Kino_The Brothers Grimm

No Fear and Loathing im Märchenwald

Terry Gilliam macht sich nach siebenjähriger Regiepause endlich wieder an die Arbeit und serviert uns die Gebrüder Grimm als recht halbgare Ghostbusters.    07.10.2005

Im von fiesen, Froschschenkel-fressenden Franzosen besetzen, finsteren Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts schlagen sich die Brüder Will (Matt Damon) und Jake Grimm (Heath Ledger) als Geisteraustreiber durch. Das Geschäft mit dem Aberglauben zu jener Zeit ist ein Erkleckliches, überall wimmelt es nur so von Hexen, Gnomen und Dämonen. Dabei helfen die beiden ordentlich nach, bringen die Geister, die sie austreiben sollen in Form eines eigenen frühzeitlichen FX-Teams gleich selbst mit, für den wahrscheinlichen Fall, daß echte Gespenster doch nicht auftauchen. So ziehen sie vor Zeugen ihre Horrorshow ab, kassieren ein ordentliches Honorar und sind sich der Fangemeinschaft des dämonenbefreiten Dorfes sicher. Ganz besonders der weiblichen - Groupies anno 1811. Kurzum - die beiden sind smarte Betrüger und gut im Geschäft, nur der kleine Jacob redet gerne zu viel, wenn er dem Wein zugesprochen hat.

Doch schnell ist es vorbei mit der Wonne und der Wollust als sie direkt aus ihren Betten von französischen Soldaten festgenommen und dem Statthalter Delatombe (Jonathan Pryce) vorgeführt werden. Der hat das Spiel der beiden durchschaut und ein Problem: Im Städtchen Marbaden sind zehn Mädchen verschwunden und die beiden Ghostbuster sollen den Fall, gemeinsam mit Delatombes rechter Hand (großartig: Peter Stormare) aufklären. Da sich als Alternative nur eine Hinrichtung anbietet, sagt das Brüderpaar schnell zu.

Das Dorf aus dem permanent junge Mädchen verschwinden (darunter Rotkäppchen und Gretel - sic!), ist naturgemäß umgeben von einem finsteren und verflucht verfluchten Wald. Schnell ist klar, daß die Mädels aus dramaturgischen Gründen da drinnen stecken müssen. Orientierungslos angesichts des dichten Geästs verpflichten

die Gebrüder die hiesige und ungeliebte Fährtensucherin Angelika (Lena Headey) als Reiseleiterin, die sie zu einer verfluchten (no na) Lichtung mitten im Wald führt, wo man mit obskuren Apparaturen und einer Exorzistenrüstung ausgerüstet, die ersten Spuren sammelt. Schnell wird dem Gespann klar, daß es sich dieses Mal um keinen Spaß handelt, sondern um Tod oder Leben geht. Aber es kommt noch schlimmer: Alle Geschichten, die Jacob in seinem Buch aufgeschrieben hat, werden Wirklichkeit. Es gibt die Märchenmonster alle und sie leben in einem höchst vitalen Wald, dessen Bäumen nicht zu trauen ist: Der böse Wolf, die Spiegelkönigin (Monica Belucci) Aschenputtel, Schneewittchen, Rapunzel und die sieben Raben. Was sich in der letzten Stunde des Films abspielt, ist wahrscheinlich Gilliams kindlichem Gemüt zuzuschreiben. Aus den gewalttätigen Märchen der Gebrüder wird ein beinah kinderkompatibles Fantasy-Action- Spektakel mit zum Teil sehenswerten Spezialeffekten. Gilliam-Style halt – schaurig schöner Showdown inklusive.

 

Eigentlich schade, denn betrachtet man beispielsweise das Potential von Hänsel und Gretel, dann hätte man da problemlos die ab-18-Grenze überschreiten können: Zwei Kinder verirren sich im Wald, werden von einer alten Schreckschraube gefangen, das Mädchen zur schwersten Kinderarbeit abgerichtet, der Junge in einem Käfig gemästet um später die kannibalischen Gelüste der Alten zu befriedigen. Bevor sie den Buben schlachten und ausnehmen kann, wird sie jedoch vom Mädchen bei lebendigem Leib abgefackelt. Die hinter einer lieblichen Sprache versteckte Brutalität der Grimms kommt aber erst am Ende des Märchens zu Tage, denn nachdem die beiden Kinder nach Hause zurückgefunden haben, waren alle zusammen darüber froh, daß ihre böse Mutter zwischenzeitlich endlich abgekratzt ist (wie die Hexe im Wald). Lesen Sie das Zeug mal. Das ist der wirklich harte Stoff. Diesen hat Gilliam mit Absicht zur Unkenntlichkeit weichgespült. Es bleibt trotzdem ein passabler Film, der jedoch weder etwas mit den Gebrüder Grimm, noch mit ihren genialen Märchen zu tun hat.

Vielmehr verwünscht sich der Monty-Phyton-Mitbegründer in einem opulenten Bilderrausch des Infantilen selbst und verliert zugleich an Höhe ohne völlig abzustürzen. Dabei gehen Meisterwerke wie

"Brazil", "Twelve Monkeys" oder " Fear and Loathing in Las Vegas" auf das Konto des heute 64-jährigen.

Gemessen daran wirkt das Filmchen heiter bis belanglos, als zweistündiger Eye-Catcher aber durchaus sehenswert, wenn man bedenkt, daß er in dem Genre eigentlich konkurrenzlos dasteht.

Walter Reiterer

The Brothers Grimm

ØØØ 1/2


USA/CZ 2005

118 Min.

dt. und engl. OF

Regie: Terry Gilliam

Darsteller: Matt Damon, Heath Ledger, Jonathan Pryce, Peter Stormare, Monica Belucci u. a.

 

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