Stories_Paul James Berry

Ein Mann, eine Freakshow

Mit The Rose of Avalanche erspielte er sich im England der Neunziger einen komfortablen Status. Doch eigentlich fühlte sich Berry schon damals zum Solisten berufen.    05.05.2004

Paul James Berry, der Artikulationskünstler, feilt heute in Paris an seinen Songs und fand beim deutschen Label Supermusic musikalisches Obdach. Vom Bruch mit Rose of Avalanche bis zur nunmehrigen relativen Sicherheit war´s jedoch ein langer Weg, der ihn mehrmals von der Insel auf den Kontinent und zurück führte.

Zunächst zog es Berry ziemlich blauäugig nach London, wo er sich nicht besonders wählerisch bei der Wahl der Konzertlokale geben konnte - Hauptsache Auftritt. Die beinahe mit Überzeugung zu verwechselnde Hoffnung, Fans aus der Avalanche-Zeit zur Alleinunterhalter-Karriere mitgenommen zu haben, erwies sich bald als Trugschluß. War die Skepsis, das vormals stille Mitglied könne zwar die Saiten der Gitarre zum Klingen, nicht aber die eigenen Stimmbänder - und zwar mit Aussagekraft - zum Schwingen bringen, einfach zu groß, oder lag es lediglich an der Unfähigkeit des Künstlers zur Selbst-Promotion? Trotzdem: Zweifel an der Richtigkeit und Notwendigkeit des getanen Schrittes kamen bei Berry nie auf.

"Ich hab´ ja schließlich nicht die Beatles verlassen", sagt er. "The Rose of Avalanche waren eine durchschnittliche Indieband, in der ich mich gelangweilt habe. Ich mußte einfach weiter! Wenn etwas aus dir herausdrängt, dann laß es auch raus, sonst zerfrißt es dir bloß deine Seele."

Paul James Berry spielte sich auf einer Reise quer durch Europa frei. Hängen blieb er für längere Zeit in Berlin, wo ihm Freunde Support-Jobs vermittelten. Hier wurde ihm aber auch klar, daß es ohne vorweisbare Aufnahmen mit der Etablierung als Solokünstler nicht klappen würde. Nur leider verschreckte er halt Plattenfirmen, bei denen er vorstellig wurde, er mit seinem allzu intensiven Zugang zum Singer/Songwriter-Genre. Man wußte ihn nicht recht einzuordnen, urteilte ihn als "one man acoustic killing machine with the face of an angel and the power of hell" ab (ein Kompliment für seine Ausdrucksstärke oder eine vernichtende Wertung?).

Worte werden von Berry kleingehackt, die Silben verächtlich ausgespuckt und scharf geschliffen, sodaß sie sich tief ins Bewußtsein schneiden. Worte verbinden sich aber auch zu Herzschmerz und nähren sich von der Nachdenklichkeit, bis sie die zermürbten Seelen vorsichtig auffangen. Der Mann schafft es ansatz- und bruchstellenlos, zwischen aufbrausender Enttäuschung und melancholischer Hoffnung zu schwanken, durch seine Aussprache auf Angriff zu gehen, um schon im nächsten Atemzug wieder Milde walten zu lassen.

Gern werden Vergleiche mit Bob Dylan, Neil Young und Leonard Cohen angestellt, wohl der Intensität wegen, mit der Berry allein durch seine Stimme Atmosphäre verdichtet und es des Zutuns von Gitarre, Klavier, Baß, Drums usw. eigentlich gar nicht bedarf. Ebensowenig wie besagter Verweise, denn Berry richtete sich immer nur nach sich selbst und orientierte sich an seinen Idee. "Mit Dylan und den anderen verglichen zu werden - daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt, obwohl ich nie mit der Absicht zu spielen beginne, wie jemand anders zu klingen", meint er nur. "Ich mache das, was mir gefällt. Vor ein paar Tagen kam nach einem Auftritt ein Chinese zu mir, der meinte, ich höre mich wie Mick und Keith von den Rolling Stones an. Und wie Kim Wilde." Die Reaktion des Wahlparisers: ein Lächeln.

Tatsächlich strengte er sich nie an, Ausdruck und Methodik anderer Sänger zu übernehmen, sondern näherte sich im Lauf der Jahre seiner Vorstellung von der für die Stücke richtigen Stimmfärbung. Zur Erinnerung: Bei The Rose of Avalanche brachte er den Mund nicht auf - also muß das Singer/Songwritertum doch eine gehörige Umstellung für ihn bedeutet haben? "Das Schwierigste für mich war, zu lernen, gleichzeitig zu singen und Gitarre zu spielen", antwortet Berry. "Jahrelang schrie ich den Text einfach nur raus. Das brauch´ ich heute immer noch zur Abwechslung. Aber ich entdecke auch die Feinheiten der menschlichen Stimme und habe genug Möglichkeiten, zu experimentieren, weil es in den Clubs und Bars, in denen ich meistens auftrete, egal ist, wie gut trainiert deine Stimme ist - solange du nicht wie ein Hund kläffst. Den Luxus, vor ein paar hundert Leuten zu spielen, die auch wirklich zuhören und von mir eine gute Performance fordern, kenne ich noch nicht. Das muß ja großartig sein!"

Großartig und von großer Bedeutung für Berry war auch die Begegnung mit Jörn-Eric Kolbe, der nicht zögerte, sogleich das Label Supermusic zu gründen. Wenn Paul James Berry nicht in die Schubladen alteingesessener Labels paßt, dann muß eben ein neuer Name her, um dem eigenwilligen Vokalisten auf seinem zweiten Bildungsweg zu unterstützen.

"Ich bin sehr stolz auf meine Soloalben und den Weg, den ich gegangen bin, auch wenn es mitunter ganz schön schwierig und holprig war", sagt Berry. "Mein größtes Problem war und ist nach wie vor, nicht alle meine Ideen realisieren zu können, weil mir dazu einfach das Geld fehlt. Aber auf irgendeine Weise werde ich sie schon umzusetzen wissen; das werde ich immer schaffen, ob mit oder ohne Hilfe."

Das aktuelle Album "Nations" wird also nicht der Diskographie letzter Teil sein - ein Vorsatz, der beruhigt.

 

Paul James Berry spielt am 13. 5. im Sublime in Aflenz. Weitere Konzertdaten sind in Vorbereitung.

 

Bernadette Karner

Paul James Berry - Nations

ØØØØØ


Supermusic/Ixthuluh (D 2004)

 

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Kommentare_

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