Kino_Secret Services

Daheim im Gemeindebau

Der österreichische Independent-Regisseur Vlado Priborsky hat eine turbulente Verwechslungskomödie mit Slapstick-Elementen gedreht. Und die ist gar nicht schlecht.    09.12.2009

Ein Mann im Anzug und eine Frau mit weißer Pampe im Gesicht sitzen an einem Holztisch. Er liest Zeitung, stopft sich ein Croissant in den Mund, sie wackelt mit dem Köpfchen. An den Wänden hängen selbstbemalte Leinwände, aus dem Bücherregal sticht die Bibel heraus. Er liest etwas aus der Zeitung vor, sie wackelt noch ein bißchen mehr mit dem Köpfchen. Ihre Augen, jetzt nicht mehr unter blauem Kühlgel, drehen sich im Kreis. Sie steht auf, tänzelt nach der Prämisse "Drama, baby, drama" in die von Ikea eingerichtete Küche und legt ihm später verbrannten Toast auf den Teller. Er ist kein Macho, wie er im Buche steht, weil ja heute selbst die Kinder schon wissen, daß Machos so nicht sind. Er ist stattdessen einer, wie es sie nur in Filmen gibt, meist in Hollywood-Filmen aus den 80er und 90er Jahren. Mokiert sich über den Toast, steckt seiner Frau wie einer Prostituierten etwas Kleingeld als Entschuldigung für den verpatzten Geburtstag zu und verschwindet. Sie verwahrt das Geld in ihrem Oberteil, geht zum Telefon und ruft sich einen Mann für ein, zwei schöne Stunden: Secret Services.

Die weitere Handlung des Films von Regisseur Vlado Priborsky ist vorhersehbar: Sie, die gelangweilte Hausfrau Hildegard, plustert sich im pinkfarbenen Hausanzug auf. Darunter ein Hauch von nichts, was natürlich immer wieder zu großen Augen und verschämten Blicken führt. Der neue - französische - Nachbar Albert wird mit dem Callboy verwechselt und, ehe er sich´s versieht, bis auf die glänzende Boxershort ausgezogen. Endlich läutet der echte Callboy, ein Vorstadtproleten-Harald mit Zucken im Gesicht, er wird nach einem Unfall im Tigertanga in der Gemeindebauwohnung herumgeschoben, -gezerrt, -gestellt. Natürlich ist er irgendwann sehr betrunken und hat dann auch eine Zigarre in der Hand. Die beste Freundin Angelina versucht der Hausfrauen-Hildegard zu helfen, vor allem, als der gehörnte Ehemann Waldo statt in Tokio doch im zehnten Bezirk auftaucht. Ein Blumenverkäufer bringt mehr als einmal Blumen, die sammeln sich im Wohnzimmer und werden gegen Ende als Schlagstock mißbraucht. Das Abführmittel für den Waldo, die explodierende Zigarre von Harald, die (innerhalb von zehn Sekunden) in den Franzosen verliebte Angelina - und am Ende stehen auch noch die solariumverbrannten Hildegard-Eltern im Raum. Willkommen Österreich, willkommen daheim im Gemeindebau.

Jemand hat einmal gesagt: Ein Künstler kann einen anderen ruhig imitieren, da die Kopie nie das Original, sondern immer ein eigenständiges Werk sein wird. "Secret Services" scheint sich an Hollywood-Komödien zu orientieren und funktioniert als solche auch sehr gut: Zwischen einer Handvoll wirklich lustiger, oft auch unfreiwillig humoristisch anmutender Slapstick-ähnlicher Szenen und Sätze finden sich Witze, Scherze und Handlungen, die aus dem Handbuch "Wie mache ich eine Komödie, Teil 12" stammen könnten. Ein Sendeplatz um 18 Uhr 15 auf RTL II wäre schon drin.

 

"Secret Services" ist wie die Wohnung, in der er gedreht wurde: Man vermutet dort den Lebensmittelpunkt einer Bankangestellten, von den in Selbstfindungs-Seminaren gemalten Bildern bis hin zur Duftkerze von Ikea und den Stofftieren im ehelichen Schlafzimmer. Bei "Secret Services" ist das Klischee Programm, angefangen von den Figuren über die Ausstattung bis zur Handlung.

Vor allem das Ehepaar schießt weit übers Ziel hinaus: Bei Hildegard erreicht das Genieren für Filmfiguren neue Dimensionen - Overacting ist gar kein Ausdruck. Die rosarot Bekleidete gackert, kreischt, hüpft, schlurft, schreit sich durch die Szenen, als gebe es keine Schauspielschulen. Interessanterweise wirkt sie bei den herausgenommenen Szenen am Ende glaubwürdig. Der Ehemann Waldo bietet mit seiner ihm Angetrauten seltsam antiquierte Szenen einer Ehe, spätestens bei dem Satz: "Wenn ich zurückkomme, ist der Saustall weggeräumt!" möchte man den Drehbuchschreiber fragen, ob er denn wirklich so einfallslos sein mußte. Das Spiel von Callboy Harald ist erheiternd; ein wenig seltsam mutet allerdings an, daß er von Szene zu Szene mehr blutet und doch nie schwer verletzt wird.

Die Hildegard-Freundin ist unaufgeregt und glaubwürdig gespielt, ebenso der Franzose, der für sein Spiel oft ein Lachen erntet. Gerade in seinen Szenen funktioniert das Komödiantische. Auch das Design, angefangen von der DVD-Gestaltung über die Musik bis hin zum Abspann, ist liebevoll, aufmerksam und vor allem konsequent gestaltet. Die Technik ist für einen - salopp gesagt - semiprofessionell hergestellten Film wirklich einwandfrei, auch der Schnitt wurde hervorragend gelöst.

Das wahrscheinlich Wichtigste: Nach dem Film ist vor dem Film. "Secret Services" ist trotz seiner überzeichneten Sketches, seiner Klischeefiguren und des Gemeindebau-Settings ein kurzweiliger Film. Er übertrifft vieles an Qualität, was im deutschen Privatfernsehen gezeigt wird.

Marianne Jungmaier

Secret Services

ØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

Ö 2009

33 Minuten

Regie: Vlado Priborsky

Mit: Verena Leitner, Alexander Fennon, Rainer Obkircher u. a.

Links:

Kommentare_

Kino
Secret Services

Daheim im Gemeindebau

Der österreichische Independent-Regisseur Vlado Priborsky hat eine turbulente Verwechslungskomödie mit Slapstick-Elementen gedreht. Und die ist gar nicht schlecht.  

Stories
Wien-Triest: Der Weg in den Süden

Poesie der Peripherie

Komprimierte Geschichte: Marianne Jungmaier hatte nur ein Winterwochenende Zeit, die historische Strecke entlang der alten Triesterstraße zu erkunden. Was sie dabei erlebt - und gesehen - hat, erfahren Sie in ihrem EVOLVER-exklusiven Reisebericht.  

Akzente
Sad Face/Happy Face - A Trilogy

"Ours is the era of obscenity"

Was verbindet Sex, Hummer und Hirsche? In der Betrachtung eines Kunstjüngers können dies die Metaphern des Lebens selbst sein - Symbole für Leben, Zerstörung und Wahrheit.
Jenseits von abgelutschten Mozartkugeln und blankpolierten Festpielhäusern passierte auf der Pernserinsel in Hallein große Theaterkunst: Anfang August gastierte Jan Lauwers mit seiner Needcompany und einer wahrhaft unentbehrlichen Produktion.