Stories_Dunkles Wien

Vienna noir

Während sich das Österreichische Filmmuseum ins sonnige Italien begeben hat, bietet das Filmarchiv Austria im Metrokino den schattigen Gegenpol: den Besuch in einem düsteren Wien, in dem sich Spione, Killer, verruchte Bardamen, wahnsinnige Lustmörder, Alt-Nazis und Taxifahrer ohne Reisepaß tummeln. Thomas Fröhlich unternimmt eine Zeitreise in die Jahre 1949 bis 1974 und trifft auf eigenartiges Personal.    28.01.2009

Sieht man sich heute das mit flächendeckenden und zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit abgehaltenen Events zugeschüttete Wien an, das in seiner gutgelaunten Rund-um-die-Uhr-Animier-Manie vor keinem (ehemals) verschwiegenen Gäßchen und keinem (früher) gemütlichen Wirtshaus haltmacht, kann man sich gar nicht vorstellen, wie das einmal gewesen sein soll: daß nämlich in Wien nichts los war. Daß Wien einmal außer grau in erster Linie grau war. Ein wenig düster. Dunkel. Keine quietschbunten Blinklichtlein allerorten. Keine Klingeltöne. Stiller, vielleicht. Und daß das alles noch gar nicht so lange her ist.

Genau von dieser Zeit handelt die Filmretrospektive des Filmarchivs Austria, "Dunkles Wien", die dieser Tage im pittoresken Wiener Metro-Kino stattfindet.

Wobei: Los war ja genug, in der Nachkriegszeit sowie in den Jahren danach, so bis in die 70er hinein. Es war halt die Zeit, bevor der totale Spaß zum Menschenrecht aller ausgerufen wurde, vom aufmerksamen Weinseminaristen der Innenstadt über den "Falter"-lesenden und FM4-"Festln" aufsuchenden Jungakademiker in Boboville bis hin zum Pinkelparties frequentierenden Komasäufer im transdanubialen Vorort. Sah sich die Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg selbst gern als walzerbeschwingt-elegantes Arkadien, so wandelte sich Wien nach dem Krieg zu einer Hauptstadt internationaler Intrigen - in der Realität wie im Kino. Ein Wien der Trümmer, der Trümmerfrauen, der Heimkehrer, der Schwarzhändler. Der Schleichhandel blühte. Zudem wurde Wien zur neuen Frontstadt des Kalten Krieges, zur Drehscheibe des organisierten Verbrechens, der Spionagewelt sowie alter Nazi-Seilschaften, die Grenzen dazwischen verschwimmend.

Ausgehend vom vielleicht berühmtesten Vienna noir, Carol Reeds The Third Man ("Der dritte Mann", 1949), präsentiert die von Olaf Möller kuratierte Filmschau "Dunkles Wien" eben genau dieses Stadt-Bild, in Form einer Auswahl an zeitgenössischen Kriminalfilmen, Spionage-Thrillern und Sozialreißern, in denen die Schattenseiten der viergeteilten Stadt sowie die der ersten Dekaden der Zweiten Republik auf die Leinwand gebracht werden. In etwa 20 Filmen werden nicht zuletzt die Risse dokumentiert, die das soziale Gefüge der Nachkriegsgesellschaft durchtrennt und zwischen Lebensgier und Mangelexistenz die Halblegalität zur - uneingestandenen - Beinahe-Normalität erhoben haben.

 

Bildet "Der dritte Mann" die allseits bekannte Blaupause (oder besser den Steinbruch) für nahezu jeden der hier gezeigten Filme, so stellt Emile Edwin Reinerts Abenteuer in Wien (oder "Stolen Identity", wie die englischsprachige Fassung heißt) aus dem Jahre 1952 wohl ein lange Zeit vernachlässigtes kleines Meisterwerk dar, das sich von Story und Atmosphäre her aber durchaus mit dem Reed-Klassiker messen darf. Als ein Fahrgast des ohne gültigen Ausweis in Wien lebenden Taxifahrers Toni (Gustav Fröhlich) ermordet wird, greift sich der Taxler die Papiere des Toten, läßt sie von einem Freund ein wenig frisieren ... und ist nun plötzlich Amerikaner. Damit beginnen Tonis Scherereien allerdings erst so richtig. Der Amerikaner scheint - in den falschen Kreisen - nämlich gar nicht so unbekannt zu sein. Darf man sich durchaus über die Schauspielerbesetzung freuen (wie etwa Karl Farkas als grantelnder Ober), so ist der Star des Films allerdings die Stadt Wien selbst: stets im Halbschatten, ruinenübersät, kurze Blicke freigebend auf die wie aus der Zeit gefallenen und konserviert anmutenden Prachtbauten längst vergangener Ären, dazwischen keine Sicherheiten, nichts, ein Jahr Null, prolongiert bis in diese eine Nacht hinein (und natürlich viel weiter), in der sich "Abenteuer in Wien" letztendlich abspielt.

Die Bedrohung der Identität in diesem Film bleibt (scheinbar) fast ausschließlich im privaten Bereich angesiedelt, ähnlich wie auch bei Harald Röbbelings Asphalt (1951) oder Kurt Steinwendners Wienerinnen (1952), beide eine Art Antwort auf den italienischen Neoverismo à la de Sica oder Rossellini. Im Gegensatz dazu liefert Sheldon Reynolds mit Foreign Intrigue (1956) - in der Hauptrolle Robert Mitchum - einen Nazi-Spionage-Thriller, dessen Plot internationale Verschwörungsmachenschaften umfaßt und der neben einer mondän anmutenden französischen Riviera ein verfallenes Nachkriegs-Hinterhof-Wien der düstersten Sorte bietet.

