Platten_Sommerset/Interview

Gruppenzwang

Beim Wien-Besuch der Band sah sich ECORDER-Chef Milan Knezevic an, wie Sommerset live sind - nicht nur auf der Bühne, sondern auch im persönlichen Gespräch.    23.09.2004

Punkbands gibt es viele, sogar in Neuseeland. Da man aber selten eine Band vom anderen Ende der Welt zu Gesicht bekommt und mit ihr unbeschwert plaudern kann, kriegt man auch selten mit, was dort so alles passiert. "Wir waren das erste Land, in dem 'Pop Idol' gezeigt wurde", gibt Sänger und Gitarrist Milon verlegen zu. "Und wir durften als erste sehen, daß diese Pseudo-Stars nach zwei Monaten wieder vollkommen vergessen sind."

Aber auch auf eine besondere Leistung weist der Musiker hin. In Neuseeland bekommen Bands von der Regierung Geld, um etwa eine Single, ein Video oder ein ganzes Album aufzunehmen. "So haben wir 'Say What You Want' finanziert", erzählt Milon. Man müsse nur zeigen, daß man ernsthaft Musik macht und oft genug spielt - ein wirklich interessanter Ansatz, die heimische Musikszene zu fördern, und zumindest besser als die Quotenregelung inländischer Musik, wie es sie etwa in Frankreich gibt. Wie Milon zu Frankreich steht, sagt er aber später. Zunächst interessiert uns, wie hart es eigentlich für eine Band aus Neuseeland ist, nach Europa zu kommen.

 

Milon: Als wir zur ersten Tour nach Europa kamen, wußen wir, daß es schwer sein würde. Aber wir mußten hier spielen und spielen, um so etwas wie einen Durchbruch zu schaffen, damit uns die Leute dann auch kannten. Damit setzten wir uns selbst unter Druck. Und es kamen wirklich Leute, selbst montags, dienstags, mittwochs ... nicht viele, aber uns genügte es vollkommen. Wir fühlten uns wegen jedem einzelnen Besucher gut, der wegen einer Band aus Neuseeland kam. Nach der ersten Tour wollten uns die Leute immerhin wieder sehen, genauso wie die Veranstalter - und wir kamen wieder!

In Hannover zum Beispiel spielten wir zum ersten Mal mit Kill Your Idols. 180 Leute waren da, und das an einem Montag. Im Jahr darauf spielten wir schon als Headliner am gleichen Veranstaltungsort, und es kamen 230 Leute! Wir haben also Eindruck hinterlassen!

 

ECORDER: Aber woher habt ihr das Geld, um in Europa touren zu können? Die Flüge sind ja nicht billig.

 

Milon: Die Tickets sind wirklich nicht billig. Unser Steve macht einige Jobs, und er ist derjenige, der die Touren organisiert. Entweder streckt er das Geld vor, oder wir kratzen es zusammen, wo immer wir spielen. Da müssen wir auch Auftritte wie beim "Big Day Out" in Australien machen - oder bei ähnlichen Festivals, die für eine Punkband nicht so toll sind. Aber immmerhin bringen sie Geld ein.

 

ECORDER: Die neuseeländische Punk-Szene ist sicher zu klein, als daß man von der Musik leben könnte, oder?

 

Milon: Ja, leider. Nicht viele Bands können das in Neuseeland. Wir haben ja auch Brot-Jobs, was wiederum bedeutet, daß wir nicht viel Zeit zum Herumhängen haben. Wir arbeiten tagsüber und haben abends und nachts die Band. Wir arbeiten hart, um Auftritte zu bekommen und Shows zu spielen.

 

ECORDER: Das erinnert mich an den Satz in "Say What You Want", in dem es darum geht, daß die Welt dir nichts schuldig ist. Man kann, darf und soll sich also nichts von ihr erwarten, sondern selbst das Schicksal in die Hand nehmen.

 

Milon: Ja, aber es ist trotzdem ein positiver Song. Denn im Prinzip geht es darum: Wenn du erst einmal in einer Gruppe bist, dann erreichst du alles, was du willst, viel leichter.

