Print_Thomas Gifford - Ultimatum

Starker Anfang, schwaches Ende

Die Literaturszene an sich ist schon mörderisch. Wenn dann noch ein Psychokiller auftaucht, sollte eigentlich für Spannung gesorgt sein. Irrtum.    01.11.2004

Mit seinem megaerfolgreichen Vatikanthriller "Assassini" ebnete Thomas Gifford vor einigen Jahren auch hierzulande den Weg für religiös angehauchte Spannung, wie sie im Moment von Dan Brown geliefert wird (und daß beide Herren auf deutsch beim selben Verlag erscheinen, ist wohl kein Zufall). Vor über 20 Jahren, als Gifford mit dem Schreiben anfing, verfaßte er hauptsächlich konventionelle Krimis und Thriller - und warum diese frühen Titel nicht schon eher übersetzt wurden, hat einen simplen Grund: sie sind nicht besonders gut.

Doch der Reihe nach: Für die geschiedene Literaturagentin Natalie Rader läuft in "Ultimatum" eigentlich alles perfekt. Die Mittdreißigerin hat gerade einen Millionenvertrag für einen ihrer Autoren ausgehandelt, der sie zum Star der Agentur macht und dieser eine satte Provision einbringt. Allein, die Freude, sie währt nicht lange, denn als Natalie beim Verlassen des Büros aus dem Fenster blickt, wird sie Zeugin, wie ein Mann eine Schußwaffe bei einer Baustelle entsorgt, und, noch schlimmer, dieser Mann entdeckt sie. Natalie beschließt, den Vorfall zu verdrängen, und vertraut sich nur ihrem Exmann - einem verbitterten Schundromanschreiber - an, der die Geschichte aus Gründen, die nicht so ganz klar werden, prompt an die Presse weiterleitet. Bald darauf taucht auch die Polizei auf, ist doch Natalie mittlerweile das Stadtgespräch von New York.

So weit, so gut. Die Figuren sind eingeführt, die ersten Handlungsstränge entwickelt, und jetzt folgt - Beliebigkeit. Man gewinnt den Eindruck, daß Gifford, nachdem er den Anfang routiniert inszeniert hat, plötzlich vor der Schwierigkeit steht, wie er einer Geschichte, die über keinen eigentlichen Kern verfügt, eine halbwegs stringente Richtung geben soll, um dem Klappentextanspruch des Thrillers noch gerecht werden zu können. Leider gelingt ihm das nicht wirklich. Es tauchen zwar immer neue Figuren auf - der geniale, aber moralisch verkommene irische Dichter, der lüsterne, aber tief in seinem Herzen leidende Chef, der geheimnisvolle und anziehende Polizist - aber diese Charaktere verschwinden ebenso plötzlich wieder, ohne daß ihre Abwesenheit groß ins Gewicht fiele. Zudem leistet sich Gifford mit fortschreitender Handlung mehr als nur eine äußerst unglaubwürdige Szene (so hat die eher bieder gezeichnete Natalie zum Beispiel mit einem wildfremden Eindringling reichlich seltsamen Sex) und macht sich somit neben der Sünde, unspannend zu schreiben, auch noch des Verbrechens der Geringschätzung der geistigen Fähigkeiten der Leserschaft schuldig. Der Schluß ist dann reines Melodrama. Mit einem geistesgestörten Killer in einem abgelegenen, durch einen Schneesturm von der Außenwelt abgeschnittenen Haus gefangen, muß Natalie um ihr Leben kämpfen und darf am Ende in die Arme ihres Helden sinken. Wer hat die Taschentücher?

Jürgen Benvenuti

Thomas Gifford - Ultimatum

ØØ

(Woman in the Window)


Bastei Lübbe (Bergisch Gladbach 2004)

 

Photo © by Juri Schaffner

 

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