Video_Beutegier

Jausenzeit für Kannibalen

Nach "The Girl Next Door" und "Red" liegt mit dem Menschenfresser-Splatter "Offspring" nun die nächste Verfilmung eines Jack-Ketchum-Romans vor. Wir wünschen guten Appetit!    12.01.2010

Immer mehr Horrorexperten wissen Jack Ketchum zu schätzen. Aus gutem Grund - der amerikanische Autor versteht es wie kaum ein anderer seiner Generation, das wahre Grauen - also das, was der Mensch seinem Mitmenschen antun kann - psychologisch glaubwürdig, kompromißlos und in vielen Fällen auch erschütternd (man denke nur an "Jack Ketchum´s Evil"/"The Girl Next Door") zu schildern. Manchmal gibt er aber auch seiner Vorliebe für B- bis Z-Movie-Stoffe nach und schreibt Bücher, die perfekt ins nach wie vor beliebte Genre des Backwood/Kannibalen-Horrors passen. Zum Beispiel den Roman, der dem vorliegenden Film als Vorlage dient: "Beutegier".

Die Story von "Offspring" (so der Originaltitel) ist schnell erzählt. Im beschaulichen Städtchen Dead River, Maine, geschieht ein grauenvoller Doppelmord. Eine Babysitterin und eine alleinerziehende Mutter werden auf brutalste Weise getötet und zerstückelt. Nicht nur Körperteile, sondern auch ein Säugling kommen dabei abhanden. Dem pensionierten Dorf-Cop George Peters (Art Hindle) schwant Böses. Er fürchtet, daß es sich bei den Tätern um die Kannibalenfamilie - beziehungsweise deren Brut - handelt, die schon vor zehn Jahren Dead River als kaltes Büffet mißbrauchte. Peters versucht gemeinsam mit den örtlichen Polizeikräften die Bevölkerung zu warnen, doch die fleißigen Menschenfresser haben sich bereits ein neues Ziel ausgesucht: das junge Ehepaar Amy (Amy Hargreaves) und David (Andrew Elvis Miller). Die beiden haben nicht nur vor kurzem eine kleine Tochter bekommen, sondern erwarten just in dieser Nacht auch noch Besuch von Luke (Tommy Nelson) und dessen Mutter Claire (Ahna Tessler). Und die werden wiederum vom gewalttätigen Ex-Mann/Vater, dem Anwalt Stephen (Erick Kastel), verfolgt ...


Stellt die literarische Fortsetzung Jack Ketchums durchaus gelungenen Versuch dar, seinem Debütroman "Off Season" (dt.: "Beutezeit") ein plausibles Sequel angedeihen zu lassen, so verzichtet der Film auf jegliche Bezugnahme zum Buchvorgänger. Dies hat keine erzählerischen Gründe, sondern rein juristische, wie Ketchum immer wieder betont. Im Interview mit dem Webzine "Bloody Disgusting" meint er: "Es hat jemand die Rechte dazu, und die haben bis jetzt, verdammt noch mal, nichts getan!"

Im Gegensatz dazu hat die junge und hippe Independent-Firma Modernciné, die 2007 auch "Jack Ketchum´s Evil" produziert hat, die Verfilmungsrechte von "Offspring" erworben - und Anolis Entertaiment bringt den Film nun rechtzeitig zum Jahreswechsel 2009/2010 in den deutschsprachigen Handel.

Wieder einmal haben wir es mit einer beinahe schon klassisch zu nennenden Versuchsanordnung à la Ketchum zu tun, bei der die Grenzen zwischen "menschlich" und "unmenschlich" oder "gut" und "böse" rasch verschwimmen. So stellt sich der Psychopath Stephen als nicht minder gefährlich heraus als die Mitglieder der Kannibalenfamilie. Auf formaler Ebene bietet der Film eine schön nachempfundene, rohe Siebziger-Jahre-Ästhetik (ohne pseudoironische Brechungen wie bei Tarantino oder Rob Zombie) mit einer für amerikanische Verhältnisse des 21. Jahrhunderts überraschenden Zeigefreudigkeit körperlicher Nacktheit und - nennen wir es einmal - verhaltenskreativer Sexualpraktiken.

 

Regisseur Andrew van den Houten, der bereits "The Girl Next Door" wunderbar inszenierte, gelingt mit "Offspring" ein - zeitweise beinahe dokumentarisch anmutendes - atmosphärisch dichtes und bedrückendes Low-Budget-Kammerspiel, das allerdings aufgrund der müden (und zum Teil an Studententheater erinnernden) Schauspielerleistungen einiges einbüßt. Hervorzuheben sind nur der immer großartige Art Hindle als desillusionierter pensionierter Polizist, der erst zwölfjährige Tommy Nelson und nicht zuletzt Ketchum selbst in einem schön blutigen Cameo-Auftritt.

Beim Filmfestival in Oldenburg war "Offspring" trotz allem ein ziemlicher Erfolg. Und auch wenn der Film auf DVD nicht ganz hält, was Regisseur und (Drehbuch-)Autor versprechen - er macht Appetit auf dreierlei: auf die Romanvorlage; auf weitere Filme aus dem Anolis-Programm mit seinen erfreulichen Hammer- und British-Horror-Collections; und nicht zuletzt auf die Werke der US-Produktionsfirma Modernciné, die "Offspring" überhaupt erst ermöglicht hat - und die der EVOLVER in einer eigenen Story vorstellen wird.

Bleiben Sie also dran.

Thomas Fröhlich

Beutegier

ØØØ 1/2

(Offspring)

Leserbewertung: (bewerten)

Anolis Entertainment (USA 2009)

DVD-Region 2

72 Min.

Regie: Andrew van den Houten

Darsteller: Ahna Tessler, Amy Hargreaves, Art Hindle u.a.

