Kino_Wolf Creek

Das ist ein Messer

Nichts für Weicheier: In Greg McLeans Debüt kommt das Grauen langsam, aber gewaltig. Drei Rucksacktouristen sind dem Sadismus eines Psychopathen schutzlos ausgeliefert.    14.07.2006

Australien, Heimat possierlicher Beuteltiere und einer größtenteils noch unberührten, atemberaubenden Natur, ist für viele ein Traumreiseziel. Die Routen durch die scheinbar endlosen Weiten des Outback locken jedes Jahr Hunderttausende Rucksacktouristen aus aller Welt an. Diesen Kontinent, so der einhellige Tenor der Heimgekehrten, muß jeder zumindest einmal erlebt und erfahren haben.

Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Greg McLean setzt an diesem idealisierten Bild des fünften Kontinents an und entwickelt auf dessen Basis eine radikale, erschütternde Terrorgeschichte.

Zusammen mit seinen Freundinnen Kristy (Kestie Morassi) und Liz (Cassandra Magreth) will der abenteuerlustige Ben (Nathan Phlilips) das verlassene, rauhe Hinterland erkunden. Auch wenn das von Ben auf die Schnelle organisierte Gefährt nicht den zuverlässigsten Eindruck macht - die drei lassen sich von den üblichen Reisewidrigkeiten ihre gute Stimmung nicht vermiesen. Die Erfahrung der menschenleeren Natur entschädigt schließlich für so manche Unannehmlichkeit.

Nach der Ankunft in Wolf Creek, wo es einen gewaltigen Meteoritenkrater zu bestaunen gibt, findet der Trip dann aber sein vorzeitiges Ende. Das Auto will nicht mehr anspringen, auch die Uhren verweigern urplötzlich ihren Dienst. Da erscheint die Hilfe eines freundlichen Truckers (John Jarratt) wie ein Geschenk des Himmels. Bereitwillig nehmen sie sein Angebot einer Mitfahrgelegenheit an - ein tödlicher Fehler.

 

Zunächst möchte einen die Prämisse des Films nicht wirklich packen. Würde McLean den exotischen Schauplatz Australien mit der texanischen Einöde vertauschen, wäre der Zuschauer wohl versucht zu glauben, er befände sich in einem weiteren Remake von Tobe Hoopers "Blutgericht in Texas". Ahnungslose Touristen, die unbedacht in ihren schlimmsten Alptraum hineinstolpern, sind im Horrorgenre bereits zu oft zur billigen Befriedigung sadistischer Phantasien mißbraucht worden.

Doch wer "Wolf Creek" trotz seiner bekannten Ausgangslage eine Chance gibt, wird positiv überrascht. McLean gelingt es, einen anderen Blickwinkel auf das Grauen hinter einer sympathischen Fassade aufzuzeigen. Vor der malerischen Kulisse des Outback, den einsamen, im heißen Sonnenlicht gleißenden Straßen und den romantischen Sonnenuntergängen übernimmt bei ihm der Horror die Funktion eines kontrastreichen Gegenpols.

Im Rückgriff auf naheliegende Vergleiche wurde "Wolf Creek" von Kritikern etwas vorschnell als die blutige Ausgabe des "Blair Witch Project" betitelt. Zwar dürfte der Verweis auf den Independent-Langweiler manch einen Zuschauer zu falschen Schlüssen verleiten, im Kern lenkt die Analogie aber die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche dieser Low-Budget-Produktion (die nur eine Million amerikanische Dollar gekostet haben soll): McLean erzählt seinen auf dem Papier zugegeben mäßig interessanten Plot mit einer nicht nur für das Genre außergewöhnlichen inszenatorischen Raffinesse. Knallharter Realismus und Naturalismus bestimmen den Look des Films. Die gezielt eingesetzte, vibririende Handkamera macht das Leiden der Opfer erfahrbar - Kristys und Liz Schreie während der Folteraktionen bleiben nachhaltig in Erinnerung.

In der Gewißheit, daß sich der Regisseur zudem an realen Begebenheiten orientiert, erreicht die Spannungskurve in diesen Augenblicken ihr Maximum. Der zurückhaltende Einsatz der Tonspur sowie die auf diffuse bedrohliche Klangmuster reduzierte Musik potenzieren den Adrenalinausstoß.

 

McLean wartet erstaunlich lange, bis er das Grauen auf die drei Reisenden und den Zuschauer losläßt. Erst nach einer sicher kürzungswürdigen Exposition von 45 Minuten beginnt der eigentliche Horrortrip. Die Gefahr, daß sein Konzept kollabiert, weil keine Identifikation mit den späteren Opfern gelingen will, umgeht er zu Lasten einer zuweilen langatmigen und die Geduld arg strapazierenden ersten Hälfte. Die Konzentration auf lediglich drei Hauptfiguren, wo andere Genrevertreter wie "The Hills Have Eyes" und "Saw 2" auf Großfamilien respektive ganze Gruppen potentieller Todeskandidaten setzen, erweist sich dagegen als cleverer Schachzug. Aus der personellen Verdichtung erwächst eine besonders intensive Bindung zum Filmgeschehen.

Beherrscht seit Tarantinos "Reservoir Dogs" mitunter ein gefährlicher, weil unpassender und verharmlosender Unterton die Bebilderung von Folterszenen, so kann sich die in Bezug auf Gewaltdarstellungen übersensible deutsche FSK gewiß sein, daß "Wolf Creek" keine Ästhetisierung und Verharmlosung der Perversion betreibt. Obwohl die Kamera in den entscheidenden Momenten nur selten direkt draufhält und sich damit vieles nur in den Köpfen der Zuschauer abspielt (was echte Gore-Fetischisten verärgern dürfte), verfehlen die Geschehnisse in der Baracke des Psychopathen nicht ihre Wirkung. Die aufgezeigte Isolation, das Gefühl, vollkommen ausgeliefert und machtlos zu sein, wird einen so schnell nicht verlassen.

Seit "Irreversible" und Monica Bellucis viel diskutierter Vergewaltigungsszene kam kein Werk der eigenen Schmerzgrenze so nahe. Greg McLean wird das als Kompliment verstehen.

Marcus Wessel

Wolf Creek

ØØØ 1/2


Australien 2005

99 Min.

OF und dt. Fassung

Regie: Greg McLean

Darsteller: Peter Alchin, John Jarrett, Cassandra Magrath u. a.

 

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