Stories_Der Spionage-Roman/Teil 5: John Buchan

Von Staatsmännern und Nervenkitzel

John Buchans Held Hannay wird gerne als ein Vorfahre von Ian Flemings James Bond bezeichnet. Im fünften Teil seiner Geschichte der "spy novel" widmet sich Martin Compart dem Schaffen des schottischen Autors.    28.01.2013

Was den Bekanntheitsgrad in seiner Zeit (sein wichtigster Roman, The 39 Steps, ist seit seinem Erscheinen 1915 bis heute nie vergriffen gewesen und wurde fünfmal verfilmt) angeht, stimmt der Vergleich zwischen Bond und Buchan - allerdings nur auf England beschränkt. John Buchan war es auch, der den Action-betonten Spionageroman kreierte. Er selbst bezeichnete seine Thriller als shockers. Darüber hinaus war er aber ein ungleich umfangreicher interessierter Autor und Politiker, der sehr viele Zeitbezüge in seine Romane einarbeitete und jede Menge Biographien schrieb. Wären nicht seine oft  - aus heutiger Sicht - phantastisch anmutenden Plots, seine grandiosen Schilderungen physischer Aktion (die seinem Landsmann Robert Louis Stevenson viel verdanken) und die romantischen Helden, allen voran Richard Hannay, dann wüßte man seine Qualitäten, zeitgenössische Politik zu interpretieren und zu reflektieren, vielleicht besser zu schätzen.

Thematisch gewann Buchan fast mit jedem seiner Thriller  neue Themen und Topoi für das Genres hinzu: In Mr. Standfast (1919) etwa setzt er sich mit der psychologischen Kriegsführung und Unterwanderungstaktiken auseinander, die ein Land von innen bedrohen können. Viel gefährlicher als der Kampf an der Front oder die Jagd auf Saboteure erscheinen ihm feindliche Demagogen, die durch Zerrüttung des inneren Friedens hinter der Front für Unruhe sorgen. Für Buchan, der sich in diesem Buch von einem Milnerschen Hardliner zum liberalen Konservativen wandelte, geschieht das durch ein geschicktes Manipulieren der sozialen Gegensätze, die im Bürgerkrieg enden könnten.

 

John Buchan, erster Baron Tweedsmuir von Elsfield, wurde am 26. August 1875 in Perth, Peebles-shire in Schottland als ältester Sohn eines presbyterianischen Pfarrers geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Kirkcaldy, Fife (wo auch der Anfang von Prester John spielt) und im Tweed-Tal an der schottischen Grenze. Es blieben seine Lieblingslandschaften, die auch immer wieder in seinen Büchern geschildert wurden. 1888 zog die Familie nach Glasgow. John besuchte die dortige Universität und anschließend das Bresnose College in Oxford, wo er klassische Philologie und Jura studierte. Schon während des Studiums kündete sich eine glanzvolle Karriere des Hochbegabten an. Als er gerade zwanzig war, erschien sein erstes Buch; 1897 und 1898 gewann er zwei wichtige Universitätspreise, den Stanhope Essay Prize und den Newdigate Prize. Noch während des  Studiums veröffentlichte er zwei Romane, eine Sammlung von Gedichten und Kurzgeschichten und eine Essaysammlung. Das führte zu einer Eintragung im "Who´s Who", noch bevor er einen akademischen Grad errungen hatte. 1899 schloß Buchan sein Studium ab.

1901 wurde der hoffnungsvolle junge Mann als Anwalt zugelassen, ging aber noch im selben Jahr als Sekretär zu Lord Milner, dem Hochkommissar für Südafrika. Er wurde nach Kapstadt geschickt und kümmerte sich um die Kriegsgefangenenlager, in denen furchtbare Zustände für eine ungewöhnlich hohe Sterberate sorgten. Dem kämpferischen Humanisten Buchan gelang es durch Reformen und bessere Behandlung, diese Verhältnisse zu ändern. Um diese Zeit, in der er zum inneren Kreis der "bright young men" im Londoner Polit-Establishment zählte, wurden sein politisches Bewußtsein nachhaltig geprägt und seine Liebe zu Südafrika vertieft (reaktionäre Bemerkungen über Schwarze, die sich in seinen Thrillern finden, lassen ihn als überzeugten Imperialisten seiner Zeit und als Anhänger der Apartheid erscheinen).

