
Stories_Integrationsarbeit
Berge des Grauens
Einem Rudel moslemischer Kinder etwas über Österreich beizubringen, kann manchmal recht erheiternd sein.
Kathleen Geets bekam es mit Monstergelsen und Eisleichen zu tun ...
15.03.2011
Hamdi sitzt ratlos vor seinem Geographie-und Wirtschaftskunde-Schulbuch.
"Ich verstehe das nicht", sagt er in meine Richtung.
Ich werfe einen Blick auf die aufgeschlagene Seite. "Der Gletscher", steht da. Darunter das Bild einer schmelzenden Gletscherlandschaft, eine Abbbildung der ledrigen Ötzi-Leiche und ein kurzer Text zum Thema Alpen.
Ich beginne mit der Mumie, versuche zu erklären, daß vor sehr, sehr vielen Jahren ein Mann gelebt hat, der nach seinem Tod - vielleicht wurde er sogar ermordet - für lange Zeit im Eis eingeschlossen wurde, bis ihn jemand dort fand; deswegen, also wegen des Eises, ist auch noch alles da: die Haut, die Haare, Teile seiner Kleidung.
Yasar mischt sich ein, nachdem er einen Blick auf das Bild erhascht hat. Im Islam, meint er - auf das Photo deutend, auf dem der Steinzeitmann in der bekannten, seltsamen Haltung im halbgeschmolzenen Eis liegt -, da läßt man die Menschen nicht so liegen, das geht nicht. Ja, meine ich, aber Ötzi ist schon so alt ... ich zögere, wie erkläre ich den Kindern das jetzt? Wie mache ich deutlich, welchen Zeitraum fünftausend Jahre abdecken? Ötzi, sage ich schließlich, ist älter als das meiste, das wir kennen, sogar älter als der Koran.
Für einen Moment herrscht schockiertes Schweigen. Dann Yasar: "Das geht ja gar nicht! Koran ist das Wort von Gott, das war immer da!"
Na schön, damit hätte ich rechnen können. Ich kenne die meisten Eltern der Kinder zumindest flüchtig, Yasars Vater sogar von einigen Gesprächen. Der Bub ist elf Jahre alt und plappert gerade alles nach, was sein Vater sagt, ob es nun um die Juden geht, die SPÖ, oder eben um den Islam.
Manchmal provoziere ich dann, widerspreche mit voller Absicht jenen Ansichten, welche die Kinder zu Hause anscheinend vermittelt bekommen. Vielleicht wirkt das auf sie verwirrend, aber ich möchte ihnen ein Kontrastprogamm zum (religiösen) Elternhaus und zur Schule bieten, in der sie oft nicht richtig mitkommen und überfordert sind. Sie sollen sich für Dinge begeisten können, neugierig werden, das ist die beste Möglichkeit, ihnen Wissen zu vermitteln.
"Ja, aber der Koran wurde geschrieben, von einem Menschen, und Ötzi war lange vor Mohammed da, auch lange vor Jesus. Also bevor die Bibel und der Koran geschrieben wurden."
Hamdi: "Was ist die Bibel?"
Die Kinder in der Gruppe sind in Österreich geboren oder im Kindergartenalter mit ihren Eltern hergezogen, um in Wien zu leben. Sie haben die Volksschule absolviert und gehen nun in die erste oder zweite Klasse einer KMS oder eines Gymnasiums.
Und jetzt diese Frage.
Ich hätte nicht damit gerechnet, daß sie nicht wissen könnten, was die Bibel ist. Ich selbst stamme aus einem atheistischen Elternhaus; trotzdem wurde ich natürlich von den christlichen Traditionen der Gesellschaft beeinflußt, in der ich aufgewachsen bin. Haben diese Kinder davon überhaupt nichts mitbekommen?
Gut, daheim wird ihnen oft ein stark islamisch geprägtes Bild vermittelt. Bei der Geschichte Mohammeds kennen sie sich etwas besser aus, aber auch das Wissen um den Koran wirkt undifferenziert. Im Islamunterricht der Volksschule lernen sie die Namen der Proheten auswendig, wie wir damals die Namen der Heiligen wiedergeben mußten.
