Print_Moebius - Die hermetische Garage/Arzach

Psychedelic Warfare

Wer die Schnittmenge aus absurdem Humor, Michael Moorcockscher Acid-Fantasy und im Western sozialisierter Hippie-Esoterik sucht, landet entweder bei Alejandro Jodorowsky ... oder bei seinem zeichnenden Bruder im Geiste. Von Flugsauriern aus Beton, garagenförmigen Asteroiden, umherirrenden Kriegern, wißbegierigen Majoren und Umleitungen, die definitiv nie ans Ziel führen.    02.12.2008

Kurz gesagt: Moebius ist wohl einer der erfolgreichsten und zugleich eigenwilligsten Comicszeichner überhaupt.

Als Jean Giraud 1938 in einem Vorort von Paris geboren, legte er unter seinem richtigen Namen bereits als Teenager den Grundstein zu einer ziemlich beispiellosen Karriere. Nachdem er im Jahr 1961 als Assistent von Jijé an der damals bekannten Western-Comicreihe "Jerry Spring" mitarbeiten durfte, schuf er - nach Texten von Jean-Michel Charlier - kurz darauf seine erste Hitserie "Fort Navajo". Das daraus entstandene Western-Spin-off "Leutnant Blueberry" wurde einer der größten und langlebigsten französischen Comic-Erfolge aller Zeiten und verhalf Giraud - neben jeder Menge Auszeichnungen - nicht nur in seiner Heimat Frankreich zu enormer Popularität.

Unter dem Pseudonym Moebius arbeitet er seit 1963. Seine erste "richtige" Science-Fiction-Geschichte, "Die Umleitung", erschien 1973 im "Pilote", gleichsam der Mutter aller frankobelgischen Comic-Zeitschriften. Im Gegensatz zu seinen wunderbar detailfreudigen, gleichwohl formal konventionell aufgebauten Giraud-Zeichnungen nimmt er sich als Moebius stilistisch mitunter ziemliche Freiheiten heraus. Während beispielsweise bei "Leutnant Blueberry" die Sprechblasen (wie bei 99 Prozent aller Comics) nur den Zweck der Dialogdarstellung haben und ihre Gestaltung sich an den jeweiligen Panels orientiert, fungieren Schriftart und Position der Blasen bei Moebius als gestalterische Bildelemente und verschmelzen mit der Zeichnung zu einer Einheit.

Moebius darf sich außerdem rühmen, Mitbegründer des famosen Comic-Magazins "Metal Hurlant" zu sein. "Schwermetall" hieß und heißt das bei uns und war in seiner Frühphase (70er/80er Jahre) beim prononciert linken Volksverlag geparkt, dem wir auch die für damalige Verhältnisse herrlich schmutzigen "U-Comix" zu verdanken haben. Dort, beim "Metal Hurlant", erschienen schließlich auch die Moebius-Meisterwerke "Arzach" und "Die hermetische Garage". Es folgten zahlreiche weitere Comics (unter anderem auch mit dem Filmemacher, Theaterautor und Comics-Texter Alejandro Jodorowsky) sowie Gemälde und Entwürfe für Filme. Ohne Moebius sähen Streifen wie "Das fünfte Element", "Tron", "Matrix I-III" oder auch "Die Klapperschlange" wohl anders aus.

Cross Cult hat zwei seiner Meisterwerke aus den 70ern neu aufgelegt.

 

Die hermetische Garage

 

"Le garage hermétique", wie das Original heißt, war 1976 die dritte Serie, in der Moebius die Grenzen des Bildgeschichten-Erzählens auslotete und ein Universum - besser: ein Multiversum - schuf, dessen Bildgewalt und Details auch heute noch zu Recht als stilbildend durchgehen.

"Die hermetische Garage" hat keine von vornherein geplante Handlung, sondern wurde von Moebius spontan gezeichnet (dessin automatique nennt der Meister das). In kurzen Kapiteln von zwei bis vier Seiten entwickelt Moebius die Odyssee eines gewissen Major Grubert durch die rätselhafte Welt eines Asteroiden, den man die hermetische Garage nennt.

