Kino_Syriana

Im Spinnennetz

Kann Systemanalytik spannend sein? Und wie! Das belegt der neue Film des "Traffic"-Autors Stephen Gaghan mit George Clooney und Matt Damon in den Hauptrollen.    24.02.2006

Wenn es einem als Zuschauer nach dem Kinobesuch von "Syriana" irgendwie schwindelig und schummerig zumute ist, so ist wohl das eingetreten, was Regisseur und Autor Stephen Gaghan mit seinem Film erreichen wollte. Das komplizierte Namensgeflecht, die versteckten Intrigen und Verwicklungen, millionenschwere Deals und Verschwörungen - all das ist Teil eines großen Puzzles, das auf den Namen "Ölgeschäft" lautet. In dieses Netz verstrickt sich auch der erfahrene CIA-Agent Bob Barnes (George Clooney). Erst als er schon in die Falle getappt ist, merkt er, daß sein alter Auftraggeber ein doppeltes Spiel mit ihm spielt. Ähnlich ergeht es auch dem ehrgeizigen Karriereanwalt Bennet Holiday (Jeffrey Wright). Eigentlich soll der die Fusion zweier Mineralölkonzerne untersuchen, doch je mehr er mit seinen Nachforschungen Unangenehmes zutage fördert, desto stärker wird er von den machtbewußten Interessensgruppen unter Druck gesetzt. Der Energie-Analyst Bryan Woodman (Matt Damon) berät einen Prinzen (Alexander Siddig), der mit seinem Bruder um die Thronnachfolge kämpft. Und dann gibt es da noch den jungen pakistanischen Gastarbeiter Wasim (Mazhar Munir). Als er im Zuge eines Eigentümerwechsels an einem Ölfeld seinen Job verliert, fällt er radikalen Islamisten in die Hände, die ihn für ihre Sache zu instrumentalisieren wissen.

Es gibt den Tag und die Nacht, das Schwarz und das Weiß und irgendwie zwischen diesen beiden Polen liegt das kleine Fleckchen, an dem beides zu Grau wird und die Grenzen verwischen. Nicht anders verhält es sich mit "Syriana". Man könnte es sich leicht machen und in dem vom Schmiermittel der Korruption am Laufen gehaltenen Ölgeschäft mit eindeutigen Schuldzuweisungen und Gut/Böse-Schemata arbeiten. Das ergäbe einen langweiligen, belanglosen Film. Gaghan geht den schwierigeren und für uns Zuschauer fordernden Weg. In diesem Mikrokosmos verwandeln sich Freunde in Gegner, Verbündete werden zu Verrätern, und alle bilden untereinander ein geschlossenes autarkes System. Wenn vordergründig Profitgier die Konzerne antreibt, hängen dahinter doch auch Interessen von nationaler Bedeutung. Politik und Wirtschaft scheinen nirgendwo so eng verzahnt wie hier. Weil die Versorgung mit dem schwarzen Gold essentiell für eine Volkswirtschaft ist, gibt es um diesen immer kleiner werdenden Kuchen ein tödliches, dreckiges Hauen und Stechen.

 

"Syriana" führt uns direkt in dieses Labyrinth, aus dem jeder Ausgang nur in ein noch größeres Chaos zu münden scheint. Stilistisch bereitet Gaghan die gegenseitigen Abhängigkeiten und Verflechtungen mittels vier sich kreuzender Geschichten auf. Irgendwann werden sich alle einmal begegnen, bewußt oder unbewußt. Und auch wenn wir nicht immer genau wissen, was da vor unseren Augen abläuft, erzeugt der Film mit der erzwungenen Beiläufigkeit seiner Erzählstruktur ein beklemmendes Gefühl. Alles geschieht so verständlich, so einstudiert. Längst gelten in diesem Busineß andere Gesetze und Interessen. Skrupel wären dabei nur hinderlich. Äußerst distanziert, fast unbeteiligt nähert sich Gaghan den vier Storylinien. Mit einer nervösen, wackligen Handkamera erzeugt Roger Elswit eine kühle Nähe, die paradoxerweise nicht berührt, sondern zur fast schon sachlichen Analyse des zuvor Gesehenen einlädt. Nur selten steuert Gaghan das emotionale Zentrum in uns an, dann jedoch erwischt und schockiert "Syriana" unmittelbar - fast so, als wäre beim schnarchigen "Telekolleg Chemie" ein Reagenzglas explodiert.

Hintergrund und Ausgangspunkt für den Film stellt der spektakuläre Enthüllungsbericht "See No Evil" des ehemaligen CIA-Agenten Robert Baer dar. Dieser Insider weiß, wovon er schreibt. Und gerade weil man nie das Gefühl hat, hier werde etwas künstlich für die große Leinwand aufgeblasen, erschrecken die sezierten Zusammenhänge.

Eigentlich ist es uns egal, woher das Zeug kommt, mit dem wir unsere Wohnungen heizen und unsere Autos betanken. Es sollte uns aber nicht egal sein, das ist Gaghans Punkt. Dazu illustriert er das Korruptionsgebilde mit einer Unmenge an Details, Namen und Ortswechseln. Das hat etwas von einer geerdeten Ausgabe eines Spionagethrillers, der Action mit einer spröden Aneinanderreihung mehr oder weniger konspirativer Treffen verbindet. Dieser Aufbau ist mitunter mühselig und anstrengend nachzuvollziehen, aber einfache Antworten auf eine solch komplexe Welt können nur Demagogen versprechen. Gaghans zeigte bereits mit seinem Drehbuch zu dem ähnlich strukturierten "Traffic", wie das Zerlegen eines großen Puzzles in episodenhafte Einzelteile gelingen kann. Das Ergebnis hier ist also keinesfalls ein Zufallprodukt.

Vermarktet wird "Syriana" nicht über die Story, sondern - da steht der Film dann wieder ganz in der Tradition der großen Blockbuster - über die Namen Clooney und Damon. Doch dies ist nur ein kleiner Trick, wenn man bedenkt, wie wenig Gaghans Werk über das Spiel einzelner Darsteller funktioniert. Die Auszeichnung George Clooneys als "Best Supporting Actor" mit dem Golden Globe und die Oscar-Nominierung müßten stellvertretend für das ganze Ensemble gelten. Hochkonzentriert und präzise zeigen auch Christopher Plummer, William Hurt und Chris Cooper in wichtigen Nebenrollen ihr Können. "Syriana" kann als das gelungene Experiment betrachtet werden, den Spruch "Everything is Connected" zu einem spannenden zweistündigen Kinoextrakt zu filtern.

Marcus Wessel

Syriana

ØØØØ


USA 2005

126 min.

Regie: Stephen Gaghan

Darsteller: George Clooney, Matt Damon, Jeffrey Wright u. a.

 

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