Print_Richard Laymon - Nacht

Meister der Körpersäfte

Dieser Autor wird entweder gehaßt - oder gehaßt. Seine Leser haben es schwer. Wie erklärt man dann seiner Partnerin, dem Freundeskreis oder dem Chefredakteur, daß menschenverachtendes Rednecktum trotzdem großartig sein kann? Thomas Fröhlich probiert´s.    18.09.2007

Richard Laymon und sein schriftstellerisches Werk vorzustellen ... ist nicht einfach.

Man nehme einen ans Pathologische grenzenden Waffenfetischismus amerikanischer Prägung, kopple den mit unverhohlenem Sadismus, rabiater Menschenverachtung, null Prozent Political Correctness, einem Schreibstil, der formal immer wieder an Schüleraufsätze (aus amerikanischen Schulen) erinnert, und Handlungs(!)bögen, die zumeist aus einer Aneinanderreihung detailfreudig geschilderter Vergewaltigungs-, Folterungs- und Tötungsphantasien bestehen. Diese ungesunde Mixtur garniere man noch mit einem gerüttelt Maß an Rassismus, Haß auf alles "andere" (Schwule, Obdachlose, Freaks ...) und einem Rechtsempfinden, das sich am liebsten in Selbstjustiz äußert (und das ist noch ziemlich liberal-wohlwollend formuliert).

Soll man sich die literarischen Auswürfe eines solchen Menschen wirklich antun? Und - zu allem Überdruß - darf man das dann auch noch gut finden? Die Antwort lautet prinzipiell und in beiden Fällen: JA!

"Niemand schreibt wie Richard Laymon!" meint etwa Dean Koontz - was auch immer das heißen mag. Stephen King, der politisch korrekte Märchenonkel, der früher auch als Horrorautor umtriebig war, findet gar: "Es wäre ein Fehler, Richard Laymon nicht zu lesen."

Also was jetzt?

Richard Laymon, sogar im EVOLVER-Kontext mehr gehaßt als geliebt, macht es seinen Kritikern leicht - zu argumentieren nämlich. Seinen Adepten schon weniger. Besser gesagt: er machte. Laymon verstarb nämlich 2001 an Herzversagen.

Geboren wurde er 1947 in Chicago, wuchs in Kalifornien auf und machte einen Abschluß in Englischer Literatur an der Willamette University in Oregon. Er arbeitete als Lehrer, Bibliothekar und Berichterstatter bei einer Anwaltskanzlei. Nach seinen ersten Erfolgen als Autor widmete er sich nur noch dem Schreiben. Zu seinem Werk gehören mehr als 60 Kurzgeschichten und mehr als 30 Romane. Viele wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht, aber auch schon zu Lebzeiten erschienen in den USA mehrere Elaborate, die sich alle auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen: Sex-Crime-Splatter, und zwar ohne noble Zurückhaltung, unter oftmaliger Umgehung halbwegs origineller Ideen oder gar gesellschaftspolitischer Reflexion (bewahre!), wie sie beispielsweise Schriftsteller wie Jack Ketchum immer in ihren Geschichten, wenn auch manchmal versteckt, haben. Laymons Stories sind Wichsunterlagen, ausschließlich für gewaltfixierte dirty old (oder young) men gedacht, die zu den mental Unvermittelbaren zählen. Oder so.

Seine größten Erfolge hatte und hat Laymon in Europa, speziell in England. Wahrscheinlich stieß seine Hardcore-Inszenierung des American way of Life in seiner Heimat nicht zuletzt deshalb auf Ablehnung, weil er wohl ein wenig zu nahe an der Wahrheit des US-Selbstverständnisses war: Das Lesen von Laymon erspart einem jeden (von vornherein gefaketen) Michael-Moore-Film. Hier spricht ein hemmungsloser Apologet all dessen, was man an den USA aus gutem Grunde beschissen finden darf. Zugleich ist es gerade diese Distanzlosigkeit zu allem, worüber Laymon schreibt, die sein Werk so faszinierend macht.

 

"So schlecht, daß es schon wieder gut ist!" gilt jedoch nicht - wer das sagt, hat wieder einmal nichts verstanden. Daß vieles aus dem Laymonschen Œuvre schon aus rein formalen Gründen (gekoppelt mit einem gelegentlich auftretenden Mangel an auch nur ansatzweise frischen Ideen) nicht zu schaffen ist, ist eine Sache. Doch: "Wer vieles bringt, wird manchen etwas bringen", wie es in "Faust I" des Herrn Geheimrat Goethe heißt - und der muß es ja wissen!