1903 trat er in den Verlag Nelson ein, wo er es bis zum Direktor brachte. Bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs entstanden fast zwanzig Bücher, darunter Gedichte, Geschichtswerke und erste Biographien.

 

Sein erster Thriller, The Half-Hearted, war bereits 1900 erschienen. In diesem Buch verhindert sein Held Lewis eine Invasion Indiens durch die Russen. 1910 veröffentlichte er mit Prester John einen Roman, der schon auf die späteren Hannay-Romane vorausweist und Buchans Ansichten über Afrika illustriert: Ein junger Engländer verhindert einen Aufstand der Schwarzen, der durch einen diabolischen, "ungewöhnlich intelligenten Neger" angezettelt wurde. Trotz seiner imperialistischen Ideale zeichnet den Roman ein gewisses Verständnis der südafrikanischen Situation aus. Erstmals in einem Polit-Thriller (der hier ganz klar in der Tradition der school boy adventure novel steht) taucht auch die Parole "Afrika den Afrikanern" auf. Noch heute ist das Buch ein überzeugendes Zeitdokument.

1907 heiratete er Susan Charlotte Grosvenor, mit der er drei Söhne und eine Tochter hatte. Zu Anfang des Ersten Weltkriegs war er Direktor des Reuter-Pressediensts in London. Unter dem Eindruck des beginnenden Krieges entstand Buchans bekanntestes und in der Geschichte des Spionageromans eine Schlüsselposition einnehmendes Werk: The 39 Steps.

1915 diente Buchan als Stabsoffizier im französischen Hauptquartier der englischen Armee. Während des Krieges lernte er den späteren Feldmarshall Edmund Ironside, Lord of Archangel, kennen, der im Krieg mit nachrichtendienstlichen Aufgaben in Rußland betreut war. Ironside war angeblich das Vorbild für Richard Hannay (dessen treuer Gefährte Sandy Arbuthnot, Kenner und Freund der arabischen Welt, basiert zweifellos auf dem begeisterten Buchan-Leser T. E. Lawrence und dessen arabischen Abenteuern). Nachdem Lloyd George Prämierminister geworden war, holte man Buchan als Direktor ins Informationsministerium unter Lord Beavenbrook. Kurze Zeit später wurde er Chef des Nachrichtendienstes. Ereignisse dieser Zeit hat er geheimgehalten; kein Biograph weiß nähere Einzelheiten über Buchan Treiben als Geheimdienstler.

Nach dem Krieg verlief seine Karriere weiterhin erfolgreich. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wollte man alle gesellschaftlichen Positionen und Auszeichnungen sowie seine vielfältigen literarischen Aktivitäten hier gebührend würdigen. Daher nur kurz: 1924 bis 1930 war er Präsident der schottischen historischen Gesellschaft, von 1927 bis 1935 konservativer Abgeordneter des Parlaments, 1933 wurde er für zwei Jahre Hochkommissar für die schottische Kirche. 1935 wurde er als Baron Tweedsmuir in den Adelsstand erhoben und bis zu seinem Tod am 11. Februar (einige Quellen nennen den 6.) 1940 diente er als Generalgouverneur von Kanada. In dieser Funktion unterschrieb er am 9. September 1939 die kanadische Kriegserklärung an Deutschland. Obwohl er ein überzeugter Tory war, setzte er sich für progressive Ideen ein: Er unterstützte die Suffragetten, stimmte für die Anerkennung der Sowjetunion und setzte sich nach dem Krieg für eine Amnestie der Kriegsdienstverweigerer ein.

 

1915 erschien mit The 39 Steps der Roman, der bis heute die entscheidenden Impulse für die romantische Richtung (im Gegensatz zur realistischen) des Spionageromans ausgab. Sein Protagonist ist der Gentleman-Agent, der im Dienste seines Landes gegen eine feindliche Umgebung das bedrohliche Ungeheuer besiegt. Im ersten Roman ist Buchans Held Richard Hannay noch ein Zivilist, der zufällig in ein Komplott verwickelt wird. Wir wissen, daß Buchan großen Eindruck auf Hitchcock machte, der "Die 39 Stufen" 1935 verfilmte und immer davon träumte, eines Tages Greenmantle filmisch umzusetzen. Angesichts seiner geradezu schwachsinnigen Adaption der "39 Stufen" (von allen die schlechteste Umsetzung), muß man wohl dafür dankbar sein, daß es nicht dazu kam.

