Kino_Slither

Die Körperfresser kehren zurück

Horror meets Comedy: Regisseur und Autor James Gunn fühlt sich in der Schmuddelecke sichtlich wohl. Sein schleimiger Spaß entpuppt sich als unverkrampfte Splatter-Fingerübung.    26.06.2006

James Gunn kennt sich aus im Horror-Genre. Diesen Eindruck vermittelt zumindest sein Regiedebüt "Slither" mit dem dümmlichen deutschen Untertitel "Voll auf den Schleim gegangen". Trotz dieser Vermarktung im wenig subtilen "Erkan & Stefan"-Stil besitzt sein Film über eine außerirdische Plage, die wie eine Naturgewalt über ein ödes amerikanisches Kaff herfällt, satirischen Witz, sympathisch vertrottelte Charaktere, einige gelungene Schockmomente und - darauf haben wir alle am meisten gewartet - eine deftige Portion Splatter.

In der Kleinstadt Wheely passiert normalerweise nicht allzu viel. Während sich der Bürgermeister (Gregg Henry) als Autoritätsperson bei wichtigen Anlässen wie dem Beginn der Jagdsaison zu inszenieren versucht, regiert hinter den bäuerlich-bürgerlichen Fassade noch der Geist eines anderen Jahrhunderts. Es ist ein verquerer Muff aus religiöser Biederkeit, traditionellen Rollenklischees und White Trash in Vollendung, der über Wheely liegt. Die Tatsache, daß ein Bauer seine Kuh geschwängert hat, würde hier wohl klaglos hingenommen werden, solange es nur die Nachbarn nicht mitbekommen. Eher schon böte das Coming-out einer der Dorfpolizistinnen Anlaß zu ausgiebigem Klatsch und Tratsch. Mit dieser Idylle ist es allerdings vorbei, nachdem eine Art Meteorit im angrenzenden Wald eingeschlagen hat. Dessen Inhalt, ein kriechendes schleimiges Etwas, besitzt die Fähigkeit, Menschen in deformierte Zombie-Monster zu verwandeln.

Nur Zyniker würden behaupten, daß diese Transformation für Wheely vermutlich einen Fortschritt darstellt. Jedenfalls verlangt die Armee der kriechenden Blutegel den vollen Einsatz aller Dorfbewohner. Regisseur und Autor Gunn tobt sich bei seinem schleimigen Spektakel mit sichtbarem Spaß am Rezitieren von Klassikern und der Huldigung der oft verschmähten B-Movie-Helden der 50er bis 80er Jahre aus. Es kommen einem sofort Jack Arnolds aus heutiger Sicht absonderliche Monsterfilme wie "Tarantula" und "It Came From Outer Space" in den Sinn. Aber auch offenkundige Trash-Einflüsse wie die durch Tim Burtons Biographie weltbekannt gewordenen Leinwandunfälle eines Ed Wood finden in dieser überzeichneten filmischen Hommage ihren Ehrenplatz.

Daß eine bloße Aneinanderreihung von Kinozitaten aber noch lange keinen unterhaltsamen Film ergibt, zeigen stupide Ergüsse wie die "Scary Movie"-Unfälle. "Slither" schafft es dagegen, die ehrlich gemeinte Ehrerbietung nie der Lächerlichkeit preiszugeben. Indem Gunn seine Ideen in eine durchaus spannungsreiche Story zu integrieren versteht, die für sich genommen bereits zu einer Reminiszenz an Genre-Perlen wie "Im Land der Raketenwürmer" taugt, stellt sich nicht das Gefühl einer simplen Nummernrevue ein, der es an einem zusammenhängenden dramaturgischen Überbau mangelt.

 

Nach einer erfreulichen Welle an harten Schockern im grobkörnigen 70er-Outfit knüpft Gunn mit "Slither" an die dem Horrorkino ebenfalls stets immanente Fähigkeit zur ironischen Enttarnung sozialer Krankheiten an. Die Demaskierung von Scheinheiligkeit und Bigotterie wird geradezu meisterlich durch die parallel montierte Sequenz zwischen der "Begattung" der White-Trash-Schlampe durch den mutierten Redneck ("Henry"-Darsteller Michael Rooker) und der kreationistischen Rede des Bürgermeisters demonstriert. Gerade als letzterer darüber philosophiert, daß der Mensch von Gott doch den Auftrag erhalten habe, sich die Welt untertan zu machen, schlägt das Monster aus dem All zu und nutzt die sexgeile Blondine als überdimensionierte Gebärmaschine. Der Feind hat uns schon lange infiltriert, auch wenn wir es nicht wahrhaben möchten.

Es wäre interessant zu erfahren, was Peter Jackson zu Gunns Kino-Debüt zu sagen hätte. Immerhin hebt dieser den Spaß- und Schleimpegel in Höhen, die seit "Braindead" nur wenige Genre-Vertreter erreicht haben. Und wie bei Jackson, der seinerzeit eine etwas andere Rückkehr in den Mutterleib aufführte, spielt auch bei Gunn das sexuelle Motiv im Subtext eine unübersehbare Rolle. Inmitten einer verklemmten Gemeinde, die noch an die unbefleckte Empfängnis glaubt, kontrastieren Elemente wie die phallusartigen Tentakel des Monsters und dessen plötzliche Gier nach Fleisch auf radikale Weise den Status quo. Tatsache ist, daß die sexuelle Revolution um weite Teile des "Bible Belt" einen großen Bogen gemacht hat. Dort von einer Renaissance der Prüderie zu sprechen, führt insofern leicht in die Irre. Und obgleich Horrorwerke unter dem Generalverdacht stehen, gesellschaftspolitisch zwar subversive, aber moralisch bisweilen äußerst konservative Ansichten (der Tod als Bestrafung für "unkeusche" Handlungen) zu vermitteln, kann "Slither" in dieser Beziehung kaum mißverstanden werden. Für Gunn manifestiert sich der wahre Horror nicht in einer diffusen äußeren Bedrohung, sondern in der reaktionären Geisteshaltung seiner Mitmenschen.

Marcus Wessel

Slither

ØØØ 1/2


USA 2006

95 Min.

OF und dt. Fassung

Regie: James Gunn

Darsteller: Nathan Fillion, Elizabeth Banks, Michael Rooker u. a.

 

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