Überhaupt darf sich das p. t. Publikum der Schau über eine herzhaft-knackige Genrebezogenheit des Kurators Möller freuen. Dessen beglückender Mangel an irgendwelchen Berührungsängsten, auch sogenanntem Schmutz und Schund gegenüber, sorgt dafür, daß die zeitlich folgenden Sixties-Elaborate, ob aus österreichischem oder anderweitigem Filmschaffen, auch wunderbaren Euro-Episoden-Trash wie etwa Gern hab´ ich die Frauen gekillt (1966) umfassen. Dürfen wir bei letzterem Stewart Granger im Café Sperl beim Spionieren bewundern (sowie Pierre Brice und Lex Barker an anderen Orten, wo´s kracht), so beeindruckt der notorische Herbert Fux in Eddy Sallers Sadomaso-Reißer Geißel des Fleisches (1965) als Wiener Lustmörder mit der Lizenz zum Outrieren.

Nicht vergessen sollte man auch Adrian Hovens Der Mörder mit dem Seidenschal (1965) - trat doch der charmante Frauenschwarm und Matineeliebling der 50er Jahre in den Sechzigern und Siebzigern als Regisseur von Proto-Torture-porn wie Hexen bis aufs Blut gequält (1969) und Hexen - geschändet und zu Tode gequält (1972) in Erscheinung. Sein im Rahmen von "Dunkles Wien" gezeigter Seidenschal-Krimi ist hingegen ein ziemlich auf den Punkt gebrachtes, schnörkelloses Genre-Handwerksstück um ein Mädchen, das Zeugin des Mordes an ihrer Mutter wird. Gemein ist all diesen Filmen, daß das geschilderte Wien nun zwar an der Oberfläche ein wenig poppiger erscheint, doch darunter ist´s immer noch die graue und dunkle Nachkriegs-Stadt, die sich ihrer Provinzialität auch ein wenig zu schämen scheint.

 

In den 60ern entsteht jedoch, sozusagen als Kollateralnutzen, auch eine - einzige - Variante einer vielleicht als Austro-Nouvelle-vague zu bezeichnenden Richtung. Oder, wie der österreichische Regisseur Leo Tichat über seinen einzigen Kinofim Die Verwundbaren (1965) um eine "Jeunesse dorée ohne Gott, aber mit vagen Sehnsüchten" meint: "In meinem Film, der in Wien spielt, ist die Stadt mehr als nur eine Kulisse [...] sie ist Mitwirkende, ein Teil, eine Ursache." Und diese Ursache läßt die Protagonisten in einen Mahlstrom aus Unsicherheit, Sex und Gewalt kippen, an deren Ende nur der eigene, nächtlich zelebrierte Untergang stehen kann.

Die Filmschau endet dann in und mit den 70ern. So läßt Liliana Cavani in Il portiere di notte ("Der Nachtportier", 1974) im Wien der 50er Jahre einen in einem eleganten Hotel als Nachtportier arbeitenden ehemaligen KZ-Büttel und Immer-noch-Nazi (Dirk Bogarde) auf eine Frau (Charlotte Rampling) treffen, die er vor Jahren gefoltert und vergewaltigt hat. Mit ihr geht er nun eine von beidseitigen Machtspielen geprägte "Liebes"-Beziehung ein - was damals, als "Der Nachtportier" in die Kinos kam, aufgrund der zunehmend verwischten Opfer-Täter-Identität für einen zugkräftigen Skandal sorgte und den Film zum Kassenschlager machte.

Cavanis Wien ist ein schwülstiges, dekadent anmutendes und zugleich in jeder Hinsicht heruntergekommenes Biotop für ein ebensolches Personal. In Michael Winners Scorpio ("Scorpio der Killer", 1973) hingegen darf das Wien der frühen 70er Jahre noch einmal als Drehscheibe der Spionage-Parallelwelt fungieren, mit Burt Lancaster, Alain Delon und Paul Scofield als bezahlten Geheimdienstkillern. Doch der kalte Krieg mit seinen klaren Freund-Feind-Bildern existiert im Grunde nur noch in der Erinnerung der gealterten Kämpfer, die von ihren eigenen "Firmen" betrogen werden. Die wirklichen Auseinandersetzungen finden längst woanders statt. Smarte, global agierende Händler bestimmen nachhaltig das Bild der Welt. Wer das nicht wahrhaben will, fällt in Ungnade.

 

Als zentraler Drehort ist in "Scorpio" übrigens der Karlsplatz zu sehen, seine Passage einer labyrinthischen Falle gleichend, die auch ihren Steller zu schnappen bereit ist. Der U-Bahnbau findet gerade statt, Einkaufszentren werden hochgezogen: Wien wird modern. Und bunt. Ereignisreich. Die Nachkriegsfadesse scheint überwunden zu sein..

Es ist endlich was los in Wien.

Schwarzmarkt gibt´s auch keinen mehr. Wozu auch? Wir haben ja jetzt den freien Markt.

Thomas Fröhlich

Dunkles Wien


(Photos © Filmarchiv Austria)

 

Wann? Vom 21. Jänner bis 28. Februar 2009

 

Wo? Metrokino, Johannesgasse 4, 1010 Wien 

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