Video_Inside Job
Jump! You Fuckers!
Analyse eines Desasters: Dokumentarfilmer Charles Ferguson arbeitet die jüngste Weltfinanzkrise chronologisch auf und läßt dabei den Zuschauer zum Insider werden.
18.05.2011
Fast wähnt man sich in Mittelerde, jenem von üppigen Wiesen, unberührten Tälern und kristallklaren Wasserfällen durchzogenen, märchenhaften Ort aus Tolkiens Ringtrilogie, als Matt Damons Erzählerstimme dann doch daran erinnert, daß stattdessen das fast kollabierte Island den Prolog in Charles Fergusons "Inside Job" bildet.
Es ist seine Aufarbeitung der Ursprünge und bisherigen Ereignisse einer ökonomischen Monsterkrise, die auch weiterhin andauert; daran erinnern dieser Tage nicht nur wütende Griechen, wundenleckende Iren und ohnmächtige Spanier.
In vier Kapitel unterteilt, bietet der Film eine Chronik der Fehlentscheidungen und Unterlassungen auf höchster Ebene, die schließlich zur Entfesselung der Märkte führten.
Island dient dabei als Paradebeispiel: Das vormals allgemein als wirtschaftlich kerngesund eingestufte Land wurde als Spielwiese für brutale Markteingriffe mißbraucht. Ein Hochschnellen der Arbeitslosen- und Inflationsquote, Massenproteste und politische Kernschmelzen brachten den Inselstaat aus dem Lot. Island wurde schließlich an den Rand des Staatsbankrotts gedrängt.
Die Wurzel allen Übels wurde in der Amtszeit des Überrepublikaners Ronald Reagan gepflanzt. Der liberalisierte die Märkte seinerzeit im Eiltempo. Vor Reagan war es Banken untersagt gewesen, mit Geldern von Privatkunden zu spekulieren. Unter dem "Großen Kommunikator", der 1981 den ehemaligen CEO von Merrill Lynch zum Finanzminister ernannte, sollte eine grundlegende Wende eingeleitet werden. Doch auch das Urteil über die Wirtschaftspolitik der Reagan-Nachfolger fällt vernichtend aus: Denn sowohl Clinton als auch Bush forcierten einschneidende Deregulierungsmaßnahmen und griffen tief in das einstmals kontrolliert prosperierende System ein.
So wurde die Megafusion zwischen Citicorp und Traveler 1998 erst durch eine nachträgliche Gesetzesänderung ermöglicht. Senator Phil Gramm trieb die Außerkraftsetzung der betreffenden Schutzmechanismen voran. Am Ende stand der auch nach ihm benannte "Gramm-Leach-Bliley Act", ein Deregulierungsgesetz, das dem ungezügelten Derivathandel Tür und Tor öffnete. Nach seiner Senatstätigkeit heuerte Gramm bei UBS an und bekleidet dort heute die Position des Vizevorstandsvorsitzenden.
Episoden wie jene um Phil Gramm ziehen sich als roter Faden durch den Film. Ehemalige CEOs, die - zumindest vordergründig - die Seiten wechseln, oder Politiker, welche den umgekehrten Weg gehen und in die Dienste jener Krisenverursacher treten, über die sie zuvor noch als politische Aufsichtspersonen zu wachen hatten. Robert Rubin gibt diesbezüglich ein vortreffliches Beispiel ab: Unter Bill Clinton als Finanzminister in Amt und Würden, nachdem er als Goldman Sachs-CEO abgedankt hatte, stieg er nach seiner Politikerlaufbahn zum Chairman der Citigroup auf. Unter Rubin landete Phil Gramm dann auch seinen berüchtigten Deregulierungs-Coup.
In "Inside Job" kommen ehemals in entscheidenden Funktionen Wirkende ebenso zu Wort wie Außenstehende oder Beschuldigte: Lobbyisten, Behördenvertreter, Politiker (Singapurs Premier, die französische Finanzministerin), Journalisten und Wirtschaftsberater. Ihre Einschätzungen zeichnen ein vernichtendes Bild von Gier und Skrupellosigkeit, oft unfreiwillig gefördert von den Vertretern der attackierten Investoren-Fraktion.
Die brutale Zerstörungskraft sich selbst überlassener Märkte, korrupte Ratingagenturen, lügende Analysten, unbelehrbare und millionenschwer abgefertigte Drahtzieher globaler Verwerfungen - Charles Ferguson verknüpft Ursache und Wirkung gekonnt und streift dabei die wichtigsten Etappen einer ökonomischen Abwärtsspirale, die sich nach wie vor unerbittlich dreht. Die Academy spendierte einen Oscar.
Der EVOLVER zollt Respekt und schließt sich dem Slogan an: Jump! You Fuckers!
Dietmar Wohlfart
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