Stories_Die Geschichte des Pornofilms/Teil 2

Video killed the Intercourse-Star

Vom Meat- zum Moneyshot: Martin Comparts Streifzug durch die drei X führt nach historischem Stummfilmgerammel durch die Goldenen Siebziger in die einschneidende Video-Ära.    18.02.2008

Der Weg der modernen Pornographie, wie wir sie heute kennen, war lang, steinig und oft gefährlich. Die Zeiten, als sich Männer mit hochgeschlagenem Kragen ihren Schmuddelkram noch in schmierigen Läden in den schmutzigen Straßen der Slums besorgten, sind längst vorbei. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Pornographen und Konsumenten immer mehr emanzipiert und das Genre zu einem Großteil aus der Anstößigkeit befreit.

Im ersten Teil seiner Historie des pornographischen Films berichtete Martin Compart darüber, wie die Bilder vögeln lernten; Teil zwei folgt ihrer Spur auf dem Wege zum Massenphänomen.

Wir wünschen gute Unterhaltung!

 

Dänemark war das erste westliche Land, in dem Pornographie legalisiert wurde - und zwar bereits 1969! Dagegen dauerte es in Großbritannien bis 1999; es war das letzte europäische Land, das seine repressive Gesetzgebung aufhob. Die Liberalisierung in den skandinavischen Ländern machte Dänemark und Schweden geradezu zum Synonym für Porno. Von dort aus schmuggelten Geschäftsleute und selbsternannte Überzeugungstäter Filme und Magazine ins südliche Europa ein.

Zum Inbegriff des Euro-Pornos wurde Lasse Braun (hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Italiener Albert Ferro): Nachdem er mit Hilfe des väterlichen Diplomatenpasses Magazine nach Italien gebracht hatte, begann er in den 60ern Filme zu drehen, die er über seine Stockholmer Firma Beta vertrieb. 1971 führte er gemeinsam mit dem amerikanischen Vertriebsmogul Reuben Sturman in Europa die Peep-Show-Kabinen (pay and spray) ein. Die wurden mit kurzen Filmen, sogenannten loops, munitioniert. Mitte der 70er Jahre produzierte Braun mit "Sensations" den teuersten europäischen Porno, der je gedreht wurde. Obwohl man zwei seiner Edelpornos sogar in Cannes vorführte, waren sie Flops. Der Mißerfolg traf die Branche ins Mark, und sie stürzte sich fortan auf kostengünstige Produktionen. Erst in den Neunzigern stellten europäische Regisseure wie Joe D´Amato, Pierre Woodman und Luca Damiano wieder aufwendige Großproduktionen her.

Der zweite wichtige europäische Pornopionier war der Schwede Berthe Milton, der 1960 sein erstes Pornoheft herausgab: "Private", das erste Porno-Mag in Farbe. Ende der 80er verkaufte jedes Heft 100.000 Exemplare, davon allein 40.000 in Deutschland - doppelt soviel wie die schärfsten Konkurrenten "Foxy Lady" und "Color Climax". Aus dieser Urzelle des ehemaligen Tivoli-Managers entwickelte sich einer der größten Pornokonzerne der Welt, als 1990 sein gleichnamiger Sohn die Geschäfte übernahm und wuchtig in den Videomarkt einstieg. Die "Private"-Filme zeichnen sich durch exotische Drehorte und teure Produktion aus.

 

Auch in den Staaten erfreute sich der Markt seit den Seventies eines vehementen Wachstums. Die 60er Jahre hatten auch hier die Moral liberalisiert und für freieren Umgang mit Sexualität gesorgt.

Die Mafia hatte seit der Depression nichts mehr mit Pornographie am Hut - damals war sie nur ein bescheidenes Geschäft gewesen, das auf lokaler Ebene und nicht einmal von allen Mafia-Familien abgefrühstückt worden war. Ende der Sechziger führte der New Yorker Anthony Peraino schließlich die Colombo-Famile ins Busineß ein: Es entwickelte sich zum größten Gewinnbringer seit dem Drogengeschäft. Peraino produzierte Stags und Loops für die Münzautomaten in den Times-Square-Shops.