Die hermetische Garage und die von Moebius gezeichnete Gestalt des Major Grubert sind untrennbar miteinander verbunden. Genauso darf man auch die Verbindung mit dem britischen Fantasy- und SF-Schreiber Michael Moorcock nicht unerwähnt lassen, der mit seinem James-Bond-Verschnitt für die psychedelische Ära, Jerry Cornelius, eine Blaupause für drogenumflorte Genre-Erzählungen lieferte. Letzterer tritt in der "hermetischen Garage" wiederholt als Gruberts Gegner auf. In einer fulminanten Bandbreite unterschiedlicher Zeichenstile (von "funny" bis Eso) ziehen besagter Cornelius, neugierige Aliens, schöne Frauen, technische Wunderdinge (die sowieso keiner kapiert), verzerrte Realitäten und archaische Träume (für die unsereins wegen Suchtmittelmißbrauchs ins Gefängnis käme) an Grubert und den Lesern vorbei.

Irgendwo auf diesem Asteroiden wartet ein gar mysteriöses Schicksal auf Grubert - doch wie auch im richtigen Leben ist letztendlich der Weg das Ziel; vor allem, wenn der so beschaffen ist wie hier. Eine neues Vorwort von Moebius rundet die vorliegende Editon ab.

 

Arzach

 

Der Weg als Ziel - das mag auch als Maxime für "Arzach" gelten.

Das erste Bild: Ein Mann reitet auf seinem (scheinbar aus Beton bestehenden) Saurier durch die Lüfte. Niemand weiß, wer er ist oder woher er kommt. Sein Gesichtsausdruck ist müde. Die Landschaft, die er überfliegt, ist abweisend, zuweilen von fleischfressenden Gräsern oder auch riesigen Tierskeletten gesäumt.

"Arzach" war 1975 nach längerer Pause der zweite Comic, den Jean Giraud unter seinem Pseudonym Moebius veröffentlichte. Zugleich war "Arzach" Moebius´ nachhaltiger Durchbruch in der internationalen Comic-Szene und sollte ihn endgültig weltberühmt machen. Seine Hauptfigur, der müde Krieger, dessen Name sich von Episode zu Episode wandelt (Arzach ist nur einer von ihnen), wurde innerhalb kürzester Zeit zur Legende. Im Gegensatz zur schwarzweißen "Hermetischen Garage", die ein Jahr später im Moebiusversum landen sollte, wird uns hier ein psychedelischer Farbeinsatz um die Ohren (besser: Augen) geschmissen, der seinesgleichen sucht.

Zwar haben wir in "Arzach" mit der nachträglich hinzugefügten "Umleitung" aus 1973 eine schwarzweiße, sich vom realistischen Malstil einer klassischen Giraud-Geschichte zum Schraffurstil eines Moebius-(Alp)Traums rankende Story vorliegen - der Rest aber ist eine düstere und trotzdem quietschbunte Welt geheimnisvoller Techno-Archaik und bizarrer Abenteuer. Beinahe vollständig wortlos bewegt sich der Krieger durch Geschichten, die (laut Moebius) ohne Skript und ohne Entwürfe entstanden sind, was bei minderbegabten Kollegen üblicherweise in Unlesbarkeit mündet.

Nicht so bei Moebius. Der legte mit "Arzach" ein definitives Phantastik-Meisterwerk hin, das von herkömmlicher Fantasy so weit entfernt ist wie, sagen wir, Ian Fleming von pädagogisch wertvollem Schrifttum.

Dem immer aufs Neue zu preisenden Cross-Cult-Verlag ist es wieder einmal zu verdanken, daß mit dem elegisch-skurrilen "Arzach"* einer jener Comics erscheint, die man ungestraft als Klassiker bezeichnen darf - und zwar ohne Einschränkung.

Thomas Fröhlich

Moebius - Die hermetische Garage

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(Le garage hermétique)

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Cross Cult (Asperg 2008)

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Moebius - Arzach

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Cross Cult (Asperg 2008)

 

(* Diese Edition erscheint erstmals in deutscher Sprache, komplett mit einem Vorwort und einem Comic-Prolog des Künstlers.)

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