letzten drei Polars. In "Le Petit Bleu" irrt ein von den Produktionsverhältnissen entfremdeter George Gerfaut nach überstandenem Abenteuer und der Tötung von zwei Menschen und einem Hund weiterhin im Kreis durch sein Leben. Die gefährlichen Erlebnisse haben keine charakterliche Wandlung bewirkt, höchstens eine geschmackliche Veränderung: er trinkt lieber Bourbon statt Whiskey. (Auch wenn die Werbung dem Konsumenten glauben machen will, es verhielte sich umgekehrt, die Wahl des Alkohols sei nichts weniger als eben das, eine Charakterfrage.) Im Jahr darauf erschien "Fatale "(1977). Hier metzelt die freiberufliche Killerin Aimee, nachdem sie den größten Coup ihrer Karriere an Land gezogen hat, die korrupten Bürger Blévilles - ihre Auftraggeber - dahin, um am Ende von einer Kugel wahrscheinlich tödlich getroffen und ohne ihr Salär mit dem Fluchtauto zu verunglücken. Übrigens hatte plötzlicher Ekel vor den Machenschaften der Bourgeoisie Aimees mörderischen Sinneswandel ausgelöst ...

 

Die neue soziale Wirklichkeit gebot Manchette ("Ich bin ein unverbesserlicher Intellektueller und schäme mich dessen nicht") eine neue Herangehensweise an den Polar. Seine literarische Inspiration fand er bei Hammett und Flaubert sowie bei Guy Debord und der Situationistischen Internationale. "Situationistisch” an einen Roman noir heranzugehen, bedeutete für Manchette referentiell zu arbeiten. Das hieß einerseits, Genrekonventionen- und Stereotypen genau zu befolgen - wie der Basis-Plot in "Tireur Couché" :"Ein Killer will aussteigen, was seine Bosse verhindern wollen” - oder die gewählte behavioristische Erzählweise, getreu dem Vorbild Hammetts in "Maltese Falcon” und "Glass Key", zu wählen. Andererseits entlehnte er seine stilistischen Ausflüge bei Flaubert und ließ in der völligen Verdrehung die Detournement-Idee von Debord erkennen.

Die Vorlage von "The Gunman” ist daher nur scheinbar ein klassischer Roman noir. Der Begriff Stilübung, der letztlich die Wiederholung, die Kopie bezeichnet, ist eine Untertreibung des Verfassers. Dieser Roman gehört ebenso in die Genreliteratur wie in die modernistische, experimentelle Literatur von Robbe-Grillet oder Perac. (Was für Manchette übrigens überhaupt kein Qualitätssiegel war. So schrieb er in einem Brief an Siniac: "Literarische Ambitionen sind mir zuwider.")

Im Gewand einer ausgelutschten Auftragskiller-Story erzählt Manchette über die kleinbürgerliche Sehnsucht von Martin Terrier, einem Außenseiter, der es allen, die ihn einst schaßten, zeigen wird, wenn er nach zehn Jahren in den Heimatort zurückkehrt, um als gemachter Mann seine Liebste - die ihm die Treue versprochen hat - zu heiraten. Ein schöner Wunschtraum. Natürlich ist die Liebste inzwischen verheiratet und lebt desillusioniert neben ihrem Ehemann daher. Sie trinkt zu viel, langweilt sich und vögelt herum. Mit dem Ausstieg aus seinem Killer-Job (den Terrier für eine mit dem französischen Geheimdienst assoziierte Gruppe ausübt, in deren Auftrag er Kommunisten, Anarchisten sowie ehemalige Militärs aus dem damals noch existierenden Ostblock tötet) verliert er schrittweise die Kontrolle über sein Leben.

Anhand der Figur des Martin Terrier zieht Manchette nun den klassischen Noir-Plot auf links und übersteigert ihn bis ins Absurde. Dabei legt er nicht nur die Naivität und Borniertheit seines Protagonisten offen, sondern entlarvt zugleich unser kapitalistisches System. Kleinste Details summieren sich zu einer komplexen Geschichte, einer Situationsbeschreibung unserer Gesellschaft, die ein genaues Hinsehen erfordert. Der Autor macht es dem Leser nicht leicht. Auf das Innenleben der Figuren und ihre Motivation muß man anhand ihres Verhaltens und ihrer Aussagen schon selber schließen. Niederlage und Ausweglosigkeit bestimmen den Roman. Am Schluß steht ein großartiges und sehr böses Ende für den vollends gescheiterten Terrier.