Auch Reuben Sturman, der ein undurchsichtiges Imperium aufbaute, war mit der Mafia verbandelt. Und wie diese schon den Rock´n´ Roll durch Bestechung der Disc-Jockeys und das Aufstellen von Jukeboxes durchgesetzt hatte, machte sie Porno erst zum Multimillionengeschäft. Das begann mit einem genialen Handstreich, indem die Ehrenwerte Gesellschaft ihr Geld in den bekanntesten und erfolgreichsten Porno aller Zeiten steckte: "Deep Throat". Danach war Porno nie mehr derselbe. "Deep Throat" war der Beginn des Pornofilms als Massenmedium, der erste spielfilmlange Porno mit einer durchgehenden Handlung.

Von Gerard Damiano in wenigen Tagen heruntergedreht, feierte der Film im Juni 1972 in einem richtigen New Yorker Kino Premiere. Gleichzeitig landesweit in 300 Kinos vorgeführt, schlug "Deep Throat" Hollywoods Blockbuster der Saison, "Cabaret" und "Shaft II", um Längen. Innerhalb kürzester Zeit avancierte der Streifen zum Phänomen: Erstmals zeigte man einen Hardcore-Film landesweit - und Prominente wie Frank Sinatra, Warren Beatty und Truman Capote bekannten sich als Zuschauer.

Auf einmal war Porno Tagesgespräch und schick: Paare gingen gemeinsam in einen Porno, und niemand schämte sich, dabei gesehen zu werden. "Esquire" schrieb: "Wer ihn nicht gesehen hatte, galt irgendwie als rückständig." Das Pornopublikum bestand nicht länger aus der Regenmantelbrigade.

"Deep Throat" beförderte den Pornofilm ins Reich der Popkultur. Der für nur 22.000 Dollar gedrehte Streifen spielte mehr als 100 Millionen ein. Er gehört zu den Top-ten-Moneymakern der Filmgeschichte und spielt in derselben Liga wie "Star Wars" oder "Titanic". Der weibliche Star Linda Lovelace wurde zur internationalen Berühmtheit und gerngesehener Gast in Talk-Shows. Der Begriff porn chique entstand, und deep throat wurde zu einem geflügelten Wort und feststehendem Ausdruck der Umgangssprache.

 

Es ist jedoch nicht ganz richtig, "Deep Throat" als ersten Porno-Spielfilm zu nennen: Der erste Porno mit einer Handlung, der in amerikanischen Kinos gezeigt wurde, war "Mona", ein 59minütiger Film aus dem Jahre 1970, gedreht und produziert von Bill Osco und Howard Ziehm. Doch für "Mona" war die Zeit nicht reif.

"Deep Throat" kam hingegen zum richtigen Zeitpunkt nach der sexuellen Revolution der Hippies. Der Film löste einen Trend aus: relativ aufwendig gemachte Pornos mit einer Handlung, die in großen Kinos von Paaren angesehen werden konnten. Porno hatte die schmuddligen Abspielorte der Stags verlassen und war auf dem besten Weg zum Mainstream.

Diese Filme waren richtige Filme, gedreht auf Filmmaterial mit längeren Drehzeiten und von engagierten Regisseuren in Szene gesetzt. Für kurze Zeit sah es danach aus, als würden sich Porno- und Mainstream-Kino verbinden können und sowohl harten Sex als auch gute Geschichten kombinieren - etwa in "Eruption" (1977), der Porno-noir-Version von Billy Wilders und Raymond Chandlers "Double Indemnity" ("Frau ohne Gewissen"). Die Dreharbeiten auf Hawaii dauerten für das Genre unglaubliche drei Wochen.

