Print_EVOLVER-Porträt: Lisa Lercher

"Ich bin immer wieder grauslich"

Mit ihrer Mumien-Kurzgeschichte "Heimkehr" ist sie die Gewinnerin des EVOLVER-Literaturwettbewerbs 2012 "Harte Bandagen". Doch Lisa Lercher zieht schon seit mehr als zehn Jahren ihre dunklen Spuren durch die deutschsprachige Literaturlandschaft, als Krimiautorin und - exklusiv im EVOLVER - jetzt auch als frischgebackene Horrorschriftstellerin.    19.11.2012

Vor 2001 hat Lisa Lercher eigentlich ganz andere Sachen geschrieben: Fachpublikationen zu ihrem langjährigen Arbeitsschwerpunkt "Gewalt im sozialen Nahraum" etwa.

Ob das zugleich der Auslöser für ihre Karriere als Krimischriftstellerin war?

"In gewisser Weise ja - der soziale Nahraum war in dem Fall eine WG." Und präzisiert: "Wäre ich früher ausgezogen, hätte ich vielleicht einen Liebesroman geschrieben."

 

Doch der Reihe nach: Lercher wurde 1965 in Hartberg in der Steiermark geboren, studierte in Graz Erziehungswissenschaften, lebt seit 1989 in Wien und ist, wie sie lapidar anmerkt, "in der Bundesverwaltung tätig". Seit 2001 schreibt sie überwiegend - und sehr erfolgreich - Kriminalromane und Kurzkrimis. Derzeit ist ein weiterer Roman in Vorbereitung, der demnächst im Haymon-Verlag erscheinen wird.

Erziehungswissenschaften und Krimis? Wie geht das zusammen?

 

"Ich bin eine von jenen Autorinnen, die gern soziale Fragen in Krimis verpacken - zum Beispiel sexuelle Gewalt gegen Kinder in 'Die Mutprobe'. Da hat also durchaus ein pädagogischer Anspruch Platz. Außerdem war mein zweiter Schwerpunkt die Soziologie und da besonders so Themen wie abweichendes Verhalten."

 

Zudem schätzt Lercher Krimis nicht nur als Schreibende, sondern ebenso als Leserin:

 

"Ich mag gern Krimis, in denen Hintergründe und Motive gut ausgeleuchtet werden. Wenn es dazu abseits vom Krimiplot noch eine Rahmenhandlung gibt - umso besser. Auch Serienfiguren folge ich mitunter durch verschiedenste Lebensphasen." Und sie ergänzt: "Ansonsten bin ich lesemäßig eine Allesfresserin. Irgendwo steckt in fast jedem Text der Satz, der mich dazu bringt, doch noch weiter zu lesen."

 

Heimkehr ist im Grunde ihre erste reine Horrorgeschichte.

Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Kriminal- und Horrorliteratur meint sie: "Ich bin in Geschichten immer wieder 'grauslich' - höre ich jedenfalls." Zum Horror selbst fehle es ihr allerdings an Nervenstärke. "Als Kind hab' ich mir heimlich und verbotenerweise eine Edgar-Wallace-Verfilmung angeschaut: 'Die toten Augen von London'. Das habe ich, vor allem im Spätherbst, noch viele Jahre lang bereut."

Apropos Horror: Wie geht sie denn mit Gewaltdarstellungen in der Fiktion um?

 

"Ich bin kein Fan von roher Gewalt - egal ob in Texten oder Filmen. In meinen Krimis gibt es keine Gewaltexzesse. Gern höre ich beim Erzählen dort auf, wo sich zum Beispiel Hände um einen Hals legen, und überlasse die Details der Phantasie meiner Leserinnen und Leser. Die Bilder, die im eigenen Kopf entstehen, sind sowieso oft viel grauslicher als das, was ich mir ausdenke. Subtile Gewalt hingegen - die kleinen alltäglichen Kränkungen und Manipulationen, Gewalt, die schwer faßbar ist und keine sichtbaren Verletzungen hinterläßt - die seziere ich gern und verpacke sie in Geschichten."

 

Daß ihre alpenländische Mumienstory bei der Jury so viel Anklang fand, freut sie natürlich diebisch: "Ich hoffe nur, daß ich zu Ostern, wenn das traditionelle 'Weichfleisch' auf den Tisch kommt, schon wieder Appetit auf Geselchtes habe."

Dem können wir vom EVOLVER uns nur anschließen. Und hoffen, daß zum Lercherschen Appetit aufs Weichfleisch auch wieder jener auf eine deftig-subtile Horrorstory wächst - ob mit oder ohne Bandagen.

Uns läuft da nämlich schon das Wasser im Mund zusammen ...

Thomas Fröhlich

Werkliste Lisa Lercher / Auswahl


Kriminalromane

"Zornige Väter", Milena-Verlag, Wien 2010

"Besser tot als nie" (Kurzgeschichten), Milena-Verlag, Wien 2008

"Die Mutprobe", Milena-Verlag, Wien 2006 (2. Aufl. 2010)

"Ausgedient", Milena-Verlag, Wien 2004

"Der Tote im Stall", Milena-Verlag, Wien 2002

"Der letzte Akt", Milena-Verlag, Wien 2001

 

Film

"Die Mutprobe" wurde 2009 unter der Regie von Holger Barthel nach einem Drehbuch von Ivo Schneider für den ORF/MDR verfilmt und erstmals 2010 ausgestrahlt. Der Film war für den 3sat-Zuschauerpreis und für den österreichischen Fernsehpreis der Erwachsenenbildung nominiert.

 

Kurzkrimis

"Kurzkrimis für Eilige" in: DUM (Das Ultimative Magazin) Nr. 64, Zöbing 2012

"Kurzer Prozess" in: "Tatort Prater", Edith Kneifl (Hg.), Falter-Verlag, 2012

"Eigentor" in: "Tatort Kaffeehaus", Edith Kneifl (Hg.), Falter-Verlag, 2011

"Herb im Abgang" in: Sabina Naber (Hg.): "Gemischter Satz", echomedia-Verlag, 2010

mehrere Rätselkrimis für "Die Presse am Sonntag", 2010

Mitwirkung am Fortsetzungskrimi "Frau Trude und die mörderische 77" im "Freizeit-Kurier", 2010

"Veilchen im Moos - ein Erfahrungsbericht" in: "Schöne Versager. Ratgeber und Handbuch fürs Versagen" & die innere Schönheit, Edition Aramo, Krems 2009.

"Im Tal der Königin" in: "Donauweiber", Sylvia Treudl & Martin Vogg (Hg.), Edition Aramo, Krems 2012

 

Fremdsprachige Kurzkrimi-Publikationen

"Forty-three-year-old woman seeking ..." by Lisa Lercher, in: "World Literature Today", The University of Oklahoma, Norman, Oklahoma, USA, 2011 Translation by Laura Ackerman

"The Women's Table" in der Nr. 2 von Noir Nation, International Crime Fiction, Eddie Vega (Hg.)

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