Akzente_Sad Face/Happy Face - A Trilogy

"Ours is the era of obscenity"

Was verbindet Sex, Hummer und Hirsche? In der Betrachtung eines Kunstjüngers können dies die Metaphern des Lebens selbst sein - Symbole für Leben, Zerstörung und Wahrheit.
Jenseits von abgelutschten Mozartkugeln und blankpolierten Festpielhäusern passierte auf der Pernserinsel in Hallein große Theaterkunst: Anfang August gastierte Jan Lauwers mit seiner Needcompany und einer wahrhaft unentbehrlichen Produktion.    29.09.2008

In der ehemaligen Verdampferanlage der Alten Saline finden sie alljährlich statt: die spannenden, abseitigen, die rebellischen Aufführungen der Salzburger Festspiele. Der belgische Regisseur und Choreograph Jan Lauwers vollendet sein Werk über das Wesen des Menschen. Er verzaubert mit einem sechsstündigen Sinnesrausch aus Tanz, Musik und Schauspiel.

Die Erwartungshaltung vor Beginn der Trilogie "Sad Face/Happy Face" war so niedrig wie das kulinarische Rahmenprogramm dürftig. Aus den stark geschminkten Gesichtern der üblichen unerträglichen Festspielgfraster waberten Sätze wie: "Schau´n wir mal, sonst gemma wieder nach dem ersten." Noch schnell ein Glaserl Sekt zur Bierbrezn und hinein in den Müßiggang.

Doch Langeweile und Monotonie sind das genaue Gegenteil von Jan Lauwers. "Boredom ist the problem", sagte er (im ARTE-Interview) und meint das sinngemäß. Das Leben muß uns schmerzen oder glücklich machen. Dazwischen gibt es nichts. Pain or joy.

"Ours is the era of obscenity", läßt Jan Lauwers den Erzähler im ersten Teil seiner Trilogie sagen. Unsere Strukturen absorbieren einander gegenseitig, alles vermischt sich. Es gibt keine Unterschiede mehr zwischen Politik und Wirtschaft, Pornographie und Intimität, zwischen unserer und deren Welt. Wir haben keinen sinnlichen Zugang mehr zu wirklicher Information, zur Geschichte.

Alexander, eine zentrale Figur im ersten Teil, sagt: "Als sie kamen, uns zu sagen, der Krieg wäre vorbei, wußte ich, dies war eine Lüge. Es war eine Lüge. Und das Schlimmste an dieser Lüge war, daß alle sie glaubten."

 

Die erste Produktion "Isabella´s Room" lehnt sich an die Tradition des Geschichtenerzählens an: ein magisches Familiendrama, voll von Geistern und Geheimnissen, exotischen Figuren und Phantasiegebilden. Eine 90jährige, erblindete Isabella sitzt auf einer vollgestellten Bühne und raucht sich eine Zigarette an, während sie ihrem Enkel seine ersten sexuellen Erlebnisse verschafft. Er hingegen hilft ihr mit dem "penis", ihr Feuer wieder zu finden.

Isabella ist der Höhepunkt in der Überwindung der Gleichgültigkeit. Die Grande Dame d´Amour hat 74 Männer und Frauen geliebt und verloren und sieht dennoch keinen Grund für das Liebäugeln mit der Depression: Am Ende schreibt sie ihr Glück, das Bildnis ihres ewigen Prinzen, mit lateinischen Buchstaben. Sie sagt: "Mein Wüstenprinz. [...] Felix. F.E.L.I.X. Und das bedeutet Glück in einer toten Sprache. Täuschung und Illusion." Isabella erzählt von ihrem Dasein und mit ihr singen und weinen, lachen und verstummen die Toten ihres Lebens.

"The Lobstershop", die zweite Produktion, ist ein buchstäblicher und für das Publikum spürbarer Alptraum aus Tod, Sex und Verdrängung, in dem man von hysterischem Lachen und einem geklonten, russischen Bären in den Wahnsinn getrieben wird: Ein Ehepaar zerbricht am Verlust seines Kindes. Der Mann, Axel, faßt den Plan, sich zu ertränken, doch sein sorgfältig vorbereitetes Harakiri-Ritual wird durch einen Zwischenfall im "Lobster Shop" gestört. Hummer platscht auf Sakko, das Publikum rast durch das fiebernde Gehirn von Axel. Im Grenzland von Wahn und Realität sucht er rastlos nach Freiheit. Seine persönlichen Badlands sind bevölkert von Klonen, toten Kindern und trauernden Ehefrauen. Eine rasende Flutwelle aus Trauer und Lust braust über sie alle hinweg.

Die Künstler tanzen, sie fallen und reißen dabei die halbe Requisite - und das Publikum - mit in den Abgrund. Um nicht zu verzweifeln, entwickeln Artisten und Zuseher zugleich eine zarte Form von Menschlichkeit, die notwendig wird, als die Bühne im Schwarz verschwindet. Im Programmheft heißt es: "It is a sad image, which in all its beauty tries to survive."

 

Premiere hatte Lauwers neueste Produktion, "The Deer House", die in der Garderobe der Theatergruppe beginnt und in einem kosovarischen Wald zum Drama wird.

Lauwers leitet das Stück ein mit dem Bericht über einen getöteten Kriegsphotographen. Er war der Bruder von Tijen, einer der Tänzerinnen. Realität wird zur Fiktion: Ein Tagebuch bleibt als Fragment. Als er, der unbeteiligte Voyeur, über Leben und Tod entscheiden mußte, nahm der Krieg sein Gesicht an. Das Tagebuch führt zur Familie seines Opfers, die in einem Wald lebt, umgeben von Hunderten Hirschen. Die Künstler erschaffen gemeinsam dieses Hirschhaus. Es ist ein mythischer Zufluchtsort. Die Theatergruppe wird zur Familie, die um ihre Endlichkeit weiß. Hirsche sind ihr Symbol für Hoffnung, Verletzlichkeit und Schönheit, kontrastiert von aufflackerndem Irrsinn in Mord und Heulkrämpfen.

In einer Szene versucht die Mutter, ihre tote Tochter anzukleiden. Es sind diese Bilder, die an der Hirnschale des Publikums kratzen. Mehr und mehr nackte, tote Körper liegen auf einem Podium der Distanz, gebettet in weiße Gummi-Hirschknochen. Nach grausamer Tiefgründigkeit schlägt heiterer Gruppengesang ein wie eine stinkende Bombe. Kitsch mag eine Diktatur des Herzens sein, hier lenkt er ab von der wahren Botschaft des Stücks: "Beneath us the world and darkness above/We are full of love."

Die Schauspieler preisen die Liebe und küssen einander. Sie ermorden einander und können auferstehen. Gummihirsche fallen vom Himmel, und dem Zuschauer steigt das Herz in den Kopf. Die Kunst wird immer eingefangen von den Fängen der Geschichte.

Fahren Sie im Dezember 2008 nach Zürich und lassen Sie sich verstehen.

Marianne Jungmaier

Sad Face/Happy Face

ØØØ

(Photos © Maarten Vanden Abeele, Eveline Vanassche)

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28. Juli bis 5. August 2008, Pernerinsel Hallein, Salzburger Festspiele

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