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Stories_Minority Report
Metaphysische Mörder
Hollywood hat Philip K. Dick entdeckt und bringt zwei mehr als Jahre alte Kurzgeschichten des Science-Fiction-Autors modernisiert auf die Leinwand. Trotz aufwendiger Spezialeffekte und Starbesetzung lohnt sich die Lektüre der eben neu bei Heyne erschienenen Originalstories. "Minority Report" und "Impostor" borgen sich lediglich die Grundideen bei Philip Dick - in Sachen Storyline gehen Steven Spielberg und Gary Fleder eigene Wege. 30.09.2002
"Die Täuschung ist etwas, das mich außerordentlich fasziniert", schrieb der 1982 verstorbene Science-Fiction-Autor Philip K. Dick im Nachwort seiner Kurzgeschichtensammlung "Der goldene Mann". "Ich bin der Meinung, daß man rein alles vortäuschen kann. Bestimmte Beweise können uns dazu bringen, alles zu glauben, was sie wollen. Und da gibt es theoretisch keine Obergrenze." Täuschung und Wirklichkeit - zwei von Philip Dicks Kernthemen, die 20 Jahre nach dem Tod des Autors den Weg ins Kino gefunden haben. Den Zuseher zu täuschen versucht Steven Spielberg mit seiner Hollywood-Adaption von "Minority Report" (USA 2002). Zwar ist das Grundthema - die Prä-Polizei - erhalten geblieben, der Rest der Originalstory ist jedoch nur noch in Ansätzen vorhanden.
In einem zukünftigen Amerika gibt es keine Gewaltverbrechen mehr. Der Grund ist eine "Prä-Verbrechen"-Polizei: drei paranormal begabte "Präcox" können zukünftige Gewaltverbrechen voraussehen - eine schnelle Eingreiftruppe verhindert die Tat; ein potentieller Mörder wird inhaftiert, bevor er auf sein Opfer trifft. In Philip Dicks Kurzgeschichte "Der Minderheiten-Bericht" ist sich die Hauptfigur dieses Dilemmas bewußt: "Wir erfassen Individuen, die gegen keinerlei Gesetz verstoßen haben", sagt Commissioner John A. Anderton, der Leiter von Prä-Verbrechen. "Wir schnappen sie uns, noch bevor sie ein Gewaltverbrechen begehen können. Also ist die Tat an sich rein metaphysisch. Wir behaupten, sie sind schuldig. Sie wiederum behaupten ununterbrochen, sie seien unschuldig. Und in gewissem Sinne sind sie unschuldig." Mit diesem Paradoxon wird Anderton am eigenen Leib konfrontiert, als sein Name auf der Verdächtigenliste aufscheint.
Bei Spielberg ist es nun ein aufstrebender Polizist, der unter Mordverdacht gerät. Die Umsetzung von Dicks paranoidem Zukunftsszenario gelingt ihm verblüffend dicht und harmonisch - am Ende stellt er die Geschichte dann aber in jeder Hinsicht auf den Kopf. Während Dicks Anderton sogar bereit ist, den prognostizierten Mord tatsächlich zu begehen, um die Prä-Polizei vor der Abschaffung zu retten, läßt Spielberg das System sterben - und beweist, daß er den Kontext nicht verstanden hat.
Etwas näher am Original bleibt Regisseur Gary Fleder mit "Impostor" (USA 2001), der Verfilmung der Dick-Kurzgeschichte "Hochstapler". Spence Olham hat eine Waffe erfunden, mit der die Menschen den Krieg gegen Alpha Centauri gewinnen könnten - allerdings wird er für einen Androiden gehalten, der den Platz des Wissenschaftlers eingenommen hat und eine Bombe in sich trägt. Der biologische Roboter spielt nicht nur Olhams Rolle - er ist zu ihm geworden und kann sich nicht an seine wirkliche Herkunft erinnern. Die Zündung der Bombe erfolgt durch eine Wortfolge, die er aussprechen muß. Daß die Detonation in dem Moment erfolgt, in dem sich Olham der Wahrheit bewußt wird, ist in der Dickschen Realitätsverwerfung eine zynische Selbstverständlichkeit: "Aber wenn das Olham ist, dann muß ich ..." Die Explosion der Erkenntnis ist bis Alpha Centauri zu sehen.
Anläßlich der Premiere der Spielberg-Verfilmung hat der Heyne-Verlag die Story-Sammlung "Minority Report" als Taschenbuch herausgebracht. Ebenfalls enthalten sind die Geschichten "Variante zwei" (Second Variety", Vorlage für "Screamers" und "Terminator"), "Kriegsspiel", "Was die Toten sagen", "Ach, als Blobbel hat man es schwer!", "Glaube unserer Väter", "Die elektrische Ameise" und "Erinnerungen en gros". Letztere Geschichte lieferte Regisseur Paul Verhoeven die Grundidee zum Schwarzeneggerschen Mars-Drama "Total Recall". Auch er demonstrierte deutlich, daß Buch und Film zwei verschiedene Medien sind, die nur selten nahtlos ineinander aufgehen - so war beispielsweise von einer Bewässerung des roten Planeten, wie sie uns Verhoeven am Ende zeigt, bei Philip Dick nie die Rede. "Wollte ich erkennen, ob ich gestorben und zur Hölle gefahren bin", bemerkte Dick einmal über Hollywood, "dann daran, daß man alle meine Bücher Mickey Spillane zur Überarbeitung gegeben hat."
Richtig, Phil.
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