Stories_Porträt: Charles Willeford

Keine Hoffnung für die Lebenden

Ob er den "Miami Blues" spielte oder über kalifornische Hohepriester berichtete - er war einer der ganz großen Noir-Autoren. Martin Compart berichtet über den Mann, dessen Leichnam auf dem Heldenfriedhof in Washington begraben liegt und der nie Nummer 71 sein wollte.    24.09.2007

Charles Willefords Knochen vermodern mit 260.000 anderen - darunter Seelenverwandten wie Lee Marvin und Sam Peckinpah - auf dem sogenannten Heldenfriedhof von Arlington in Brainwashington. Willeford war nämlich ein mehrfach verwundeter Kriegsheld (Schrapnellwunden im Gesicht und am Hintern), der als Panzerkommandeur von Pattons Armee im Zweiten Weltkrieg mit Silver Star, Bronze Star, Purple Hearts und dem Luxemburger Croix de Guerre ausgezeichnet wurde. Der "Hohepriester des Psycho-Pulp" (wie ihn die "Village Voice" nannte) wußte also, wovon er redete: "Sowas wie einen gerechten Krieg gibt es nicht. Nichts ändert sich dadurch - nur, daß ein paar Leute dazuverdienen und deshalb viele Menschen, vor allem junge, krepieren müssen. Es ist immer für nichts. Diejenigen, die Kriege anzetteln, sind nie dieselben, die sie dann tatsächlich kämpfen." Das sehen Ungediente wie Joscka Fischer, Rudolf Scharping oder Hein Blöd Struck natürlich anders.

 

Als 1984 mit "Miami Blues" Willefords achtzehntes Buch erschien, wimmerten die harten Noir-Fans: "Wieso kennen wir den Kerl nicht?" Fünf Jahre vor seinem Tod hatte der Schriftsteller damit erst seinen Durchbruch. Im Gegensatz zu Thompson, Goodis oder Williams war er zuvor nicht einmal ein Kultautor mit kleiner Fan-Gemeinde gewesen.

Geboren wurde Charles Willeford am 2. Januar 1919 in Little Rock, Arkansas. Mit acht Jahren war er Vollwaise. "Wenn du mit acht zur Waise wirst, weißt du, daß du als nächster dran bist", sagte er später. Er lebte vier Jahre bei seiner Großmutter, die ihn während der großen Depression schließlich nicht mehr durchfüttern konnte. Als Hobo führte er dann ein "Leben auf der Straße". Mit 16 ging er zum Militär und blieb 20 Jahre Berufssoldat.

1947 veröffentlichte er sein erstes Buch: den Gedichtband "Proletarian Laughter". 1963 kam der erste Noir-Roman: "High Priest of California", in dem ein noch gebremster Psychopath (natürlich Gebrauchtwagenverkäufer) einer verheirateten Frau nachsteigt. Ganz nebenbei erlaubt sich Willeford böse Seitenhiebe auf den McCarthyismus.

Es folgten Klassiker, die kein großer Verlag haben wollte: "Pick up" und "The Woman Chaser" zum Beispiel. Willeford, der gern bei Gold Medal Books veröffentlicht hätte, dem Verlag der von ihm so bewunderten Autoren Jim Thompson und John D. MacDonald, schrieb stattdessen für die miesesten und obskursten aller Taschenbuchverlage. Daneben absolvierte er ein Studium der Philosophie und Literatur sowie diverse Gelegenheits-Jobs. Sogar einen Privatdetektivroman ("Wild Lives") verfaßte er, allerdings ohne große Begeisterung - in "der Tradition von Hammett und Chandler", wie es oft auf stupiden Klappentexten heißt. Willeford bringt seinen PI darin am Ende in den Knast, denn "zum Schluß haßten die Leser den Kerl bestimmt genauso wie ich. Ich wollte nur sehen, ob ich sowas hinkriege".

Von den Verlagen, die Titel änderten oder sogar seine Pseudonyme, war er nicht sonderlich begeistert, trug es aber mit dem ihm eigenen Humor: "Merkwürdige Leute. Warum hauen sie halbnackte Blondinen aufs Cover, wenn es in dem Buch doch um halbnackte Brünette geht?"

Der Kritiker William Bittner ordnete Willeford Ende der 50er den Beats zu. Tatsächlich haben Noir-Autoren und Beat-Literaten viele Gemeinsamkeiten - etwa die Verachtung für die Konsumgesellschaft und ihre Regeln. Bei Noir endet das meist in stoischem Existentialismus, Beat propagiert dagegen das Sich-treiben-lassen und die Kreativität.

 

Bevor er Anfang der 60er Jahre eine Universitätskarriere begann, arbeitete Willeford als Redakteur für Alfred Hitchcocks Kriminalmagazin. 1962 endete seine erste, materiell höchst unbefriedigende Phase als Romancier mit dem Roman "Cockfighter". Er unterrichtete Literatur an der Universität von Miami und besprach als Kritiker des "Miami Herald" Hunderte von Kriminalromanen.

"Der Wendepunkt in meiner Karriere war die Novelle 'The Machine in Ward Eleven', die 1959 im 'Playboy' erschien", erinnerte er sich einmal in einem Interview. "Vorher hatten mir die Lektoren erklärt, es sei unmöglich, geisteskranke Personen als Sympathieträger zu zeigen. Ich glaubte das nie. Wahnsinn ist die Normalität in Amerika. Die Reaktion der Leser bestätigte das."

