Stories_Samstag-TV/Papst

Saturday Night Fernsehen

Es ist vollbracht. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehkanäle, die an diesem Wochenende keine alten Kinofilme pflichtspielen mußten, zelebrierten hochprofessionelle Leichenfledderei.    04.04.2005

Der Papst ist tot. Ich nehme an, das hat sich schon herumgesprochen, und ich erzähle Ihnen nicht wirklich was Neues. Ich selbst habe es ja auch erst Stunden später erfahren, und als überzeugten Autisten hat mich die Nachricht auch gar nicht so sehr ins Herz getroffen. Mangels einer anderen Ausdrucksmöglichkeit habe ich mein Bier ausgetrunken und mir noch eines bestellt. Das habe ich dann, weil ich den Papst vom Sehen kenne, seit ich sechzehn bin, auf ihn getrunken. Und wäre nicht das Fernsehen, hätte der Tag sanft ausklingen und so anmutig in Vergessenheit versinken können, wie er es sich verdient hat.

Aber nein. Beim Sterben ist jeder der Erste - und in seinem Bemühen, mit der schnellen Leichenfledderei des Privatfernsehens mitzuhalten, hatte John Paul kaum seinen letzten Säufzer getan, als am Küniglberg schon die Kameras aufzüngelten und ein paar greifbare Exemplare der heimischen Prominenz vor die Optik geführt wurden. Die Leiche war vermutlich noch warm, als der Moderator einem Korrespondenten die Frage stellte: "Wie darf man sich die letzten Stunden eines Papstes vorstellen?"

Hm. Was genau wollten Sie denn wissen, mein Herr? Ob er bei Bewußtsein war oder unter Drogen? Wo es ihm genau wehgetan hat, bevor es zu Ende ging? Oder ob der Körper des Papstes, wie jeder menschliche Körper, im Augenblick des Sterbens Exkremente abgesondert und gestunken hat und laut war; weil die Tür zum Jenseits eben voller Scheiße ist? Was genau war der Sinn Ihrer Frage? Ich würde es sehr gerne wissen - und mehr noch: Wie darf man sich die letzten Stunden eines Fernsehmoderators vorstellen? Stehen seine Abschiedsworte am Televisor oder spricht er sie frei? Hält ihm die Geliebte das Zipfelchen oder hat er die Hände selbst unter der Decke? Wird ihm Kokain gereicht? Und wie darf man sich die letzten Stunden eines TV-Abteilungsleiters vorstellen - oder gar die eines(r) Intendante(i)n? Das wollen wir genauso auf der Heimwand sehen und hören: Ob sich im Moment des Sterbens vielleicht die Muskeln entspannen und ein letztes Wässerchen die Welt erfrischt? Das wollen wir wissen! Nicht nur vom Papst! Und wir wollen die Tränen der Hinterbliebenen! Wir wollen sehen, daß der Schmerz echt ist; und wir wollen sehen, wie die Verwandten beim Begräbnis die Tranquilizer vorabendserienweise einwerfen. Schiebt Euch das geistige Beiwerk dorthin, wo keine Sonne scheint! Wir wollen das Niedrige, das Tiefe, das echt Berührende; wo uns die Säfte aus den Löchern schäumen, als gäb´s kein Morgen; das und nichts anderes. Und wir wollen es nicht nur, wenn es um den Papst geht. Wir wollen jedem Österreicher beim Sterben zusehen, auch wenn es kein Österreicher ist. Der Papst hat nicht mehr Respekt verdient als ein anderer Bauer – und das hat das Fernsehen ja am Wochenende deutlich gezeigt. (jetzt können die Printmedien kommen ...)