"Die Bibel ist für die Christen das, was der Koran für die Moslems ist."
Die Frage nach den Christen, die sich schon deutlich auf Hamdis Gesicht abzuzeichnen scheint, wird von Yasars Zwischenrufen unterbunden. Er kann nicht glauben, daß es etwas gibt, das vor dem Islam existierte. Im einschlägigen Unterricht wird ihnen anscheinend - ähnlich wie in christlichen Religionsstunden - nicht viel über andere Glaubensrichtungen vermittelt.
"Wer waren die ersten Menschen?", fragt er. Wieder einmal testet er mich.
"Schwer zu sagen. Aber Ötzi war nicht der Erste", entgegne ich diplomatisch.
"Adam und Eva waren die ersten Menschen!", ruft Yasar.
Was soll ich sagen? Ich glaube nicht an Adam und Eva und sehe mich eigentlich auch in einer Position, in der ich die Kinder mit einem eher wissenschaftlichen Weltbild konfrontieren sollte.
"Das war so! Adam und Eva waren die ersten Menschen!", beharrt er.
"Ja, viele Menschen glauben daran", weiche ich aus. Ich möchte jetzt keine Affen-Diskussion. Zu oft schon habe ich die Kinder mit meinen Gruselgeschichten von der Abstammung des Menchen vom Affen schockiert. Entsetzen und Unglaube sind die übliche Reaktion. Die Evolutionslehre, der scheinbar selbst im Biologieunterricht an den Schulen kaum Platz eingeräumt wird, verträgt sich nicht mit dem Glauben an Entstehungsmythen, egal, um welche Art von Monotheismus es sich handelt.
Hamdi beschäftigt sich mittlerweile mit dem Text zum Thema Gletscherspalten, während Yasar verärgert über die Tatsache scheint, daß ich nicht zugeben will, daß Adam und Eva unser aller Vorfahren sind.
Ich erkäre die Ausmaße und Eigenschaften eines Gletschers und seiner Spalten, die gefährlich sein können. Worauf Hamdi fast hysterisch reagiert: Seine Klasse fahre im Winter auf Schiurlaub, und jetzt wolle er nicht mehr mitfahren.
Ich versuche, ihn zu beruhigen und verspreche ihm, daß er auf der Piste sicher nicht Gefahr laufen wird, in eine Gletscherspalte zu fallen. Ich zeige auf die Alpen und die größten, weiß eingezeichneten Bereiche. Und dort, sage ich und deute auf Innsbruck, muß ich am Wochenende hin, weil meine Großmutter Geburtstag hat.
"Die Arme!", ruft er, voller Mitleid mit meiner vom ewigen Eis umgebenen Oma. "Die muß dort leben!"
Die Steiermark sei ebenfalls ganz schrecklich, ereifert sich Yasar nun. Vater und Onkel hätten sich dort verfahren und mußten aus dem Auto aussteigen; sofort wurden sie von riesigen, blutsaugenden Gelsen gestochen. "So groß!", erklärt er und spreizt Daumen und Zeigefinger fast zehn Zentimeter weit.
"Das glaube ich nicht", widerspreche ich, "so große Gelsen gibt es eher nicht."
"Doch!" Er läßt sich nicht überzeugen.
Was ist jetzt los? Fürchten sich die Kinder plötzlich vor dem österreichischen Hinterland?
Vielleicht waren sie ja auch noch nie auf einem Berg, und kennen Schneeregionen nur von Photos. Dann das: Finstere Abgründe, die man nicht sieht, weil sie zugeweht sind; ein falscher Schritt, und man stürzt in die eisige Tiefe. Und wird erst in fünftausend Jahren wiedergefunden ... ja, das klingt wirklich angsteinflößend.
Aber vielleicht haben sie sich gemerkt, was ein Gletscher ist. Dann habe ich schon ein bißchen gewonnen.
Kommentare_