Anfang der 70er Jahre machte Willeford einen neuen Anlauf: Er hatte einen Hardcover-Verlag und einen Filmdeal in der Tasche. Sein Noir-Roman über den Kunstbetrieb, "The Burnt Orange Heresy", gilt einigen als sein bester. Ein Kritiker beurteilte das Buch als "eine Mischung aus Patricia Highsmith und Jim Thompson - falls sowas möglich ist."

Der nach Motiven der Odyssee konzipierte "Cockfighter" wurde von Monte Hellman mit Warren Oates verfilmt und ist heute ein Kultfilm (in dem auch Willeford in der Rolle des Ed Middleton mitspielt). Und wieder hatte er Pech: Buch und Film floppten; der Autor stellte abermals die Produktion ein.

Es muß ihm damals bis obenhin gestanden haben. Die billigen Taschenbuchverlage hatten alles dazu getan, ihn erfolglos zu machen: Sein Roman "The Difference" wurde von einem Lektor ruiniert, der ein neues Anfangskapitel schrieb. Manchmal erfuhr er erst Jahre später, daß eines seiner Bücher veröffentlicht worden war. Und als er endlich einen guten Lektor gefunden hatte, starb der unmittelbar nach der Neuauflage von "Cockfighter" bei einem Autounfall.

Doch dann kam nach zehnjähriger Schaffenspause mit dem ersten Hoke-Moseley-Roman endlich der Erfolg für Amerikas härtesten Nihilisten. Elmore Leonard konnte sich kaum einbremsen und lobte Willeford als Offenbarung. Quentin Tarantino erklärte, er mache kein Neo-Noir, sondern Filme, wie Willeford Bücher schreibt. Verlage balgten sich um weitere Moseley-Romane - und zum ersten Mal kam das große Geld. Für "The Way We Die Now" bekam er 225.000 Dollar Vorschuß. Sein Kumpel, der exquisite Kleinverleger Dennis McMillan, veröffentlichte luxuriöse Neuauflagen. Willeford hatte es endlich geschafft! Vier Jahre konnte er sich darüber freuen, dann kam endgültig das große Nada.

 

Am 27. März 1988 war Zapfenstreich für den Mann, der Soldaten mit kriminellen Psychopathen verglich. Denen hat er mit einem unsterblichen Satz in "Sideswipe" ein Denkmal gesetzt:

 

Ich bin ein krimineller Psychopath. Das bedeutet, daß ich den Unterschied zwischen Recht und Unrecht kenne, aber daß er mir scheißegal ist.

 

In seinen Noir-Romanen gibt es keine sentimentalen, melodramatischen Momente oder Identifikationsfiguren - aber jede Menge schwarzen Humor und vergiftete Gefühle, die eiskalt vorgeführt werden. Seine Machohelden sind Kakerlaken, erschreckend lebensechte Psychopathen, die durch überraschende Plots taumeln.

Willeford war kein Epigone, sondern ein originärer Schriftsteller mit einer eigenen Sicht auf das Leben: Einmal besuchte er mit McMillan einen Puff in Monterey. Die von ihm ausgewählte Nutte holte ein Notizbuch heraus und schrieb etwas hinein. Auf Willefords Frage, was sie da mache, antwortete sie: "Du bist diese Woche Nummer 71."

Willeford drehte sich um und ging: "Ich wollte einfach nicht Nummer 71 sein."

Martin Compart

Charles Willeford in deutscher Übersetzung


Die vier Fälle rund um Hoke Moseley, einen Sergeant "mit schlecht sitzendem Gebiß, billigen Freizeitanzügen, abgenudelter Kreditkarte und allzu freidenkerischen Auffassungen seines Berufs", gibt es als Neuauflagen im Alexander-Verlag. In Frank Nowatzkis Pulp-Master-Reihe liegen zwei weitere Romane vor.

Links:

Charles Willeford im Original


Im stilechten Vintage-Look hat die amerikanische Black-Lizard-Edition neben Jim Thompson, Dashiell Hammet oder Joe R. Lansdale auch einige Willeford-Stories im Programm. Der britische Spezialistenverlag No Exit Press bietet neben "Woman Chaser" oder "The Machine in Ward Eleven" ein Triple-Feature mit "The Pick Up", "The Burnt Orange Heresy" und "The Cockfighter" als Omnibus-Ausgabe an.

 

(Cover-Illustration: "The Woman Chaser", 1960) 

Links:

Charles Willeford auf Zelluloid


"Cockfighter", 1974 inszeniert von "Two-Lane Blacktop"-Regisseur Monte Hellman und mit Warren Oates, Harry Dean Stanton und Willeford selbst auf der Darstellerliste.

 

"Miami Blues", 1990 inszeniert von George Armitage und mit Alec Baldwin, Fred Ward, Charles Napier und Jennifer Jason Leigh auf der Darstellerliste.

 

"The Woman Chaser", 1999 inszeniert von Robinson Devor und mit Patrick Warburton (falls sich noch jemand aus "Seinfeld" an ihn erinnert) in der Hauptrolle.

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