Stories_Mando Diao/Interview

Ochrasy United

Die Schweden machten nicht nur durch ihre Musik, sondern auch durch rotzfreche Vergleiche auf sich aufmerksam. Der naive Übermut ist weg - aber goschert sind sie heute noch.    28.09.2006

Was macht eigentlich Pete Doherty? Die Hysterie, die ihm sowohl vorauseilt als auch seinen Fußspuren folgt, legt sich mehr und mehr. Seit längerem bleiben wir hierzulande von einem Überraschungs-Gig des Mr. Moss in spe verschont. Das letzte Aufschwappen der Entgeisterungswoge ob einer Stippvisite seinerseits paßte jedenfalls perfekt ins Freizeitprogramm von Gustaf Norén und Björn Dixgård.

Für die beiden Sänger von Mando Diao erstreckte sich die Nacht vor einem mit Promoarbeit für "Ode To Ochrasy" angefüllten Tag bis in die frühen Morgenstunden. "Leute von unserer Plattenfirma meinten, Pete würde da in einem kleinen Lokal auftreten, also sind wir hingegangen", erzählen sie. "Es war schon cool, ihn zu sehen, aber besonders gut drauf war er nicht. Die meisten Stücke hat er gar nicht erst zu Ende gespielt. Ist halt schwer drogenabhängig. Bedauerlich." In der Tat. "Er ist ein guter Songschreiber, aber alles andere, wie er sich so aufführt, ist scheiße."

War es daher Absicht oder reiner blöder Zufall, daß das preßfrische Album der Schweden ebenso in ein Land jenseits der geographischen Greifbarkeit führt wie der Babyshambles-Erstling "Down In Albion"? Gustaf zeigt sich zunächst von der Frage überrascht - ihm sei bem Betiteln keinerlei Ähnlichkeit bewußt geworden -, lacht dann auf und meint, beim nächsten Mal "Down In Ochrasy" vorschlagen zu wollen.

 

Ochrasy - in diesem einem Wort fassen die Schweden das Gefühl zusammen, das sie auf offener Bühne auffängt und ihnen im Trubel Ruhe gibt. "Es beschreibt unsere Art, mit dem Leben umzugehen. Es ist wichtig, etwas zu haben, dem man vertraut, einen Ort, an den man sich zurücksehnen kann." Sie haben in aller Öffentlichkeit eine Möglichkeit gefunden, sich zurückzuziehen: "Wir können nicht nein sagen, haben immer zu tun. Frei haben wir eigentlich nur dann, wenn wir auf der Bühne stehen."

War es da nicht schwer, Platz für die Arbeit an neuen Songs zu schaffen? "Nein, überhaupt nicht, weil das gar nicht so lange dauert. Die Stücke entstehen meist ganz schnell. Wenn sie da sind, sind sie da. Sie finden dich, wenn du einschläfst oder wenn du morgens aufwachst."

Der aktuelle Tonträger ist kein Konzeptalbum im engeren Sinn. "Es gibt keine besondere Verbindung zwischen den Songs - außer daß darin Personen vorkommen, denen wir begegnet sind. Vieles handelt einfach von uns und dem, was wir so tun." Nette Erklärung, aber so ganz läßt sich dadurch der Eindruck einer besonderen Zusammengehörigkeit der Stücke, die es aufs Album geschafft haben, nicht abschütteln.

 

Nach dem glattpolierten "Hurricane Bar" ist den Skandinaviern ein durchwegs rundes Ganzes gelungen, bei dem die Einzelteile am richtigen Platz sitzen. Mag sein, daß die ganz klaren Ausreißer nach oben fehlen, die sich eindeutig als Single-Auskopplungen aufdrängen würden. Stattdessen landet die auferlegte rauhe Schale im weichen Kern.

