Print_Harlan Coben - Kein Sterbenswort

Zu gut ist nicht gut

Wenn Autoren beweisen wollen, wie unglaublich clever sie sind, bleiben sie manchmal in ihren feingesponnenen Geschichten hängen. Und der Leser auch.    11.08.2004

Harlan Coben ist bei uns, falls überhaupt, durch seine von Humor geprägten Romane um den Sportagenten Myron Bolitar aufgefallen, der dank seiner Schützlinge immer wieder in Mordfälle verwickelt wird. Ob Coben schlichtweg die interessanten Sportarten ausgegangen sind oder er einfach einmal Lust hatte, einen richtigen, echten Bestseller zu schreiben ...? Man weiß es nicht. Jedenfalls verläßt er mit "Kein Sterbenswort" sein vertrautes Terrain und begibt sich auf Neuland - mit etwas zuviel Orientierungsvermögen.

Vor acht Jahren wurde die junge Frau des Kinderarztes David Beck von einem Serienmörder, der von den Medien KillRoy getauft wurde und seine Opfer mit einem ins Gesicht eingebrannten "K" verunstaltete, entführt und umgebracht. Kein Tag vergeht, an dem Beck nicht seiner großen Liebe nachtrauert, doch mit der Zeit hat er es geschafft, ein halbwegs normales Leben zu führen. Er wohnt zusammen mit seinem Großvater in einem schönen Haus, kommt gut mit seiner Schwester, deren Lebensgefährtin und deren Sohn aus und kümmert sich sowohl um seinen Hund als auch um schwarze Ghetto-Kids, die schwanger in seiner Klinik auftauchen. Dieses langweilige Leben ändert sich, als Beck, durch eine geheimnisvolle E-Mail neugierig gemacht, auf eine Website surft und dort auf einen Film mit seiner Frau stößt, die anscheinend putzmunter ist. Und während er nachforscht, ob seine geliebte Elisabeth tatsächlich noch am Leben ist, bekommen es der schwerreiche, maßgeblich in die Geschichte verwickelte Börsenmakler Griffin Scope und seine muskel- und waffenstrotzenden Helfer mit der Angst zu tun, ist doch vor acht Jahren einiges gründlich schiefgegangen.

Coben ist ein routinierter Autor, der gut, flüssig und unterhaltsam schreibt. Dennoch überzeugt "Kein Sterbenswort" nur teilweise. Das liegt vor allem daran, daß Coben derart krampfhaft versucht, alles natürlich, echt und aus dem wahren Leben gegriffen wirken zu lassen, daß eben dieser Versuch dem Buch etwas Künstliches verleiht. Der Opa mit Alzheimer, die lesbische Schwester, das Supermodel für Übergrößen, der schwarze Dealer mit Herz, aber ohne Mitleid - das alles riecht zu sehr nach dem Schweiß der Anstrengung, originelle Figuren, denen nichts Konstruiertes anhaftet, zu erschaffen.

Dramaturgisch muß sich Coben wenig vorwerfen lassen; außer, daß alles ein bißchen zu gut funktioniert. Die Geschichte ist bravourös und souverän inszeniert, jeder Aspekt bis in die kleinste Verästelung durchdacht. Aber so ganz wird man den Eindruck nicht los, einer perfekten Maschine zuzuschauen. Man registriert mit Bewunderung die Effizienz, mit der sie ihre Arbeit erledigt, doch das Blut gerät dabei nicht in Wallung. Am packendsten ist der Mittelteil des Romans, in dem Beck sich auf der Flucht vor der Polizei befindet. Hier konzentriert sich Coben auf bewährte Thriller-Tugenden - Drang nach vorn und Fokussierung aufs Wesentliche - und serviert die Szenen derart schnell, daß einem fast schwindlig wird. Leider kann er dieses Tempo nicht durchhalten, und so bleibt am Schluß, nach vielen Irrungen und Wirrungen und einer ziemlich simplen Lösung für Elisabeths Verschwinden, ein seltsames Gefühl zurück, so, als hätte man Lage um Lage eines exquisiten Papiers von einem Päckchen entfernt, nur um dann enttäuscht feststellen zu müssen, daß das eigentliche Geschenk so toll gar nicht ist.

Jürgen Benvenuti

Harlan Coben - Kein Sterbenswort

ØØØ 1/2

(Tell No One)


Goldmann (München 2004)

Links:

Kommentare_

Print
Harlan Coben - Keine zweite Chance

Ihr Kinderlein kommet

Manchmal geraten dem etablierten Spezialisten für besonders ausgefuchste Geschichten seine Bücher zu konstruiert, manchmal, wie hier, trifft er voll ins Schwarze.  

Print
Jane Adams - Die Stimme der Toten

Worte statt Taten

Früher galt Agatha Christie als Inbegriff des englischen Kriminalromans, im Moment gibt Ian Rankin auf der Insel den Ton an. Adams versucht sich an einer Mischung aus beiden.  

Print
Jeffrey Deaver - Hard News/Der faule Henker

Herz und Hirn

Der fleißige Bestseller-Autor arbeitet gleich an mehreren Krimiserien. Wir stellen den Abschluß der Rune-Trilogie und den neuen Titel mit Lincoln Rhyme vor.  

Print
Russell Andrews - Icarus

Harter Aufprall

Als Schrecken ohne Ende entpuppt sich Jack Kellers Leben. Alle ihm nahestehenden Menschen werden ermordet. Und bei den Nachforschungen erfährt er mehr, als er wissen wollte ...  

Print
Thomas Gifford - Ultimatum

Starker Anfang, schwaches Ende

Die Literaturszene an sich ist schon mörderisch. Wenn dann noch ein Psychokiller auftaucht, sollte eigentlich für Spannung gesorgt sein. Irrtum.  

Print
Robert Ferrigno - Bis aufs Blut

Offene Rechnungen

Warum Geschichten über Serienmörder so hoch im Kurs stehen, bleibt ein Rätsel. Als Vehikel für spannende Subplots hingegen eignen sich diese Killer ganz hervorragend.