 

Links:

Kommentare_

Sven Später - 17.02.2010 : 10.56
Nachdem ich den Film gesehen hatte, bildete sich über meinem Kopf leider nur ein großes Fragezeichen. "War das alles?", "Wieso wirkte alles so wirr?" und "Warum, zum Teufel, hinkt die am Ende?"
Was der Splatter- und Horrorfan bei der deutschen Miet-DVD geboten bekommt, kann nur als Witz angesehen werden. Die Schnitte wurden so gekonnt angesetzt, dass mehr Fragen entstanden als notwendig gewesen wäre, weil schlicht Handlungselemente herausgekürzt wurden. Klar, sie mochten brutal gewesen sein, aber sie stellten dennoch einen direkten Bezug zu späteren Szenen da, bei denen man sich unweigerlich fragen musste: "Wie jetzt, warum ist denn das so oder so, wann und vor allem was ist da passiert?"
Auch die Story an sich gab nicht sonderlich viel her und wirkte arg an den Haaren herbeigezogen. Gut, vielleicht sollte man den Roman lesen, was ich wohl auch nachholen werden, denn es gibt keinen Grund, warum sich ein prähistorischer Stamm bis in die heutige Zeit in dieser Art gehalten haben sollte. Bei dem Film "The Children" nehme ich das Unerklärbare gerne hin, hier schaffe ich das nicht, da möchte ich mehr wissen.
Die schauspielerische Leistung in "Beutegier" wirkte tatsächlich eher unbeholfen. Mehr gut gemeint als gut gemacht, möchte man da sagen.
Im Fazit würde ich gerade die deutsche Miet-DVD nur sehr bedingt empfehlen. Es macht sich auf weite Strecken Langeweile breit und dann eben all diese Fragen: "Wieso hatten die sich jetzt Metallgebisse angezogen?", "Warum ist - laut Funkspruch - die gesamte Polizeimannschaft mitten in der Nacht unterwegs und besucht einfach die Bürger?" und "Warum habe ich mir diesen Film überhaupt ausgeliehen?"
Sandy - 29.06.2010 : 21.00
HuHu, vielleicht solltest du dir wirklich das buch zur hand nehmen, dann dort findest du die antworten auf deine fragen, wie mir scheint wurde in den film sehr viel vorenthalten..... werde ihn mir trotzdem mal ansehen, seine bücher sind jedenfalls weltklasse.... liebe grüße
Thomas Fröhlich - 04.07.2010 : 16.38
Ja Ketchum zu lesen ist ein Vergnügen - vor allem im Original. Der Film OFFSPRING ist in der deutschen Fassung leider ziemlich beschnitten - auch hier empfehle ich die englische. Aber, wie gesagt, Meisterwerk soll man sich da sowieso keins erwarten.

Video
Blood on Méliès Moon

All you need is Love

Beim Festival des Phantastischen Films 2016 im katalanischen Sitges sorgte er für Standing Ovations: "Blood on Méliès Moon" von Luigi Cozzi gehört zum Eigenwilligsten und möglicherweise Schönsten, was einem Filmnerd, der im klassischen Genrekino zu Hause ist, derzeit passieren kann. Österreichs Kino- und Festivalbetreiber haben dieses Kleinod (bis auf eine einzige Ausnahme) völlig verschlafen. Gott sei Dank gibt´s seit kurzem die DVD.  

Termine
Termin-Tip: Konzert Paul Roland & Frenk Lebel

Professor Moriarty´s Jukebox

Zwischen Steampunk und Spukhaus, Sherlock Holmes und Jack the Ripper, Cthulhu und Captain Blood: Der britische Exzentriker Paul Roland gastiert mit seinen geisterhaften Klängen endlich wieder in Wien. Das sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen.  

Print
Print-Tips Frühling 2015

Kellerkinder

"Es märzelt!" meinte Karl Farkas einst, wenn der Frühling nach Österreich kam. Wir bleiben ebenfalls im Lande, nähren uns redlich und führen uns drei frische Bücher aus heimischer Wortschmiede zu Gemüte. In denen wird A. gern gestorben und B. noch lieber in den Keller/Untergrund gegangen ...  

Print
Zöe Angel & Charly Blood - Morbus im Doppelpack

Wien ist anders

There´s more to a picture than meets the eye. Das sang schon Neil Young damals, als die 1980er vor der Tür standen. Er wußte nur nicht, wie recht er damit hatte. Klar: Er lebt(e) ja nicht in Wien. Denn gegen die Wiener Achtziger verblaßt selbst die Twilight Zone. Sie glauben uns nicht? Lassen Sie sich eines Besseren belehren ...
 

Print
Lisa Lercher - Mord im besten Alter

Waldesruh

Daß Seniorenheime einen Vorhof zur Hölle darstellen, fürchtet jeder, der einmal ein gewisses Alter erreicht. Daß es dort allerdings so zugeht wie in Lisa Lerchers neuem Krimi, wollen wir doch nicht hoffen. Schließlich ist auch der Rezensent nicht mehr der Jüngste ...
 

Print
EVOLVER-Porträt: Lisa Lercher

"Ich bin immer wieder grauslich"

Mit ihrer Mumien-Kurzgeschichte "Heimkehr" ist sie die Gewinnerin des EVOLVER-Literaturwettbewerbs 2012 "Harte Bandagen". Doch Lisa Lercher zieht schon seit mehr als zehn Jahren ihre dunklen Spuren durch die deutschsprachige Literaturlandschaft, als Krimiautorin und - exklusiv im EVOLVER - jetzt auch als frischgebackene Horrorschriftstellerin.