Stories_Sehnsucht

"A little action is all I need ..."

Valeska Grisebachs zweiter Spielfilm ist eine gut recherchierte, realitätsnahe Liebesgeschichte, wie sie auf viele Mittdreißiger passen könnte. Aber wozu ins Kino gehen, wenn wir sowieso die Realität kennen?    04.05.2007

Haben Sie sich schon mal ein sogenanntes Arthouse-Movie aus der DVDthek ausgeliehen oder im Kino angesehen? Falls ja, dann wissen Sie ja wahrscheinlich, daß diese Machwerke leider zum Großteil stinklangweilig sind (wenn Sie nicht gleich nach den ersten Minuten eingeschlafen sind). Wollen Sie das Ihren Freunden jedoch durch die Blume mitteilen oder sich ihre cineastische Glaubwürdigkeit - wofür auch immer die gut ist - erhalten, dann sagen Sie künftig vielleicht lieber:" 'Hier bitte den Filmtitel einsetzen' ist ein glasklares Beispiel für die emotionale Vergletscherung unserer Gesellschaft und steht für die Isolierung des Individuums, die Unfähigkeit zur Beziehung, unterdrückte Hoffnungen und Träume ... Stilistisch könnte man es durchaus der Berliner Schule zuordnen."

Was das alles (außer altklugem Geschwafel typischer "Qualitätszeitungs"-Leser) bedeutet?

 

Valerie Grisebachs "Sehnsucht" eignet sich perfekt zur Erklärung solcher Leersätze. Besagte "Berliner Schule" ist dafür bekannt, den Alltag in klaren Bildern darzustellen. Grisbachs Regiekollege Oskar Roehler hat diese Filme einmal so beschrieben: "Die sind immer spröde, immer streng. In den Filmen passiert eigentlich nichts. Sie sind langsam, trist, und es wird nie etwas wirklich gesagt." Spätestens, wenn man "Sehnsucht" gesehen hat, weiß man, was er damit meint. Es geht meist um die alltäglichen Problemchen des menschlichen Miteinanders, so auch bei Valeska Grisebach, die einen Teil ihrer Ausbildung übrigens an der Wiener Filmakademie genoß. Was wohl einiges erklärt ...

Im Mittelpunkt steht der Schlosser Markus, gespielt von Andreas Müller, der mit Ella (Ilka Welz) glücklich verheiratet ist. Alles ist eitel Wonne, bis er bei einem Treffen der Freiwilligen Feuerwehr zu tief ins Glas schaut und sich schließlich zu Robbie Williams´ "Feel" ins Delirium tanzt. Schnitt. Nächste Szene, nächster Morgen, im Bett einer anderen. Der klassische Filmriß. Anfangs will man nicht glauben, daß diese Nacht alles verändern soll und Markus fortan zwischen zwei Frauen steht - seiner Ella und der Kellnerin Rose (Anett Dornbusch). Beim Versuch, den Abend zu rekonstruieren, verliebt sich der junge Mann aber in das Servierfräulein. Es scheint, als hätte diese neue Liebe nichts mit seinen Gefühlen für Ella zu tun, doch irgendwann kann er nicht mehr, und die Geschichte nimmt ein unerwartetes Ende.

"Sehnsucht" wird weitläufig definiert als "das tiefe Verlangen nach jemandem oder etwas, den oder das man liebt und/oder begehrt. Die häufigsten Sehnsüchte sind die nach einer Person (...) oder nach einem Gefühl, etwa Sehnsucht nach Geborgenheit" - also eigentlich alles, was Markus schon bei Ella hat. Sehr subtil, mit schönen Bildern und viel Stille wird der Teufelskreis der Liebe zu zwei Frauen aufgezeigt, dem Markus eigentlich nicht entkommen kann. Er wird dabei als Held dargestellt, der zwar alles richtig machen möchte, aber doch nichts richtig machen kann. Genau das erzeugt beim Zuseher sowohl Antipathie als auch Sympathie.

Die Regisseurin versuchte, mit wenigen Worten und vielen, langsamen Bildern eine realitätsnahe, traurige und zugleich schöne Liebesgeschichte zu erzählen, basierend auf rund 200 Interviews mit Menschen um die dreißig über deren Sehnsüchte, Träume und Wünsche. Valeska Grisebach wollte wissen, wie sich ihre Gesprächspartner als Kinder und Jugendliche das Erwachsenenleben vorgestellt haben - und wie es nun wirklich für sie ist. Diese Informationen verknüpfte sie dann mit einer Liebesgeschichte, von der sie in einem französischen Dorf gehört hatte.

 

Die Realitätsnähe von "Sehnsucht" wird durch Laiendarsteller unterstrichen, wie auch schon in Grisebachs Diplomfilm "Mein Stern". Schade ist nur, daß dieser Über-Realismus auf Kosten der in dem Film so gut wie nicht vorhandenen Spannung geht und das Resultat sehr schnell sehr langweilig wird. Man sitzt im Kinosaal und will den Hauptdarsteller anschreien: "Jetzt sag doch endlich einmal was!"

Der Film ist somit eine durchschnittliche Dreiecksgeschichte, die aufgrund der ausgiebigen Recherche durchaus interessant sein könnte - es aber (auch wenn viele positive Kritiken anderes behaupten) nur bedingt ist. Man fühlt sich an die Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern erinnert und fragt sich, ob man den gepriesenen Herrscher als einziger splitternackt spazierengehen sieht. Wer sich selbst ein Urteil bilden will, braucht jedenfalls eine Menge Sitzfleisch, da die 88 Minuten von "Sehnsucht" eine subjektive Ewigkeit dauern. Bringt man auch noch viel Toleranz und Geduld gegenüber bildlastigen und dialogarmen Filmen mit, dann wird man sich nach dem Kinobesuch vielleicht wohlfühlen – wie nach einer durchgeschlafenen Nacht.

Bettina Figl

Sehnsucht

ØØ 1/2


D 2006

88 min.

dt. OF

Regie: Valeska Grisebach

Darsteller: Andreas Müller, Ilka Welz, Anett Dornbusch u.a.

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