Kino_Constantine

The Matrix Exorcism

Kann das gut gehen, wenn ein Videoclip-Futzler wie Francis Lawrence Alan Moores lyrischen Comic ausgerechnet mit Keanu Reeves verfilmt?    17.02.2005

Wenn Britney Spears´ Mann für Ledertanzbären-Videos sich an eine Comicverfilmung als Erstlingswerk in Sachen abendfüllender Spielfilm heranwagt, bekommt der Kinogeher es mit der Angst zu tun. Spielt darin auch noch der Meister der Eindimensionalität, Keanu Reeves, einen ultracoolen, lungenkranken und suizidgefährdeten Exorzisten, türmen sich bereits die Vorurteile im Cineastenherz. Doch halt! Oft kommt es anders, als man denkt. "Constantine" übertrifft diese Befürchtungen noch bei weitem und beschert uns 120 sehr lange Minuten voll diabolischer Sinnlosigkeit. Einer der wenigen Pluspunkte: Britney Spears selbst darf nicht mitspielen.

Das bleibt dem Frontmann der Rockgruppe Bush, Gavin Rossdale, leider nicht erspart. Der Mann an der Seite Gwen Stefanis, der scheinbar ebenfalls versucht, sich in der Filmbranche ein zweites Standbein zu schaffen, beweist nicht gerade ein glückliches Händchen bei der Auswahl seiner Rollen. Da es an seiner schauspielerischen Leistung als Dämon Balthazar aber noch am wenigsten auszusetzen gibt, sei der gute Sänger an dieser Stelle entschuldigt. Aller Anfang ist schwer.

Kein Pardon aber mit Francis Lawrence, besagtem Regisseur, der sich hier sehr vertan hat. Der perfekte Absprung vom Videoclip-Futzler zum großen Spielfilmmacher sollte Könnern wie David Fincher vorbehalten bleiben. Beim Versuch, in dessen überlebensgroßen Fußstapfen zu wandern, fällt zwar niemand auf seinen Metastasenschmäh herein, dafür Lawrence selbst ganz hart auf den Allerwertesten. Schuster, bleib bei deinen Leisten!

 

Aber der Reihe nach: John Constantine (Reeves) war in der Hölle und wurde wieder retourniert. Mit der Gabe Halbblut-Engel und -Dämonen mit freiem Auge erkennen zu müssen, hadert er sehr. Arg gebeutelt von gar schrecklichen Visionen begeht er Selbstmord, wird gegen seinen Willen (und gegen den Willen des Publikums) reanimiert und muß ab sofort als gebrandmarkter Selbstmörder, der eine zweite Chance bekommt, das Böse in Form von Dämonen bekriegen. Warum? Weil das nun mal so ist, wenn die Hölle einen nicht haben will!

Constantine selbst ist ganz absichtlich kein Guter, weil der Film auch noch eine gesunde Nachricht parat hält. Zwischen diversen Dämonengerangeln ergibt sich Constantine dem Alk und dem ganz bösen Nikotinkonsum. Hier ist die scheinmoralische Botschaft des Films verankert: "Kinder, tut´s nicht rauchen, weil mit Lungenkrebs holt euch nicht mal der Teufel!" Die ganze Chose wird auch noch gesponsert von der "Philip Morris Youth Smoking Prevention" (sic!). Man kann eigentlich gar nicht so viel tschicken, wie man kotzen müßte.

So kämpft Keanu Reeves mit einem Dauerglimmstengel in der rechten ausdrucklosen Maulecke und einer heiligen, güldenen Pumpgun in Kruzifix-Form im Anschlag um unsere Seelen in der Matrix des Satans. Er lehnt als Tabakheroe selbstredend Bewunderung, Dankbarkeit und Mitgefühl ab. Mit Entsetzen muß er feststellen, daß ein mexikanischer Bauarbeiter den Speer des Schicksals gefunden hat. (Das Teil mit dem sie den Heiland anno dazumal erstochen haben und der von den Nazis geraubt wurde - ja, so war das!). Diesen trägt der Mann flugs und quer durch zwei Kontinente zum bereits erwähnten Dämon Balthazar. Sind halt gut zu Fuß diese Mexikaner und müssen das immer zwanghaft beweisen. Der Speer als rituelle Wunderwaffe kann nun einiges, unter anderem Satans Sohn Geburtshilfe leisten. Und das muß natürlich verhindert werden.

