Stories_Interview: Papermint

Virtuelle Villa Kunterbunt

Alle Welt spricht von "Second Life", der EVOLVER lieber über das quietschvergnügte Gegenstück, made in Austria: Stephan Skrobar traf Barbara Lippe, die bezaubernde Designerin hinter "Papermint".    26.03.2007

Eines vorweg: Der Autor dieser Zeilen hat noch nie ein Computerspiel gespielt, hat es aber nach dem überzeugenden Gespräch mit Avaloop-Lead-Artist Barbara Lippe vor. Hier also (noch) kein Spielbericht.

 

Wer am Ende eines langen, langen Tages Satz- und Wortkonstruktionen wie "das Ziel ist die Ent-Disneyfizierung in Richtung Japanisierung" und "Eskapismus" in den Mund nimmt, kann generell als nicht unschwieriger Gesprächspartner eingestuft werden. Man seufzt innerlich auf und tut so jemanden geistig zu den Menschen, deren Wortschöpfungen allwöchentlich im "Falter" unter "Welt im Zitat" zu finden sind. Bei Barbara Lippe ist das anders.

Irgendwie hat sie es geschafft, dem Autor dieser Zeilen sein absolutes Desinteresse an spielerischer Betätigung im Internet mit ebensolchen und ähnlichen Formulierungen auszureden. Und so entwickelte sich ein oberflächlich begonnenes Gespräch über den Launch des Online-Spiels "Papermint" hin zu einer Diskussion über graphische Feinheiten, die Differenzierung von Kommunikationskanälen und warum Japan sowieso das geilste Land der Welt ist. (Anmerkung der Redaktion: Als hätte das je jemand bezweifelt.)

"Papermint" ist ein Spiel, das nach der Betaphase nun seit 21. März im offiziellen Betrieb steht - eine virtuelle Welt, in der sich die Spieler in Echtzeit treffen, miteinander in Gedankenaustausch treten, gemeinsam Aktivitäten setzen und einander generell entweder sympathisch sind oder nicht. Die eigene Persönlichkeit entwickelt sich basierend auf dem Verhalten in der Online-Welt und wird in einem sogenannten Wobble, einem Informationsfeld über dem Kopf des Spielers, dargestellt. Die Designer bezeichnen ihre Kreation lapidar als "Luxus-Chat". So weit, so gut - das kennen wir ja im Prinzip alles schon. Begriffe, die hier nicht fallen, sind "Second Life", "Publishing Deadline" und "realitätsnah".

 

Design-Diskussion statt Spielbericht

Lassen wir also die hinreißend japanophile Barbara Lippe zu Wort kommen. Das zahlt sich aus. Frau Lippe ist Lead-Artist von "Papermint" und vermittelt glaubhaft, daß ihr das Graphikdesign von Computerspielen ein echtes Anliegen ist. Mehrere Aufenthalte in Japan haben Frau Lippe stark geprägt - und da sind wir auch schon beim Schwerpunkt von "Papermint": dem Design. Lippe, die die Online-Welt allen Ernstes als ihren "privaten Irrsinn" bezeichnet, setzte beim Design stark auf 2D und knallige Farben. Der erste Eindruck ist, als hätte man einem vierjährigen ADHSler auf Speed einen Malkasten gegeben und ihn zweieinhalb Stunden damit alleingelassen. Wer sich allerdings in der japanischen Bildsprache heimisch fühlt, wird die Optik als angenehm vertraut und verspielt empfinden.

 

Für den europäischen Gamer ist diese Erfahrung wahrscheinlich neu. Wir gehen hier aber bewußt den Weg der japanischen Spieleentwickler: Das Spiel muß keine Abbildung der Realität, sondern in sich stimmig sein. Die Spielwelt muß sich real anfühlen, nicht real aussehen.

Barbara Lippe

 

In diesem Punkt unterscheidet sich "Papermint" also massiv und durchaus sympathisch von amerikanischen und europäischen Produktionen. Lippe bestätigt auch die naheliegende Beobachtung, daß sich "Papermint" aus der Design-Schule heraus entwickelt hat und sich so von der technikaffinen Entwicklerindustrie unterscheidet. "Meistens ist es halt so, daß, je besser die Technik ist, desto weniger Platz der Phantasie bei der Entwicklung von Computerspielen bleibt", sagt sie. (Anm. der Red.: ... wie man leider an vielen derzeitigen Vertretern der Computer- und Konsolen-Games beobachten kann.)

 

" 'Papermint' ist wie Urlaub im Internet."

 

Das vieldeutige Wort "Mikrolokalisation" bedeutet bei "Papermint", daß sich die Spieler in einer an die Wirklichkeit angelehnten virtuellen Realität treffen. Wien, um das jetzt nur als Beispiel zu nennen, ist "Wieneu", nur daß sich dort das Flex gleich neben dem Naschmarkt befindet (was eindeutig die Heimreise erleichtert.) "Wir stellen mit 'Papermint' einen Kommunikationsplatz - wie eine Bar - bereit und animieren die User, in Kontakt zu treten."

Daß der Weg in Online-Welten einen Verlust der sozialen Kompetenz in unserer tatsächlichen Welt nach sich zieht, glaubt Lippe nicht: "Kritik an dieser Art von Eskapismus gab es bei den ersten Single-Player-Games und davor auch schon bei Büchern." Auch wenn der durchaus kritische Beobachter noch daran zweifelt, daß virtuelle Welten soziale Fähigkeiten nicht nur nicht verkümmern lassen, sondern im Gegenteil sogar fördern, klingt Lippe in ihrer Argumentation griffig.

Entwickelt wurde "Papermint" vom elfköpfigen Team des Wiener Software-Studios Avaloop über einen Zeitraum von drei Jahren. Als ehrgeiziges Ziel werden Frauen ab 20 als Hauptzielgruppe (abgesehen von den üblichen Verdächtigen, den Teenagern) angegeben. Primärmärkte sind heuer die deutschsprachigen, und 2008 China und Korea (und nicht Japan, wie man vielleicht erwartet). Alle sechs Monate soll "Papermint" um ein neues Themenpaket erweitert werden.

" 'Papermint' soll auch für Menschen gut spielbar sein, die noch nie zuvor ein Computerspiel gespielt haben", meint Creative Director Lev Ledit zur Konzeption der Online-Society. Der Autor dieser Zeilen wird sich das Spiel auf jeden Fall beizeiten herunterladen - und damit wird "Papermint" das erste Computerspiel sein, auf das er sich einläßt. Sobald es für Mac erhältlich ist.

Stephan Skrobar

Papermint


Foto: Anna Baltl

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