Print_Stephen King - Zwischen Nacht und Dunkel

Finstere Orte

Die Romane des US-Gruselmeisters gerieten zuletzt immer geschwätziger. Umso erfreulicher, daß er sich mit seinem neuen Buch wieder kürzer faßt: es enthält nur vier Novellen.    29.01.2011

Tatsächlich kehrt Stephen King mit den Geschichten zwischen Nacht und Dunkel zu seinen Ursprüngen zurück: Schon immer war der King of Horror auch ein Meister der Kurzgeschichte. Das, was King in eine Short Story packt, liefert anderen Autoren schon Stoff für einen eigenständigen Roman. Was wiederum einiges über Kings einzigartiges Fabuliertalent verrät.

Fans des US-Autors haben noch einen weiteren Grund, sich über die aktuelle Neuerscheinung zu freuen, kehrt King mit ihr doch auch zurück an die Schauplätze seiner größten Romanerfolge.

 

Die Auftaktnovelle "1922", mit 200 Seiten die längste Erzählung, spielt in Hemingford Home; dort lebte Abigail Freemantle aus Kings epochalem Endzeitdrama "The Stand - Das letzte Gefecht". Doch diesmal geht es nicht um die alte Dame, sondern um den alten Farmer Wilfred. Damit er endlich in Frieden auf seiner Ranch leben kann, möchte er seine mißliebige Gattin loswerden.

Dazu spannt er auf perfide Weise seinen Sohn in einen Mordplan ein. Doch nachdem sie ihre Frau und Mutter unter die Erde gebracht haben, was sich als äußerst blutige Angelegenheit erwies, meldet sich bei beiden das schlechte Gewissen, und Wilfred muß erkennen: Sein Leben ist keineswegs friedlicher geworden ...

 

Zu einem ziemlichen Alptraum verwandelt sich auch Tess' Leben in "Big Driver", der zweiten Erzählung. Tess schreibt erfolgreich betuliche Detektivgeschichten. Gewalt? Liegt ihren Heldinnen, einem Häkelkreis alter Damen, so fern wie nichts anderes auf der Welt.

Doch als man Tess auf dem Heimweg von einer Lesung überfällt, vergewaltigt und in einem Abwasserkanal entsorgt (in dem bereits andere Frauenleichen verwesen), wird sie zur Heldin ihrer eigenen Geschichte. Inspiriert scheint King von "Die Fremde in dir" (The Brave One; Neil Jordan, US 2007); und auch Tess schaut sich diesen Rachefilm mit Jodie Foster an, bevor sie es ihren Peinigern heimzahlt.

 

Mit "Faire Verlängerung" kehrt Stephen King zurück nach Derry, jenen fiktiven Ort, der einst von "Es" heimgesucht wurde. Und wie einst Pennywise, der Clown, den Kindern wunderbare Bonbons versprach, bevor er sie in den Abgrund zog, bietet auch Mr. Elvid (man beachte den Namen!) ein zuckersüßes Geschenk fürs Leben: eine Verlängerung.

Die Dave Streeter, von einem schmerzhaften Tumor gezeichnet ist, nur allzugerne annimmt. Doch auf wessen Kosten?

 

"Eine gute Ehe" wiederum spielt in der fiktiven Kleinstadt Castle Rock, in der ein Großteil von Kings Werken angesiedelt ist. Eingefleischte Fans wissen: Mit dem Castle Rock-Zyklus schilderte King auf kongeniale Weise das banale US-Leben mit all seinen Annehmlichkeiten und Vergnügen - in die unvermittelt das Grauen platzt.

So wie bei Darcy, die nach 27 Jahren glücklicher Ehe erkennen muß, daß ihr über alles geliebter Ehemann Bob nicht der ist, der er zu sein vorgibt. Jetzt steht sie vor einer schweren Entscheidung: Akzeptiert sie das Geheimnis ihres Gatten und läßt sich dabei mit auf die dunkle Seite ziehen, oder rettet sie - nicht nur - ihr eigenes Leben?

"Eine gute Ehe" ist auch die beste der vier Novellen. Sie zeigt beispielhaft, weshalb King ein so populärer Autor geworden ist: Mit einfachen Worte entfaltet er vor den Augen seiner Leser ein Stück simples, tägliches Leben, das - in dieser Form oder ähnlich - jeder von uns kennt. Er schaut den Leuten aufs Maul und schreibt, wie sie reden, denken und fühlen. Das macht seine Geschichten so realistisch - und uns Angst. Angst davor, daß diese kleine Glück plötzlich ein Ende haben kann. Und das wird es ...

 

Wirkliche Gruselgeschichten sind die vorliegenden Erzählungen aber nicht. Sie rangieren irgendwo zwischen Krimi und Horror, wobei Letzterer nur subtil daherkommt. Das Böse - und mit ihm die Furcht - entspringen den gekränkten, verstörten, verletzten Seelen der Protagonisten.

Letztlich, das ist die Moral der Geschichte, fürchten wir uns doch alle vor den finsteren Orten - und vor der Phantasie eines Stephen King. Zumindest wenn er nicht zuviel schwätzt. Und das tut er diesmal definitiv nicht.

Marcel Feige

Stephen King: Zwischen Nacht und Dunkel

ØØØØ

Full Dark, No Stars

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Heyne Verlag (D 2010)

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Kommentare_

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