Mit ihm im Kampf vereint: eine verzweifelte Polizeidetektivin (Rachel Weisz) samt gefälschter Selbstmordzwillingsschwester, sein jugendlicher Pfeifendeckel, ein Pater mit ungestilltem Durst und der Q jedes Teufelsaustreibers, der Constantine mit altmodischen Waffen, wie zum Beispiel Drachenatem (!) versorgt.

Gegen Ende muß unser Held sogar an der Redlichkeit des Erzengels Gabriel zweifeln. Der ist übrigens eine Frau (Tilda Swinton); dafür bleibt die Rolle des Teufels (nicht ganz unlustig: Peter Stormare) aber einem Mannsbild vorbehalten.

 

Nicht jeder Film mit Keanu Reeves muß ja zwingend schlecht sein, auch wenn es oft so ist. Mit Van Sants "My Own Private Idaho" durfte der nichtssagende Schönling sogar unverhofft in einem kleinen Meisterwerk mitwirken. Seine Rollen in Coppolas "Dracula", "Speed" oder zuletzt "The Matrix" waren schauspielerisch so aus- und angelegt, daß mangelndes Talent aus einem guten oder gar sehr guten Film keinen schlechten mehr machen kann. Reeves ist ein ausgewiesener Topstar in Hollywoods Filmwelt und sein Name zieht. Daher steht er auch ganz oben auf den "Wünsch dir was"-Listen der Casting-Agenturen. Ihn hier ins Spiel zu bringen war aber ein schwerer Fehler und spricht auch für die Unerfahrenheit des Regisseurs. Warum? Weil Edward Norton, Gary Oldman oder Tim Roth den ganzen Film noch auf ein Mittelmaß herüberretten hätten können. So bleibt nur die infantile Teufelsgeschichte, ein von einem Tabakkonzern gesponserte Lungenkrebswarnung und eine Handvoll diabolischer Spezialeffekte. Das ist nicht viel für einen zweistündigen Film.

Daher die gutgemeinte Empfehlung: In ein paar Monaten die DVD ausborgen und die Kinokarte sparen. Ohne die Comic-Vorlage (von DC/Vertigo) zu kennen, ist "Constantine" sicher die mit Abstand schlechteste Umsetzung einer solchen seit langer Zeit. Hier haben "Hulk" und zuletzt "Spider-Man 2" die Latte aber auch hoch gelegt. Diese mit einem Bauchfleck zu unterspringen, hat Lawrence aber garantiert niemand angeschafft.

Walter Reiterer

Constantine

Ø 1/2


USA 2005

121 Min.

dt. Fassung und OF

Regie: Francis Lawrence

Darsteller: Keanu Reeves, Rachel Weisz, Djimon Hounsou u. a.

 

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Flame War in Comicland


Wenig bis gar nicht zufrieden zeigte sich auch der Erfinder der Figur des John Constantine. Alan Moore hat dem "Hellblazer" in der Comic-Serie "Swamp Thing" bereits in den 80er Jahren Leben eingehaucht. Damals war Constantine nicht nur blond, sondern auch Engländer. Der Comic selbst gilt unter Liebhabern als lyrisches Meisterwerk, weswegen Moore per Presseaussendung auch verlautbaren ließ, daß er nichts, aber auch gar nichts mit diesem Machwerk zu tun haben will. Er scheint auf eigenen Wunsch auch nicht in den Film Credits auf. Bemerkenswert: Das Honorar für die Rechte hat er wohl einkassiert, aber auf seine Mitarbeiter und Co-Autoren Rick Veitch and Stephen Bissette aufgeteilt. Die Folge war ein heftiger und öffentlicher Flame War zwischen Moore, Warner Bros. und den Produzenten des Films. Moore wurde von den Machern vorgehalten, chronisch negative Reflexe auf Verfilmungen seiner Werke zu zeigen, worauf dieser den Produzenten mitteilten ließ, daß sie nie wieder einer seiner Arbeiten verfilmen werden dürfen. In der Tat hat sich Moore bereits in der Vergangenheit brav zickig gezeigt, was die (schlechte) filmische Umsetzung seiner Comics betrifft. Schon bei der "Liga der außergewöhnlichen Gentlemen", die ebenfalls auf einer Moore-Vorlage basiert, hat er ein hohes Schweigegeld kassiert und dieses nonchalant umverteilt. Ein seltenes Exemplar eines listigen und gescheiten Kreativen, der seine Prinzipien mit dem Mammon in Einklang zu bringen vermag. Die Welt braucht mehr Alan Moores.

 

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