Stories_Serena Maneesh/Emil Nikolaisen

Ein Hoch der Vielbeschäftigung

Wenn er nicht im Proberaum steht, sitzt er im Studio hinter den Reglern. Hält er es dort nicht mehr aus, geht er auf Tour. Kein Zweifel: Emil Nikolaisen ist ein besonders umtriebiger Musiker.    24.11.2005

Vorsätze werden besonders gerne zum Jahreswechsel gefaßt und meist schon dann wieder verworfen, wenn sich der in der Silvesternacht erzechte Kater aus den pochenden Schläfen zu verziehen beginnt.

Versprechen an sich selbst können aber auch kalenderunabhängig gefaßt werden und folgendermaßen lauten: "An dem Tag, an dem ich über alle Projekte Emil Nikolaisens samt deren Nebengeräuschen Bescheid weiß, werde ich aufhören, norwegische Musik zu hören." Bei meiner Vorliebe für skandinavische Töne liegt dem Schwur (vorausgesetzt, ich nehme ihn halbwegs ernst - und das habe ich schließlich vor. Wirklich!!) eine erhebliche Drohung bei. Der Einsatz ist hoch, und doch wohlüberlegt. Ehrlich gesagt rechne ich nach wie vor nicht damit, ihn je einlösen zu müssen, um nicht als zu großmäulig dazustehen. Die Umtriebigkeit des Osloer sprach - und spricht immer mehr - gegen ein baldiges Brechen.

Meine erste Begegnung mit Emil Nikolaisen war eine bildhafte und ging unbemerkt vorüber, da sich jemand anderer in den Vordergrund drängte. Das Osloer Gratisblatt "Natt & Dag" hatte 2001 seine Novemberausgabe um eine Heftbeilage ergänzt, die die 20 besten Bands Norwegens auflistete. Der Großteil davon rangierte freilich noch im Bereich "Zukunftshoffnung", so auch die Glamrockpunkband Silver, die sich inklusive Drummer Emil am Cover in Pose warfen. Gabba Gabba Hey Hey. Die Frontfigur ließ durch ihren Hüftknick und den Faltenwurf der Kleidung eine Frage offen: Was bin ich? Sänger (richtig) oder doch Sängerin (falsch)? Eine weitere zutreffende Antwortmöglichkeit wäre gewesen: Einer von Emils Brüdern, Ivar, ansatzweise auf androgyn frisiert. Eine derartig eindeutige, großflächige Empfehlung macht neugierig auf die Musik hinter dem Foto. Die EP "1-2-3 Riot" löste zunächst - obwohl für gut empfunden - keinen Funkenflug aus. Zu engstirnig und weichgespült waren damals meine Vorlieben, um die Erkenntnis zuzulassen, daß die Empfehlung mehr als berechtigt war.

Bildhaft war auch meine zweite Begegnung. Erste Reihe fußfrei saß Emil inmitten einer Schar von Musikern seines Landes beim vom norwegischen "Mute"-Magazin verordneten Gruppenbild. Zweck des Ganzen war es, die Festivalauftritte einiger Auserwählter zu bewerben. 59 Personen auf einem Haufen, der weder krampfhaft geordnet war noch in ein wirres Durcheinander zerfiel. Vielmehr wirkte es so, als ob gerade jene nebeneinander stünden, die einander freundschaftlich verbunden wären. Neben Emil blinzelte bei der Aufnahme die Songschreiberin Maria Solheim in die Kamera. Eine Zusammenarbeit konnte da doch nur eine Frage der Zeit sein! Und richtig: Für das Album "Frail" holte sich Solheim Emil als Produzenten. Es sollte nicht Emils einzige Übernahme der Produzentenrolle bleiben; "White Diary" von Silver wäre ein weiteres Beispiel. Bei Erscheinen des hochgelobten Albums begann sich der Abschied Emils von der Band abzuzeichnen. Hier (Silver) wie da (The Loch Ness Mouse) mitzuspielen ist ja gut und schön, bloß: Was tun, wenn dadurch die eigene Herzensangelegenheit (Serena Maneesh) unter die Räder kommt und aus Zeitmangel auf der Strecke zu bleibn droht? Konsequenterweise gibt es nur eine Möglichkeit: Sich dafür Platz im Terminkalender zu schaffen.

