Kino_Hautnah

Grausames Liebesspiel

Das Kammerstück von Regie-Altmeister Mike Nichols seziert ebenso intelligent wie schonungslos die Beziehungen zweier Paare.    13.01.2005

Wer Liebe vor allem mit Romantik verbindet, der ist in "Hautnah" am falschen Platz (bzw. im falschen Film). Hier ist Liebe grausam und zerstörerisch, und doch – wenn zum Schluß der lapidare Satz fällt "Ich liebe dich nicht mehr" - ist diese Ernüchterung schmerzlicher als alle Verletzungen zuvor. Dabei fängt alles ganz verheißungsvoll an für Alice (Natalie Portman) und Dan (Jude Law). Als sie sich zufällig auf Londons Straßen begegnen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie haucht "Hallo Fremder", und um ihn ist es geschehen. Die Ex-Stripperin und der erfolglose Schriftsteller verbringen einen Tag miteinander, und danach ist klar, daß sie zusammengehören.

Ein Jahr später: Dan steht kurz vor der Veröffentlichung seines Romans, zu dem ihn Alice inspirierte, und hat deshalb einen Termin bei der Fotografin Anna (Julia Roberts). Wieder verliert der Autor auf Anhieb sein Herz, doch Anna weist ihn aus Rücksicht auf Alice zurück. Dan kann Anna aber nicht vergessen, und verkuppelt sie unabsichtlich mit dem bodenständigen Dermatologen Larry (Clive Owen). Zwei Jahre später heiraten Anna und Larry – allerdings hat die erfolgreiche Künstlerin in der Zwischenzeit längst eine Affäre mit Dan begonnen. Als Larry dahinter kommt, sinnt er auf Vergeltung.

 

Regisseur Mike Nichols ("Wer hat Angst vor Virginia Woolf?") liefert in "Hautnah" eine präzise Analyse dessen, was passieren kann, wenn Menschen sich ver- und wieder entlieben. Eigentlich wollen Dan und Anna niemanden verletzen. Doch Verliebtsein macht egoistisch, und so greifen sie zu Lug und Betrug – ebenso wie später auch die beiden anderen Charaktere. Das ist aber noch nicht einmal das schlimmste. Denn wenn sich einer der Protagonisten erst einmal entschließt, die Wahrheit zu sagen, sind die Folgen umso katastrophaler. "Was ist so toll an der Wahrheit?", fragt Dan einmal. Und er wird in der Tat letztlich feststellen, daß das Beharren darauf, alles zu wissen, die Liebe nicht zu retten vermag, sondern sie vielmehr für immer zerstören kann.

Dabei ist "Hautnah" kein zynischer Film. Es geht allerdings auch nicht darum, eine einfache Moral zu vermitteln. Vielmehr gelingt Nichols eine dermaßen erwachsene und komplexe Abhandlung über Liebe und Eifersucht, Vertrauen und Betrug, wie man sie lange nicht mehr im amerikanischen Kino gesehen hat. Der Film beruht auf dem Erfolgstheaterstück "Closer" von Patrick Marber, der hier auch das Drehbuch verfaßt hat. Sowohl Marber als auch Nichols ist eine Oscar-Nominierung dringend zu wünschen, ebenso wie den vier Hauptdarstellern, die hier zu Höchstform auflaufen. Dies gilt insbesondere für Clive "King Arthur" Owen, der als Larry eine unglaubliche Leinwandpräsenz entwickelt. Kein Wunder allerdings: Owen wirkte bereits in der Londoner Bühnenproduktion mit – in der Rolle des Dan.

Anne Herskind

Hautnah

ØØØØØ

(Closer)


USA 2004

103 Min.

dt. und engl. OF

Regie: Mike Nichols

Darsteller: Julia Roberts, Jude Law, Natalie Portman, Clive Owen u. a.

 

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