Kino_X-Men: Der letzte Widerstand

It´s M-Day

Die Mutanten sind wieder da - und starten einen weiteren bildgewaltigen SFX-Angriff. Diesmal liegt das Schwergewicht allerdings mehr auf Action, Coolness und Pathos.
   26.05.2006

Eine der ungewöhnlichsten und interessantesten Comic-Adaptionen des vergangenen Jahrzehnts geht in die dritte (und letzte?) Runde. Die Geschichte um eine Gruppe Mutanten, die ein spezielles X-Gen in sich tragen, was sie mit unterschiedlichen übermenschlichen Fähigkeiten ausstattet, erlebt in "X-Men: Der letzte Widerstand" eine furiose Wiederaufführung auf ganz großer Bühne. Nachdem Querdenker Bryan Singer, Regisseur der ersten beiden "X-Men"-Kinofilme, wegen eines anderen Superhelden für den dritten Teil nicht mehr zur Verfügung stand, engagierte Fox mit Brett Ratner einen routinierten Handwerker weitgehend anspruchsloser Action-Kost ("Rush Hour"). Es verwundert deshalb nicht, daß Teil 3 eindeutige Schwächen genau an den Stellschrauben offenbart, die noch zu den Stärken seiner beiden Vorgänger gehörten.

Kurz zur Story: Die alte Rivalität zwischen Charles X-Xavier (Patrick Stewart) und Magneto (Ian McKellen) bricht wieder auf. Während Magneto seine Getreuen um sich versammelt und die offene Konfrontation mit der Regierung sucht, die einen Pharmakonzern bei der Forschung eines neuen "Heilmittels" gegen die X-Mutation schützt, vertritt Xavier eine gemäßigte Position. Er will keinen Krieg mit den Menschen, sondern eine friedliche Koexistenz. Als Magneto sich die scheinbar grenzenlosen Kräfte der wiederauferstandenen Jean/Phoenix (Famke Janssen) sichert, weiß Xavier, daß seine Vision ernsthaft bedroht ist. Es wird Zeit, zu handeln.

Würde man in einem Atemzug all das aufzählen, was die "X-Men"-Reihe von anderen gängigen Fantasy-Geschichten unterscheidet und ihr zu einer anderen Qualität verhilft, könnte es durchaus passieren, daß man dabei ein zweites Mal Luft holen müßte. Würde man darüber hinaus aufzählen wollen, was in "X-Men: Der letzte Widerstand" davon noch vorhanden ist, käme es sicherlich zu keiner Atemnot. Ratner hat bei seiner Regie fast all das abgetrennt, was Singer zwischen der schon in Teil 1 und 2 außergewöhnlichen Action in mühevoller Kleinarbeit etablieren konnte: vielschichtige Charaktere, den Verzicht auf gerade für dieses Genre gängige Stereotypen, eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte, ein Plädoyer für Toleranz und Vielfalt. Sicherlich schwelen gerade die letzten beiden Aspekte auch bei Ratner noch unter der Oberfläche, aber er rückt sie nicht in den Vordergrund - schon weil der Platz dort, im Rampenlicht, bereits für die Effekte und die große Show reserviert ist. Im lauten Explosionsrausch bleiben leise Töne bekanntlich ungehört.

Den bereits unter Teenagern grassierenden Wahn in Sachen Schönheits-OPs kommentiert der Film etwa in einem kurzen, intelligenten Wortgefecht zwischen Rogue (Anna Paquin), die sich dazu entschließt, das neue Medikament einzunehmen, und Wolverine (Hugh Jackman): "Tu das nicht für einen Jungen, tu es nur, wenn du es auch selber willst!" So ärgerlich es ist, wenn alte Qualitäten auf solch kurze Einschübe reduziert werden, läßt sich gleichwohl konstatieren, daß Ratners Konzept, klar auf die Action-Karte zu setzen, schlußendlich doch einen kurzweiligen Blockbuster mit hohem Spaßfaktor ergibt.

 

Anfangs schwächelt das Drehbuch beim Versuch, Leidenschaft und Gefühle in passende Dialoge zu verpacken. Die rutschen daher schnell in wenig subtiles Pathos ab, das erst in der Schlacht um Alcatraz - dort hat der Pharmakonzern seine Forschungslabors - als kräftige Beilage zu einem grandiosen Effektgewitter passend erscheint. Andererseits hat allein die "Umleitung" der Golden-Gate-Brücke einen Oscar für die besten Spezialeffekte verdient; gleiches gilt für die entfesselten Aufnahmen eines Dante Spinotti.

Versagt Ratner zumeist dann, wenn sein Film einen Gang herunterschaltet, so sind ihm die politischen Seitenhiebe durchaus gelungen. Als von den Mutanten Konformismus eingefordert wird, antworten einige von ihnen mit Anschlägen und Terror. Der Staat sieht sich daraufhin in seiner Existenz bedroht, und die Situation eskaliert in einem Krieg, bei dem Mutanten gegen Mutanten kämpfen.

Neben der Inszenierung des Spektakels überrascht "X-Men: Der letzte Widerstand" mit deutlich mehr Humor und trockenem Wortwitz als seine beiden Vorgänger. Jeder Charakter (Halle Berrys langweilige Storm einmal ausgenommen) darf mindestens zwei absolut coole Oneliner aufsagen. Sogar in höchster Bedrängnis wissen Wolverine & Co., was es heißt, sich elegant und stilvoll aus der Affäre zu ziehen. Das Rezitierungspotential geht dabei zu Lasten der von Singer noch so konsequent verfolgten Entwicklung der einzelnen Mutanten, die nicht aus der ihnen einmal übergestülpten charakterlichen Zwangsjacke ausbrechen können.

Ratner hat vornehmlich ein physisches und kein psychisches Interesse an seinen Spielfiguren. Vielleicht ist es diese Erkenntnis, die besonders schmerzt - und erklärt, warum "X-Men: Der letzte Widerstand" trotz seines unbestreitbaren Unterhaltungswerts ein zwiespältiges Filmerlebnis geworden ist. Anhänger der Comics dürfte eine solche Eindimensionalität jedenfalls die Zornesröte ins Gesicht treiben.

Am Schluß aber stellt sich die berechtigte Frage, ob man als Zuschauer einem Film tatsächlich böse sein kann, der sich derart charmant das Türchen für eine Fortsetzung offen hält. Wohl kaum, oder?

Marcus Wessel

X-Men: Der letzte Widerstand

ØØØ

(X-Men 3: The Last Stand)


USA 2006

Regie: Brett Ratner

Darsteller: Hugh Jackman, Famke Janssen, Patrick Stewart u. a.

 

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