Kino_Darf ich bitten?

Selbstverwirklichung im Wiegeschritt

Ein frustrierter Angestellter entdeckt seine Leidenschaft für Gesellschaftstanz und gewinnt dadurch neue Lebensfreude. In Japan war das 1996 ein Kassenschlager ...    04.11.2004

Wieder einmal nahm sich Hollywood eines fernöstlichen Stoffes an - und schickt in "Darf ich bitten?", dem Remake von Masayuki Suos "Shall we dansu?", Richard Gere und Jennifer Lopez aufs Parkett. Gere mimt den erfolgreichen Anwalt und Familienvater John Clark. Allabendlich sieht dieser aus der S-Bahn eine melancholisch blickende Frau (Lopez) im Fenster einer Tanzschule stehen. Fasziniert von der schönen Unbekannten, entschließt er sich, selbst dort Unterricht zu nehmen und trifft dabei auf eine Ansammlung skurriler Gestalten, darunter auch seinen Kollegen Link Peterson (Stanley Tucci), der mit Fransenperücke und brauner Schminke den Latin Lover markiert.

Gilt Clarks Hauptinteresse anfangs noch der Tanzlehrerin Paulina, so entdeckt er im Laufe der Zeit seine Begeisterung für Walzer & Co. Dabei blüht der Jurist dermaßen auf, daß seine Frau (Susan Sarandon), der er die ganze Geschichte verheimlicht hat, sogar einen Privatdetektiv anheuert, um die vermeintliche Affäre ihres Mannes aufzudecken. Bei einem Tanzwettbewerb kommt es zur großen Konfrontation.

US-Remakes von japanischen Filmen zu drehen, kann seine Tücken haben, wie hier deutlich wird. Das Original gewann seinen Reiz daraus, daß es in Japan eine extrem exotische Angelegenheit ist, einem Vergnügen wie dem klassischen europäischen Paartanz zu frönen - für einen angepaßten kleinen Angestellten eigentlich undenkbar. Somit bedeutete für den Protagonisten das Schwelgen im Dreivierteltakt gleichzeitig auch den Ausbruch aus den Zwängen der ihn umgebenden Gesellschaft. Der krasse Gegensatz zwischen striktem Arbeitsalltag und dem Austoben bei Tango und Foxtrott sorgte sowohl für Komik als auch für rührende Momente.

All dies geht weitgehend verloren, wenn sich ein amerikanischer Anwalt auf die Tanzfläche schwingt, zumal dieser hier auch noch von Charmeur Richard Gere verkörpert wird. Und damit ergeben sich auch Ungereimtheiten im Plot: Da im amerikanischen Kontext Gesellschaftstanz ein denkbar harmloses Hobby ist, leuchtet nicht so recht ein, warum John seine neue Freizeitbeschäftigung partout vor Familie und Kollegen geheimhält. Der Grund, den er schließlich dafür angibt ("Ich habe mich geschämt, daß ich unglücklich mit meinem Leben war"), überzeugt nicht wirklich. Ganz zu schweigen von der Grundsituation: Daß ein gutverdienender US-Anwalt mit der Bahn zur Arbeit fährt, ist schlichtweg unglaubwürdig.

Trotzdem ist "Darf ich bitten?" eine über weite Strecken sympathische, wenn auch konventionelle kleine Komödie geworden. Dafür sorgen die flotte Inszenierung und die gut aufgelegten Darsteller. Vor allem Stanley Tucci hat sichtlich Freude an seiner Rolle als durchgeknallter Anwalt in der Midlife-Krise. Die Tanzszenen sind gut choreographiert, und die Nebenfiguren sind, trotz einiger Klischees, liebevoll gestaltet. Gegen Ende hin werden allerdings mit Gewalt noch Konflikte heraufbeschworen, die ebenso unnötig wie unlogisch sind.

Anne Herskind

Darf ich bitten?

ØØØ

(Shall We Dance?)


USA 2004

100 Min.

dt. und engl. OF

Regie: Peter Chelsom

Darsteller: Richard Gere, Jennifer Lopez, Susan Sarandon u. a.

 

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