Print_Whitley Strieber & Art Bell - Sturmwarnung

Wenn es stürmt und schneit

Die Welt steht am Rand einer Klimakatastrophe - an der die Menschheit aber unschuldig ist. Zwei Eso-Experten beschwören die nächste Eiszeit. Scheißwetter, die zweite...    26.05.2004

Willkommen in der Eiszeit! Die steht nämlich, glaubt man dem Autorenduo Whitley Strieber und Art Bell, praktisch vor der Haustür. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Die nächste Eiszeit kommt auf jeden Fall, egal ob George W. Büschel das Kioto-Protokoll unterschreibt oder nicht. Schuld am drohenden Klimawandel sind zwar Erderwärmung und Treibhauseffekt, der Anteil des Menschen am Gesamtprozeß sei jedoch eher gering, ziehen Strieber und Bell am Ende von "Sturmwarnung" Resümee. Was immer wir in Sachen Umweltschutz unternehmen, es würde die Katastrophe nur hinauszögern, sie jedoch nicht verhindern. Der plötzliche Klimawechsel (und damit möglicherweise der Ausbruch einer neuen Eiszeit), den die Autoren in nächster Zukunft voraussehen, ist nämlich Teil des natürlichen Lebenszyklus der Erde.

Das von Strieber und Bell entworfene Szenario klingt nicht uninteressant. Seit Ende der 90er Jahre wissen wir, daß polares Eis mit hoher Geschwindigkeit abschmilzt. Dadurch verringert sich die Salzkonzentration im Meer, und das fragile Zusammenspiel zwischen Wassertemperatur und Strömung gerät aus dem Gleichgewicht. Bilden gleichzeitig auch noch Treibhausgase eine Art Bollwerk zwischen den warmen Luftmassen der oberflächennahen Atmosphäre und den extrem kalten Schichten in der Stratosphäre, sind die Voraussetzungen für den "Supersturm", von dem der amerikanische Originaltitel spricht, bereits gegeben. Dennoch handelt "The Coming Global Superstorm" nur marginal von der Zukunft. In acht Kurzkapiteln werden fiktive Weltuntergangsszenarien aufgezeigt, die restlichen 15 Kapitel widmen sich der Beweisführung, daß Klimakatastrophen in der Vergangenheit schon mehrmals ganze Kulturen und Spezies ausgelöscht haben. (Die Katastrophenszenarien pickte sich Roland Emmerich für das Drehbuch von "The Day After Tomorrow" heraus, das von Strieber dann zur Film-Novelisation verwurstet wurde.)

Nicht einmal 10.000 Jahre soll es her sein, seit die letzte Eiszeit die Welt verwüstet hat. Die Autoren gehen geschichtlichen und kulturellen Überlieferungen und Mythen nach, interpretieren Glaubensschriften und kommen zum Schluß, daß in der Vergangenheit der Erde technologisch relativ hochstehende Kulturen existiert haben müssen, die von Superstürmen ausgelöscht wurden. Als Indiz für das blitzschnelle Zusammenbrechen meteorologischer Normen dienen dem Duo unter anderem Funde von Mammuts, die während der Nahrungsaufnahme in extrem kurzer Zeit erfroren sind. Sogenannte "Superzellen" (eines der Lieblingsszenarien von Whitley Strieber) saugen eiskalte Luft aus der Stratosphäre, die mit minus 100 Grad auf der Erdoberfläche ankommt - und praktisch jedes ungeschützte Lebewesen (sowie Bäume und Sträucher und selbst Flugzeugtreibstoff und Schmiermittel) in Rekordzeit schockfrostet.

Whitley Strieber und Art Bell scheitern jedoch an der Konzeption des Buches. Während die fiktiven Katastrophenszenarien schon fast zu den hausbackenen Szenarien der Science Fiction gehören (und damit als Warnung wertlos sind), wandeln sie bei ihrer historischen Bestandsaufnahme durchaus auf der Fährte von Erich von Däniken, Robert Charroux und anderen esoterischen Vergangenheitsbewältigern. "Sturmwarnung" ist kein Roman, auch keine populärwissenschaftliche Abhandlung und schon gar kein wissenschaftliches Werk. Zwar kann es seinen Erkenntnisanspruch nicht verheimlichen, ist jedoch von wissenschaftlicher Beweisführung so weit entfernt wie der Donau- vom Panamakanal. Die Autoren nennen zwar ihre inspirativen Quellen im Lauftext, aber auch von einem Literatur- und Quellenverzeichnis fehlt jede Spur.

Die Kritik gilt dem Buch, seiner Konzeption und der Ausarbeitung, nicht dem dahinterstehenden Gedanken. Das Weltklima ist im Wandel, daran besteht kein Zweifel, aber es gelingt Strieber und Bell einfach nicht, ihre Warnung glaubhaft an den Leser weiterzugeben. Im Vorwort beschwert sich Whitley Strieber, daß "The Coming Global Superstorm" bei seiner US-Veröffentlichung im Jahr 2000 von den Medien nicht ernstgenommen wurde - kein Wunder, können sich die Autoren doch nicht zwischen der Romanform, dem eindringlichen Gespräch, der emotional gefärbten Abhandlung und freundlicher Sensationsgeilheit entscheiden. Wer, bitte, schreibt heute noch ein Buch, wenn er genau weiß, daß morgen - Verzeihung, übermorgen - die Welt untergeht?

 

Chris Haderer

Whitley Strieber & Art Bell - Sturmwarnung

ØØØ

(The Coming Global Superstorm)


Heyne-Verlag (München 2004)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Ausweiskontrolle

Wie wir die NSA verwirrten ...

Im Internet sind die Lauscher immer und überall. Digitale Selbstverteidigung ist angesagt. Die notwendigen Tips gibt Steffan Heuer in seinem Buch "Mich kriegt ihr nicht!"  

Kolumnen
Ausweiskontrolle

The All American Big Data Online Election Show

Big Data und Social Media halten zusammen wie Pech und Schwefel. Ihnen verdankt Barack Obama seine zweite US-Präsidentschaft.  

Kino
Star Trek - Into Darkness

Phaserschmeichler

Zum zweiten Mal hat Regisseur J. J. Abrams den Motor der "Enterprise" angeworfen und sie auf eine für den Titel "Into Darkness" eigentlich recht gut ausgeleuchtete Reise geschickt. Chris Haderer ist eine Runde mitgeflogen.  

Termine
Festival des gescheiterten Films

Die große Show der tragisch Gescheiterten

Vom 8. bis 15. Februar geht das "Festival des gescheiterten Films" in den Breitenseer Lichtspielen vor Anker. Gezeigt werden Filme, für die es leider keinen kommerziellen Markt zu geben scheint.  

Termine
"Big Brother Awards" 2012

Name them & shame them!

Am 25. Oktober werden im Wiener Rabenhof die 14. "Big Brother Awards" verliehen. Traditionell finden sich unter den Nominierten illustre Namen von Beatrix Karl bis Marie Vassilakou.  

Kino
Die Wand

Bergsee mit Wand

Regisseur Julian Roman Pölsler hat sich an der Verfilmung von Marlen Haushofers "Die Wand" versucht - und ein schön photographiertes Hörbuch abgeliefert.