 

Der Film: THE GUNMAN

Aus Martin wird nun Jim, aus einem ichfixierten Aufsteiger mit einem klaren Ziel wird ein Auftragskiller, der dem Guten zu dienen glaubt und sozusagen aus Idealismus tötet, um das Böse zu bekämpfen. Er filmt alle seine Einsätze, um sich abzusichern - man weiß ja nie. Jim Terrier ist ein Mann mit Idealen und Gewissen, einer der tut, was getan werden muß, im Rahmen seiner Möglichkeiten. Einer, der mit sich hadert - ist Töten gut oder nicht doch böse? - und der doch nur ein bißchen Glück mit seiner Liebsten (er)leben will. Natürlich sind da seine Vorgesetzten vor. Die Schlimmen. Jetzt schlägt der Jim zurück, und Regisseur Morel kann es krachen lassen. Hochkarätige Gesichtsverleiher garantieren bestes Entertainment: Javier Bardem, Idris Elba, Ray Winstone und in der Hauptrolle der politisch sehr engagierte Hollywood-Linke Sean Penn, der als Star und Finanzierungsmagnet seine Weltsicht gleich schnell mit ins Drehbuch schrieb. Danke, Sean, wir wissen es jetzt, setzen.

Der Film braucht die Vorlage nicht, die Vorlage braucht den Film nicht.

 

 

Nach "Le Choc" (1982) ist "The Gunman" die zweite "Verfilmung der Vorlage". Autorensohn Tristan-Jean, der unter dem Pseudonym Doug Headline selbst den Kreativen gibt, haut derzeit scheinbar die Verfilmungsrechte des väterlichen Œuvres heraus: "Le Petit Bleu" ist in development, Christopher McQuarrie soll Regie führen, Colin Firth möglicherweise George Gerfaut spielen; dazu wird "Laissez Les Corps Bronzes" (1971), der "Serie noir"-Erstling von Manchette, in Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Bastid entstanden, von einem belgischen Filmemacherpaar in diesem Jahr in die Kinos gebracht.

Nach dem frühen Tod Manchettes hat sich der Sohn um das Erbe des Vaters sehr verdient gemacht, indem er die Chroniken, die gesammelten Filmkritiken und sogar die Tagebücher der Jahre 1966 bis 1974 veröffentlichte, dazu Sonderausgaben und Monographien über Jean-Patrick Manchette anschob und zusammen mit Max Cabanes auch gleich zwei Comic-Adaptionen produzierte. (Offenbar in alter Verbundenheit aus Griffu-Tagen hat Jacques Tardi mittlerweile drei Manchette-Romane als Comic adaptiert.) Irgendwie kann ich mich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß die finanzielle Auswertung des Erbes vollends ins Zentrum von Juniors Streben gerückt ist.

Auch wenn ein Film immer eine Interpretation der Vorlage ist und sicher von ihr abweicht, wenn nicht zwangsläufig abweichen muß, so stellt sich die Frage: Warum diesen Film überhaupt so machen? Die Story vom Killer, der aussteigen will und mit seinem bisherigen Auftraggeber in Konflikt gerät, ist mittlerweile ein eigenes Genre. Dazu braucht man die Romanrechte nicht. Zudem ist die Anzahl der Manchette-Fans weltweit überschaubar, der Vorverkaufsfaktor eher gering, selbst wenn durch Neuveröffentlichungen im vergangenen Jahrzehnt in Deutschland, den USA und in England ein größeres Publikum - und damit eine neue Lesergeneration - gewonnen werden konnte.

 

Wäre gerade für Manchette-Fans nicht eine gewisse Werktreue reizvoll? Ist die Kritik an unserer kapitalistischen Gesellschaft heute nicht wichtiger denn je? (Die große Aktualität von Manchettes Polars überrascht den kritischen Leser nicht. Sie beziehen sich zwar auf Frankreich vor 40 Jahren, nur hat sich seither wenig bis gar nichts geändert. Die herrschende gesellschaftliche Ordnung sorgt dafür. Halt! Etwas hat sich doch geändert: Der Kapitalismus hat inzwischen die gesamte Welt vollends im chokehold, eine gesellschaftliche Alternative ist völlig unvorstellbar. Die negativen Auswirkungen wie Umweltverschmutzung, globale Erwärmung, drastische soziale Ungleichheit, Kriege um Ressourcen, Nahrungsmittel- und Wasserknappheit nehmen rasant zu. Proteste werden von Robo-Cops niedergeknüppelt. Schöne neue Welt. Danke, Markt.)

Manchette junior pflegt das Erbe seines Vaters, indem er die Rechteverwertung managt und schön die Hand aufhält. Das sei ihm gegönnt. Vielleicht tue ich ihm aber auch Unrecht, und die französischen Produzenten von "Le Choc" hielten noch die Rechte an dem Buch - oder der Verlag hatte seine Finger im Spiel und die Filmrechte meistbietend verkauft. Irgendeiner im Kollektiv der Niederträchtigen wird´s schon gewesen sein. Natürlich könnte man auch sagen, daß gerade diese Form der Verfilmung die totale situationistische Verdrehung ist; die völlige Antithese und zugleich auch Synthese, weil der Stärkere am Ende immer siegt, unabhängig von seiner ideologischen Gesinnung.

 

 

What´s left when the dust has settled? - Manchette liebte Parenthesen.

MiC

Jean-Patrick Manchette - Position: Anschlag liegend

(La Position Tireur Couché)

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Distel Literaturverlag

Links:

The Gunman

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F/E/GB 2015

 

Regie: Pierre Morel

 

Darsteller: Sean Penn, Idris Elba, Ray Winstone u. a.

 

Kinostart: 1. Mai 2015

Links:

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