Buchan war der erste Spionageromanautor, der überzeugende Serienfiguren erfand und mit Richard Hannay und seinen immer wiederkehrenden Freunden einen eigenen kleinen Kosmos von Agenten schuf. Der Anfang von The 39 Steps erinnert an den Beginn eines anderen großen Abenteuerbuches eines ebenfalls großen schottischen Romanciers, in dessen Tradition sich Buchan immer gesehen hat: Robert Louis Stevenson "Schatzinsel". Beide
 Bücher beginnen damit, daß ein Sterbender die Szene betritt, um dem Protagonisten eine geheimnisvolle Nachricht mitzuteilen, deren Entschlüsselung für den Handlungsverlauf von immenser Bedeutung ist.

Viele halten den zweiten Hannay-Roman Greenmantle, in dem sich Buchans Held als Spion durchs deutsche Reich und die Türkei schlägt, um zu verhindern, daß die Deutschen durch das Anfachen eines Jihad den Kriegsschauplatz vergrößern, für einen noch besseren Roman. So gut und spannend das Buch allerdings ist, es hat nicht die Geschlossenheit von The 39 Steps. Erstaunlich ist jedenfalls, daß Buchan als Ich-Erzähler Hannay die Deutschen nicht einfach verteufelt und dem Kaiser sogar so etwas wie Sympathie entgegenbringt. Trotz der Anerkennung "deutscher Tüchtigkeit” bleiben die Teutonen natürlich die Feinde, die ein Lebensprinzip verkörpern, das einem Angelsachsen wenig lebenswert erscheint. Im Gegensatz zus einen Vorgängern wie LeQueux oder den trivialen Nachfolgern à la Sapper und Horler bemüht er sich aber um ein differenzierteres Bild.

Reale Ereignisse und Personen spielen in seinen Romanen eine wichtige Rolle, da sie Auslöser
 für seine Plots sind, die damals als realistisch empfunden wurden: In den "39 Stufen" geht es darum, daß die Deutschen versuchen, die britischen Marinepläne zu stehlen. Greenmantle gipfelt in der Darstellung einer realen Schlacht, den Kampf um Erzerum, und erinnert auch an Gordons Verteidigungsschlacht um Khartoum. Prester John basiert auf Bambatas Revolte in Natal, und Mr. Standfast reflektiert die britische Friedensbewegung und die Arbeiterkämpfe während des Krieges.

Den ersten richtigen antisowjetischen Thriller der Spionageliteratur schrieb John Buchan mit seinem ersten Dickson-McCunn-Roman, Huntingtower, 1922, in dem der Held eine  "ruritanische" Prinzessin vor Bolschewisten rettet. Ganz unverholen drückte 
sich Buchans Liebe zur Monarchie im dritten und letzten McCunn-Roman, The House of the Four Winds (1935), aus. In dem "ruritanischen" Land Evallonia kämpfen die Helden gegen Kommunisten, um einen Prinzen wieder auf den Thron seiner Vorfahren zu setzen. In seinem leider weniger bekannten Roman The Courts of Morning (1929), der in dem auf Chile basierenden fiktiven Land Olifa spielt, setzt er sich ernsthaft mit den faschistischen und korrupten südamerikanischen Diktaturen auseinander. Im Thriller A Prince of Captivity (1933) wiederum behandelt er die europäische Politik und den Siegeszug des  
Faschismus; bemerkenswert auch, daß dieser Roman im Jahr von Hitlers Machtübernahme erschien.

Unübertroffen ist Buchan in seiner romantischen Darstellung - wenn man will: Verklärung - von allem, was britisch ist. Kaum ein anderer Autor kann Schönheit und Traditionen der Insel so schwärmerisch und mitreißend beschreiben. Dabei zeichnet ihn über seine klar umrissenen Feindvorstellungen auch eine typisch britische Toleranz aus, die man bei vielen seiner Zeitgenossen vergeblich sucht.

 

P.S.: "Ruritanisch" ist ein Fachbegriff aus der englischen Literaturforschung und bezeichnet fiktive europäische Länder. Namensgeber war Anthony Hope mit seinem Roman " Der Gefangene von Zenda", der in dem fiktiven europäischen Königreich Ruritanien spielt.

Martin Compart

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