Und am "vielen" scheitert´s bei Laymon ja wirklich nicht. Manche seiner Romane und Erzählungen sind nämlich sowohl vom Spannungsaufbau als auch von der Konsequenz ihrer Beschreibungen dermaßen mitreißend, daß einem schlichtweg der Atem wegbleibt. Dann schafft er es auch, in seinem knappen Stil aus scheinbar völlig ausgelutschten Szenarios Story-Bilder zu schaffen, die sich ins Hirn einfräsen und von dort garantiert nicht mehr verschwinden. Und daß nicht selten seine appetitanregenden Frauenfiguren letztendlich die eigentlichen Siegerinnen sind, stellt eine zusätzliche Pikanterie dar und müßte auch von Russ-Meyer-Fans wohlwollend zur Kenntnis genommen werden.

Ins Deutsche wurde in der Vergangenheit nur weniges aus Laymons Feder übersetzt - der Erfolg hatte sich in überschaubaren Grenzen gehalten. Seit ein paar Monaten hat sich dies geändert. Die "Hardcore"-Reihe des Heyne-Verlags, innerhalb derer auch schon Lesenswertes wie Ketchums "Evil" ("The Girl Next Door" im Original) auf deutsch erschienen ist, bringt nun in kurzen Abständen einiges von Laymon heraus.

Darunter auch das vorliegende "Nacht" (Originaltitel "After Midnight"). Die Story ist - natürlich - schnell erzählt: Als die junge Alice den Job als Babysitterin annimmt, ahnt sie nicht, daß ihr die schrecklichste Nacht ihres Lebens bevorsteht. Denn kaum ist sie allein im Haus, wird sie von einem geheimnisvollen Anrufer terrorisiert. Als der dann auch noch versucht, ins Haus einzudringen, weiß sie sich nicht anders zu helfen, als ihn mit einem alten Säbel niederzustrecken. Doch damit beginnen die Probleme erst. Der Eindringling war nämlich überhaupt nicht der Anrufer ...

In "Nacht" schafft es Laymon ziemlich fulminant, gleich zu Beginn mit beinahe Hitchcockscher Präzision suspense aufzubauen, sich dafür auch die nötige Zeit zu nehmen (Laymon-ungeübte Leser werden sich schon während dieses ersten Teiles die Fingernägel ruinieren), um dann wieder 100 Prozent Laymon auf die Leserschaft abzufeuern. Die Stringenz, der Spannungsaufbau und das bei Laymon immer wieder ersichtliche Können, auf schier unglaubliche Situationen thrillmäßig noch eins draufzusetzen, führen dazu, daß man "Nacht" erst weglegt, wenn man fertig ist - und zwar in jeder Hinsicht.

Derlei gelingt ihm bekanntermaßen nicht immer. Langeweiler wie "Vampirjäger" oder - ganz schlimm - "Parasit" (trotz verschärfter Härte, auch - und vor allem - im sexuellen Bereich) sind Beweise fürs Gegenteil. "Nacht" hingegen ist ein hervorragender Einstieg in die kranke Welt des Autors und Gelegenheits-Bibliothekars Richard Laymon. (Wann gibt´s endlich eine Studie über durchgeknallte Bibliothekare in Wort und Bild?) Im Grunde kann man´s dabei auch belassen, denn so gut wie in "Nacht" ist Laymon selten. Manch einer wird trotzdem in regelmäßigen Abständen nach "mehr" rufen (so wie auch der Schreiber dieser Rezension).

Jene irregeleiteten Mitmenschen mag man bedauern, Mitleid sollte man sich jedoch verbieten. Die sind alle selbst dran schuld und verdienen - wie Raucher - nichts anderes! Und das würde Richard Laymon wahrscheinlich sogar unterschreiben, wenn er noch könnte: mit Blut, Sperma und Magensaft.

Thomas Fröhlich

Richard Laymon - Nacht

(After Midnight)


ØØØØØ (für Laymon-Fans)/ØØØ (für alle anderen)

 

Heyne (München 2007)

Photo: © Tom Corey

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