Print_Jeffrey Deaver - Hard News/Der faule Henker

Herz und Hirn

Der fleißige Bestseller-Autor arbeitet gleich an mehreren Krimiserien. Wir stellen den Abschluß der Rune-Trilogie und den neuen Titel mit Lincoln Rhyme vor.    21.12.2004

Die junge Rune, die eigentlich auf den etwas prosaischeren Namen Irene Dodd Simons hört, arbeitet bei einem großen New Yorker Fernsehsender. Obwohl sie am liebsten eigene Geschichten produzieren würde, muß sie schon froh sein, wenn sie einen umgekippten Ammoniaklaster filmen darf, der sich dann auch noch als leer entpuppt.

Als sie eines Tages den verzweifelten Brief eines gewissen Randy Boggs erhält, der wegen Mordes in der Strafanstalt Harrison sitzt, sieht sie ihre große Chance gekommen. Boggs behauptet nämlich nicht nur, unschuldig zu sein, sondern auch noch in akuter Lebensgefahr zu schweben - eine Bande gemeingefährlicher Latinos wolle ihn aus keinem nachvollziehbaren Grund abstechen. Rune nervt ihre Chefin, die eiskalte Piper Sutton, so lange, bis sie der Story nachgehen darf, und macht sich dann ans Recherchieren.

Und genau an dieser Stelle, wo es eigentlich so richtig losgehen sollte, fällt Deaver plötzlich in einen gemütlichen Trab, leiert eine eher unnötige Nebengeschichte an - Runes Mitbewohnerin verschwindet und läßt ihre dreijährige Tochter Courtney zurück - und vergißt dabei ein wenig, die Story um den vermeintlich unschuldigen Boggs voranzutreiben. Wir sehen Rune bei Redaktionskonferenzen, schauen ihr beim Essen und Aktenlesen zu, beobachten ihre Versuche, an den Polizeibericht zu kommen, aber nichts davon erscheint zwingend. Man gewinnt den Eindruck, Deaver habe vor allem noch ein drittes Abenteuer (nach "Manhattan Beat" und "Tod eines Pornostars") mit Rune schreiben wollen und sich dafür auch mit einem für seine Verhältnisse eher dürftigen Plot zufriedengegeben.

Sicher, Rune mit ihren flippigen Klamotten, ihrem Faible für Märchen und alles Phantastische, ihrer charmant kaschierten Unsicherheit und ihrem großen Herzen ist eine interessante Figur. Doch um den Charakter einer Figur zu erzählen und nicht nur zu beschreiben, muß man ihr auch etwas zu tun geben, das diesen Charakter dann offenbart - und zwar mehr, als sie ein paar Interviews machen und der kleinen Courtney Gutenachtgeschichten vorlesen zu lassen. Nach rund 100 Seiten kommt das Buch dann langsam in Fahrt, und das letzte Drittel ist wieder mit den bei Deaver gewohnten überraschenden Wendungen gespickt. Diese wirken aber stellenweise zu forciert, als wollte der Autor hier Action-mäßig alles nachholen, was er vorne verabsäumt hat. Insgesamt ein eher enttäuschender Abschluß einer Trilogie, deren ersten beide Bände sehr zu empfehlen sind.

 

Lincoln Rhyme, der geniale Ermittler, der nach einem Arbeitsunfall im Rollstuhl sitzt und seit seinem Ausscheiden bei der New Yorker Polizei als gefragter Gutachter arbeitet, wird von seinem ehemaligen Kollegen Lon Sellitto um Hilfe in dessen neuestem Fall gebeten.

Ein Mörder der besonderen Art geht um. Der Mann nennt sich Malerick und ist ein Zauberkünstler, genauer gesagt, ein Illusionist. In einer Musikschule hat er auf grausame Weise ein Mädchen umgebracht, ist dabei überrascht worden und in einen Saal ohne zweiten Ausgang geflüchtet. Als die Polizei allerdings den Raum betritt, ist dieser leer, und von Malerick fehlt jede Spur.

Schnell finden Rhyme, der den Fall auf seine gewohnt analytische Weise angeht, und Lon Sellitto heraus, daß der Mörder mit ihnen spielt, Hinweise auf seine nächsten Taten zurückläßt und sie dabei gleichzeitig in die Irre führt. Rhymes Freundin, der Polizistin Amelia Sachs, gelingt es, die junge Zauberkünsterlin Kara zu überreden, ihnen bei den Ermittlungen zu helfen. Kara, die in ihrer quirligen Art an die Reporterin Rune erinnert, führt Rhyme und Sachs in die Welt des Zauberns ein und erklärt ihnen, daß jeder gelungene Illusionstrick weniger mit aufwendiger Technik als vielmehr mit Psychologie zu tun hat: Die Menschen lassen sich täuschen, weil sie sehen, was sie sehen wollen. Und so gelingt es Malerick nicht nur immer wieder, weitere Morde zu verüben, sondern den Beamten auch noch direkt vor der Nase zu entwischen.

Mit der Zeit wird klar, daß sich der Täter auf einem Rachefeldzug befindet, als dessen krönenden Abschluß er eine ganz besondere Nummer geplant hat, eine, bei der möglichst viele Leute sterben sollen. "Der faule Henker" - der Titel bezieht sich übrigens auf einen Zaubertrick - ist der bisher beste Roman mit dem Duo Rhyme/Sachs. Das liegt vor allem daran, daß Deavers Art und Weise, Spannung zu erzeugen, perfekt zum Thema des Buches paßt. Der Amerikaner liebt es, die Leser in eine ganz bestimmte Richtung zu führen, bestimmte Erwartungshaltungen aufzubauen, nur um sie dann am Anfang des nächsten Kapitels mit einer Situation zu konfrontieren, die alles Bisherige auf den Kopf stellt, oder - anders gesagt - als Illusion entlarvt. Mitunter fühlt man sich durch die oft nur knapp zusammengefaßten nachgeschobenen Erklärungen etwas überrumpelt. Aber wie Deaver in einer Art Einleitung schon bemerkt, dieser Roman ist halt das Pendant zu einer Zauberschau, einer Show, die verblüffen und unterhalten soll. Und das tut sie in höchstem Maße.

Jürgen Benvenuti

Jeffery Deaver - Hard News

ØØØ


Rotbuch (Hamburg 2004)

 

Photo © by Jerry Bauer

 

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Jeffery Deaver - Der faule Henker

ØØØØ 1/2

(The Vanished Man)


Blanvalet (München 2004)

 

Photo © by Marion Ettlinger

 

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