Die Show war übrigens nicht mit obiger Gretchenfrage zu Ende. Es kamen noch die lokalen Politgrößen, die an diesem Samstag offenbar sicherheitshalber nicht beim Heurigen waren: Heinz Fischer vor einem Bücherregal, Gusenbauer am Telefon mit der immer griffigen Aussage, der Papst sei eine moralische Instanz in einer "immer härter und kälter werdenden Welt", für die er als Politiker ja nichts kann, gewesen; Alexander van den Grünen (auch vor einem Bücherregal), Andreas Khol (per Live-Schaltung aus Innsbruck, wo weit und breit kein Nationalrat ist und extrem schlecht geschminkt, aber sehr jovial). Und dann Schüssel: Österreich habe für ihn, und damit ist nicht Wolfgang, sondern der Papst gemeint, eine ganz, ganz besondere Bedeutung gehabt. Merket auf! Der Kanzler, sonst nur schwer zum Journalistengespräch zu haben, mutiert ruck-zuck, wie Kollege Kottan sagen würde, zum klerikalen Experten. Als gutem Christen ist es ihm vermutlich ansonsten genauso scheißegal wie dem Rest der guten Christen, daß in Österreich Leute hungern und kein Zuhause haben; aber schön, daß er "ja ned weid weg" vom Küniglberg wohnt und sofort ins Studio stürmen kann, wenn es preiswert Imagepunkte zu sammeln gibt. (An der einem abgefahrenen Sommerreifen recht ähnlichen Kanzlerkrawatte muß aber noch gearbeitet werden; bis zur Papst-Beerdigung, vermutlich am Mittwoch, sollte wenigstens ein ordentlicher Knoten machbar sein.) In Sachen Redezeit hat Kirchenexperte Schüssel, der an diesem Abend offenbar ein kleines bißchen zum spirituellen Vater Österreichs werden wollte, für die ÖVP in jedem Fall den Vogel abgeschossen (was die anderen Parteien wieder Stunden am Beschwerdefax kosten wird).

Dann war noch George Bush dran, der aus irgendeinem Grund auch etwas zum toten Papst sagen wollte. Nichts Aufregendes, George schoß einfach aus den pathetischen Rohren und bezeichnete den Papst als einen "Helden für die Ewigkeit", mit dem "die Welt einen Sieger der menschlichen Freiheit verloren" habe (ich weiß leider auch nicht, wie ein Kriegstreiber so etwas meinen könnte). Und dann wieder: analysierende Experten, die zwei Stunden nach dem Tod des Papstes bereits Theorien über das Fortbestehen des katholischen Weltreichs äußerten.

Die Medien sind verdammt schnell geworden; hätte Gott ein Gewitter schicken wollen, um vom Tod des Papstes Bescheid zu geben, CNN wäre vermutlich vor ihm da gewesen. Aber kann man Leute nicht einfach in Ruhe sterben lassen, ohne ihnen, egal wer sie sind, die Kameras in den Arsch zu schieben?

Eine Bewegung mit der Fernbedienung. Auch das ZDF berichtet über den Papst, aber gleich mit einer handfesten Dokumentation. Dort höre ich den Schlußsatz des heutigen Abends. In den Jahren vor dem Mauerfall sagte der Papst während einer Rede in der Sowjetunion: "Ein Staat ist erst dann souverän, wenn er seinen Bürgern erlaubt, ihr Schicksal selbst zu bestimmen."

Plötzlich werde ich müde und gehe zu Bett. Wenn ich beim Aufwachen in eine Kamera schaue, weiß ich, daß ich gleich oder schon tot bin. Gute Nacht.

Chris Haderer

Kommentare_

Kolumnen
Ausweiskontrolle

Wie wir die NSA verwirrten ...

Im Internet sind die Lauscher immer und überall. Digitale Selbstverteidigung ist angesagt. Die notwendigen Tips gibt Steffan Heuer in seinem Buch "Mich kriegt ihr nicht!"  

Kolumnen
Ausweiskontrolle

The All American Big Data Online Election Show

Big Data und Social Media halten zusammen wie Pech und Schwefel. Ihnen verdankt Barack Obama seine zweite US-Präsidentschaft.  

Kino
Star Trek - Into Darkness

Phaserschmeichler

Zum zweiten Mal hat Regisseur J. J. Abrams den Motor der "Enterprise" angeworfen und sie auf eine für den Titel "Into Darkness" eigentlich recht gut ausgeleuchtete Reise geschickt. Chris Haderer ist eine Runde mitgeflogen.  

Termine
Festival des gescheiterten Films

Die große Show der tragisch Gescheiterten

Vom 8. bis 15. Februar geht das "Festival des gescheiterten Films" in den Breitenseer Lichtspielen vor Anker. Gezeigt werden Filme, für die es leider keinen kommerziellen Markt zu geben scheint.  

Termine
"Big Brother Awards" 2012

Name them & shame them!

Am 25. Oktober werden im Wiener Rabenhof die 14. "Big Brother Awards" verliehen. Traditionell finden sich unter den Nominierten illustre Namen von Beatrix Karl bis Marie Vassilakou.  

Kino
Die Wand

Bergsee mit Wand

Regisseur Julian Roman Pölsler hat sich an der Verfilmung von Marlen Haushofers "Die Wand" versucht - und ein schön photographiertes Hörbuch abgeliefert.