Aber die Welle hielt nicht an: Der vielleicht beste Pornofilm des Jahrzehnts, "The Devil in Miss Jones" (1974) von Gerard Damiano, wurde ein Flop. Die Hauptdarstellerin Georgina Spelvin: "Der war zu anspruchsvoll. Die Leute kamen aus dem Kino und dachten: Ich bin reingegangen, um mir einen runterzuholen, nicht um nachzudenken."

Die aficionados verklären mittlerweile nostalgisch die Pornos der 70er Jahre: Sie hätten echte Menschen gezeigt, die heißen Sex miteinander hatten. Danach hätte es nur chirurgisch aufgemotzte Superpüppchen gegeben, die heißen Sex vorspielten. Stars wie Ginger Lynn oder Samantha Strong, die wirklich Freude beim Dreh haben und das auch rüberbringen können, gelten als Ausnahmen. Die clevere Amerikanerin Ginger Lynn war übrigens die erste, die eine prozentuale Beteiligung am Verkauf ihrer Videos durchsetzte und die erste, die sich exklusiv an eine Produktionsfirma band. Sie hatte das Recht, Filme und Partner abzulehnen, bekam dafür mehr Geld und arbeitete weniger. Zuvor hatte Marilyn Chambers für den Klassiker "Behind the Green Door", den zweiterfolgreichsten Porno der Seventies, sagenhafte 25.000 Dollar und eine Beteiligung kassiert. Angeblich verdiente kein anderer Pornostar bis Jenna Jameson dank eines solchen Prozentvertrags mehr Geld.

 

Auf dem Höhepunkt des sogenannten Golden Age of Porn im Jahre 1978 produzierte man den USA etwa 100 Pornofilme mit einem durchschnittlichen Budget von 400.000 Dollar. 1996 wurden vergleichweise etwa 8000 Filme für den Videomarkt gedreht - und kaum einer hatte ein Budget von mehr als 10.000 Dollar. Eine neue technische Entwicklung beendete den großen Kinoporno, vergrößerte aber den Markt insgesamt gigantisch: Video. (Anmerkung der Redaktion: Paul Thomas Anderson setzte dieser Ära in "Boogie Nights" ein filmisches Denkmal.)

Nachdem Sony 1969 den ersten Videorecorder vorgestellt hatte, schrieb Peter Gruber, Produzent der Columbia Studios, in einem vorausschauenden Artikel: "Diese Technik wird einmal alles revolutionieren und einen neuen Markt fur Pornographie entwickeln. Man wird zu Hause seine eigenen Pornos drehen und vertreiben. Private Nacktfilme mit Darstellern aus der Nachbarschaft werden eine Tatsache sein."

Videorecorder wurden ab 1975 auf den Markt gebracht, und die Pornographen reagierten umgehend. Bereits 1983 machten Pornos drei Viertel des Umsatzes an Videokassetten aus. Video erschloß neue Konsumschichten: Leute, die nie in einen Sexshop oder ein Pornokino gegangen wären, konnten nun in ihrer Videothek für wenig Geld unter einer großen Anzahl Pornos auswählen und die Filme in der Geborgenheit des eigenen Heims anschauen. 1981 gab es in den USA fast 1000 Kinos für Erwachsene, die 20 Prozent der gesamten Kinoeinnahmen umsetzten und wöchentlich 2,5 Millionen Tickets verkauften. Sechs Jahre später gab es weniger als 200. In derselben Zeit war der Videoverleih von Pornos auf 15 Millionen angestiegen und lag 1997 bei 600 Millionen - und das trotz der Repressionen durch die Regierungen Reagan und Bush ...

 

Fortsetzung folgt.

Martin Compart

Vom Meat- zum Moneyshot: Die Geschichte des Pornofilms

Teil 1


Die Zeiten, als sich Männer mit hochgeschlagenem Kragen ihren Schmuddelkram noch in schmierigen Läden in den schmutzigen Straßen der Slums besorgten, sind längst vorbei. Lesen Sie mehr im ersten Teil von "Vom Meat- zum Moneyshot".

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