Der Norweger setzte tatsächlich den Schnitt an und trennte sich nicht nur von der Band seines Bruders, sondern stieg gleichzeitig auch noch bei einer zweiten Truppe aus: The Loch Ness Mouse lassen ihre Harmonien von den Beach Boys an Steely Dan vorbeilaufen und hätten eigentlich schon längst neben Essex Green und den Apples in Stereo in die Elephant6-Familie aufgenommen worden sein müssen. Den in diesen Tagen frisch aus der Presse kommenden Tonträger der Mäuse abzumischen, ließ sich Emil trotzdem nicht nehmen. Gleiches tat er nebenbei ebenfalls noch für die Joy-Division-liebenden The Beautiful People.

 

Wenn Serena Maneesh also noch keineswegs das einzige bleibt, mit dem Emil den musikversessenen Teil seiner Tage füllt, so hat er doch die Prioritäten eindeutig zu Gunsten dieses Projekts verschoben. Die Umgewichtung tat der Selbstfindung hörbar gut. Wurde auf "Fixxations", der ersten EP, teilweise recht deutlich bei Velvet Underground abgeschrieben, warf der Sound von EP No. 2 bereits einen Blick nach vorne. Der Weg war das Ziel, das Ziel aber noch nicht bis ins kleinste Detail definiert. Mit "Zurück" sammelten Nikolaisen & Co. fünf zwischen den Jahren 1999 und 2003 aufgenommene Stücke auf, die diese Suche sehr schön reflektieren. Veröffentlicht wurde das Kleinformat nach mehrmaligem Hinauszögern erst 2005, als kurzfristig eingeschobener Vorbote auf das selbstbetitelte Albumdebüt. Warum die Wartezeit, wenn das Material doch schon in einer gebrauchsfertigen Form vorlag? Warum die Änderungen im Detail? Weil Emil einfach ganz bewußt seine Klang-Zeichen setzen wollte und sich nicht so schnell mit einem Ergebnis als absolut zufrieden gab. Besonders deutlich tritt das beim Album hervor, bei dem jede kleinste Tonverschraubung perfekt sitzt. Manche nennen das Perfektionismus. Dem Norweger selbst entschlüpft im Gespräch das Wort "Besessenheit". Es ist eine Besessenheit von der ständigen Weiterentwicklung nach Innen, dem Erforschen jedes Winkels. Die sonischen Verschachtelungen nötigen ein Versenken in sich selbst ab. Ein unbedarftes, an klar strukturiertes akustisches Gitarrengeschramme gewöhntes Ohr wird mit dem blühenden Beiwerk zur Gesangslinie zunächst noch seine Schwierigkeiten haben und die Musik von Serena Maneesh vielleicht zur unkontrollierten Geräuschkulisse degradieren. Ein Fehlurteil sondergleichen!

Zu langweilen beginnt den Norweger allmählich, daß, um Serena Maneesh schwarz auf weiß einzuordnen, als Vergleichswert meist My Bloody Valentine herangezogen wird. Tatsächlich zeugt der Versuch, die Band in der Shoegazer-Ecke verstauben zu lassen von medialer Einfallslosigkeit. Nikolaisen selbst beweist sich als ideenreicher. My Bloody Valentine finden sich in seinem Plattenschrank, genauso wie The Jesus And Mary Chain, Spacemen 3 und diverse Krautrockereien. Das sagt zwar einiges, aber bei weitem nicht alles darüber aus, worauf er seine Energien als aktiver Musiker verwendet. Emil bleibt Realist, wenn er mit Nachdruck festlegt, daß Norwegen zu klein ist, um Serena Maneesh wirklich fassen zu können. Aus diesem Grunde zieht es ihn ins Ausland. Der Wunsch erfüllte sich früher als erwartet durch die Anfrage der Dandy Warhols. Der Part des Supportacts auf der Europatournee wäre noch frei - ob vielleicht Serena Maneesh .... ? Natürlich wollten sie und sorgten in Folge bei eingefleischten Dandy-Fans, die der Dinge und vor allem "Bohemian Like You" harrten, bisweilen für verstörtes Entgleisen der Mimik, bisweilen für glänzende Augen. Wenn es vielleicht auch noch dauern wird, bis die Band zu ihrem Publikum gefunden hat, so ist ihr die Aufmerksamkeit der Kollegen schon sicher. Neben Daniel Smith von der Danielson Family wirkt auf "Serena Maneesh" nämlich auch der große Sufjan Stevens mit.

Bernadette Karner

Serena Maneesh - Serena Maneesh

ØØØØ 1/2


Honeymilk (Norwegen 2005)

 

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Kommentare_

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