"Wir wollten das Album in unterschiedliche Kapitel einteilen. Deshalb haben wir genau die Songs ausgewählt, die du jetzt hören kannst." Ein solches Kapitel umfaßt nicht mehr als zwei, drei Stücke, deren Zusammengehörigkeit die beiden Frontmänner in der sie durchströmenden Dunkelheit oder im hervorblitzenden Wahnsinn mit humoristischen Einsprengseln sehen. Gewolltes Zurückschrauben von Lautstärke und Eitelkeiten hält zum Ende des Albums einige Minuten der Introspektion bereit. Die Schlußnummer bleibt hingegen von der Paarbildung in Kapitel ausgeschlossen - sie distanziert sich durch den Verzicht auf lautes Aufbrausen und elektronische Hilfsmittel. Björn singt zur akustischen Gitarre über ihr selbstgeschaffenes Rückzugsgebiet; genau in diesem abschließenden, uneitlen Moment wird "Ochrasy" greifbar und glaubhaft.

 

"Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre das noch nicht das Ende gewesen. Ich hätte am liebsten 20 Stücke raufgepackt", wirft Gustaf ein, der findet, daß lange Tonträger sowieso am besten wie Bücher benützt werden sollten. "Man muß sich ja nicht immer alles ohne Unterbrechung anhören, sondern hört mal da rein, mal dort rein. Eine Novellensammlung soll man ja auch nicht von der ersten bis zur letzten Seite lesen, ohne zwischendurch das Buch einmal zur Seite zu legen."

Bloß nicht zuviel auf einmal, nicht übersättigen. Lieber weiterschalten und eine neue Ecke erforschen, bevor Ermüdungserscheinungen auftreten - und dann wieder an den Anfang, zu den ersten Favoriten zurückkehren. Ein Album soll ja mehr als ein bloßer kurzer Konsumrausch sein, kann das aber nur, wenn die Qualität nicht zu abrupt abfällt. Überlänge steht weiter unten in der Wunschliste der Plattenfirmen. "Die wollen natürlich möglichst viel verkaufen und daß die Journalisten lobend über den Release schreiben ..." 12, 14 Stücke, die eingeplanten Singles an den Anfang gesetzt, um eine positive Bewertung heraufzubeschwören; so sieht die Idealform aus, um möglichst viel zu verkaufen.

"Du sollst das Album lieben, also wirst du oft zunächst mal die fünf besten Songs zu hören bekommen ... Was aber, wenn das alles war und danach nur mehr Müll kommt? Das ist Betrug! Nach spätestens sechs Monaten willst du von der Scheibe nichts mehr wissen wollen, und sie ist für dich gestorben." Die längsten Überlebenschancen bei Gustaf hat "The Love Below" von Outkast, obwohl - oder auch weil - er es sich noch nie durchgehend von Anfang bis Schluß angehört hat. "Wenn du das Album kennst, weist du auch, worauf ich hinaus will, wenn ich sage, daß etwas wie eine Novellensammlung funktioniert. Man kann es nach und nach aufblättern, unglaublich viel entdecken, aber auch einmal weglegen. Wenn du es nach ein paar Monaten wieder auflegst, ist die Faszination immer noch da."

 

Als Produzent für "Ode To Ochrasy" war Björn Olsson angefragt. Letzen Endes aber mußten Mando Diao wieder selbst Hand an den Tonträger legen. Das Arbeitsverhältnis wurde sehr schnell brüchig, die Zusammenarbeit aufgelöst. Der Grund lag bei Olsson, so Björn Dixgård. "Er ist ein Bohemien, fand das ganze Drumherum wie Pressearbeit und Absprachen mit der Plattenfirma einfach nur lästig. Er lebt ja fast wie ein Eremit und wollte am liebsten gleich wieder auf seine Insel zurück." Was noch dazu kommt, ist, daß er Stockholm nicht ausstehen kann. "Ich habe noch niemanden getroffen, der die Stadt mehr haßt als Björn", fügt Gustaf hinzu. "Ihn streßte allein schon der Gedanke daran, nach Stockholm zu müssen. Wir wollten aber nicht schon wieder von zu Hause weg; schließlich kamen wir gerade erst von einer Tour und waren 200 Tage unterwegs gewesen. Für uns war klar, daß wir während der Arbeit zu 'Ochrasy' in unseren eigenen vier Wänden wohnen mußten. Was anderes hätten wir nicht ausgehalten." Die Trennung war absehbar. Anstatt einen Vollzeit-Ersatz für Olsson zu suchen, machten sie sich lieber selbst ans Werk.

 

Die großen Erfolge in Schweden werden durch Kent oder Håkan Hellström geschrieben; die wirklich Großen singen in der Muttersprache. Wo reihen sich Mando Diao ein? "Wir haben schon ganz gut verkauft", gibt Gustaf zu, was Björn sogleich relativiert. Der ihnen entgegengebrachte Respekt sei außerhalb der Landesgrenzen größer. "Wir entsprechen nicht den Vorstellungen, merkwürdigerweise, und tun nicht, was von uns erwartet wird. Wir sind jung und sagen, was wir denken, und genau das ist in Schweden scheinbar ein Fehler."

Sind Mando Diao also nicht schwedisch genug? "So kann man das auch wieder nicht sagen", antwortet Gustaf. "In allen Ländern mögen die Leute natürlich Bands, die in ihrer eigenen Sprache texten. Ich persönlich halte mich da lieber an alte schwedische Folkemusik als an Hellström."

 

Zu "Bring ´em In"-Zeiten meinten sie schon mal in Interviews, daß gute Rockmusik in Schweden nicht zu finden sei. Hat sich seit damals etwas geändert? "Musikalisch hat sich schon was verändert", stellt Gustaf fest und lacht auf. "In Borlänge gibt es jetzt viele kleine Mando Diaos, von denen viele auch wirklich gut sind. Die Plattenfirmen signen sie aber nicht, es passiert nichts. Sie denken wahrscheinlich zu sehr an den schwedischen Markt, daran, was in Schweden funktioniert. Wenn da etwas scheinbar nicht reinpaßt, ist es für sie unvorstellbar, daß es woanders ankommen könnte. Außerdem gehen sie lieber auf Nummer sicher und binden Bands an sich, die in der Vergangenheit Erfolge hatten. Stattdessen sollten sie an die Zukunft denken und junge Künstler aufbauen, die noch was zu sagen haben. Mit 19 hatten auch wir mehr Energie - da hättest du uns sehen sollen!"

Keine Angst, diese (nicht zum ersten Mal) geäußerte Feststellung bedeutet keineswegs, daß sich Mando Diao in Bälde aufs Altenteil zurückziehen und nur mehr auf die Rock´n´Roll-Frühpension warten. Tatsächlich ist Gustaf alles andere als unzufrieden mit dem Ist-Zustand, sondern findet, daß er mit seinen Band-Kollegen die perfekte Mischung aus Spontanität und Überlegtheit gefunden hat. Zumindest für den Moment.

 

Mit der internationalen Orientiertheit der schwedischen Musikbranche ist es seiner Meinung nicht so weit her. Die Impulse dazu, aufs Ausland zu setzen, gehen vor allem von den Bands selbst aus. "TSOOL, die Caesars oder die Hives haben sich dazu entschlossen, genauso wie wir. Schweden ist uns scheißegal. Es ist ein so verdammt kleines Land. Bands, die nur da groß sind, müssen sich ja wirklich langweilen. Okay, du bist einen Monat auf Tour, dann hast du aber auch wirklich überall in Schweden gespielt. Was dann? Ins Studio und an Songs arbeiten, vielleicht alle zwei Jahre ein Album veröffentlichen und hoffen, daß sich noch ein paar Konzerte ergeben? Das muß fürchterlich langweilig sein. Als Band will man ja nun mal raus auf die Bühne!"

 

Genau dort sind Mando Diao in den nächsten Wochen anzutreffen. Am 16. November treten sie in der Wiener Stadthalle auf. Wir bitten zum Konzert.

Bernadette Karner

Kommentare_

elli - 29.08.2007 : 15.41
äähhh...ja.
tolles interview^^

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