 

ECORDER: Was ist dir nun wichtiger - die Musik oder die Texte?

 

Milon: Hmmmm ... manche Leut achten nicht so auf die Texte und fühlen lieber die Musik. Für mich persönlich kommt es auf die Band an. Bei Rage Against The Machine zum Beispiel sind mir die Texte wichtig. Die Art, wie sie denken, läßt mich mehr auf die Lyrics achten. Auch andere Bands mit politischen Ansichten, wie etwa System Of A Down, haben clevere Texte. Aber ich höre auch The Ataris sehr gerne. Wenn du die CD einlegst, kommt ein Song über ein Mädchen, dann drückst du auf Skip, wieder ein Song über ein Mädchen - skip - ein Song über ein Mädchen - skip - ein Song über Mädchen! (lacht)

 

ECORDER: Habt ihr schon genug Material für eure nächste CD zusammen?

 

Milon: Schwer zu sagen. Wir komponieren immer wieder, aber viel auf Reserve haben wir nicht. Doch die aktuelle CD ist ja noch nicht so alt, und wir sind ständig auf Achse. Wann haben wir mit den Aufnahmen begonnen? Im April, glaube ich ... Vor dem Release spielten wir in Neuseeland, und dann ging es rüber nach Australien, wo wir mit einer lokalen Band als Support auf ihrer Tour zwecks Promotion spielten. Anschließend ging es zurück nach Neuseeland, die CD erschien, wir tourten, dann wieder Australien ... also hin und her, immer wieder hin und her.

 

ECORDER: Was für einen Job hast du eigentlich, daß du dir sowas leisten kannst?!

 

Milon (lacht): Ich arbeite im Einzelhandel, und mein Boß läßt mich immer wieder weg. Steven ist Tourmanager und macht auch andere Bands wie die Datsuns. Ryan ist Gitarrenlehrer, und unser Drummer ist arbeitslos - er hat also keine Probleme, wegzukommen. Mein Boß ist flexibel und nimmt mich immer wieder auf. Aber man braucht die Kohle, und wir müssen sparen, um nach Europa zu kommen. Und hier kannst du auch nicht viel verbrauchen. Ich habe um die 250 Euro ausgegeben - in zwei Monaten! Das ist nichts! Viele Leute würden viel mehr ausgeben, wenn sie auf Reisen sind, um ein Land zu sehen. Jemand in Neuseeland beneidet uns sicher um unsere Touren, aber wir sehen nicht viel von einer Stadt.

Immerhin fahren wir wenigstens herum und bekommen viel von einem Land mit, vor allem auf eine andere Art und Weise als normale Touristen, die zu allem Überfluß hier für den Bus, dort fürs Taxi zahlen müssen. Eine Woche und 5000 Dollar später kommen sie nach Hause ... und wir sehen die Länder für 250 Euro zwei Monate lang!

 

ECORDER: Welches Land ist dir das liebste in Europa?

 

Milon: Da muß ich überlegen. Frankreich mag ich definitiv nicht! Ich mochte Italien sehr im letzten Jahr. Tschechien ist immer wieder schön! Und die besten Erfahrungen, vor allem wegen der Fans, machen wir immer wieder in Deutschland, wohl deshalb, weil wir dort so oft spielen. Viele Leute mailen uns, wann wir wiederkommen und wohin wir kommen - und manche fahren vier Stunden, nur um uns unter der Woche spielen zu sehen! Genial ist es, daß die von Eat The Beat, die zum Beispiel das Ringfest in Köln organisieren, uns noch nie spielen gesehen oder gehört haben. Trotzdem holten sie uns. Damals spielten wir vor The Bones aus Schweden.

 

ECORDER: Eine Super-Band! Kennst Du eigentlich den Namen des Labels der Bones?

 

Milon: Nein.

 

ECORDER: I Used To Fuck People Like You In Prison Records.

 

Milon (lacht): Was, wirklich? Ich habe so einen Aufkleber auf ihrem Bus gesehen und nicht gewußt, was genau das sollte. Das ist ja verdammt cool!

 

ECORDER: Und nun seid ihr hier gelandet. Kein Fünf-Sterne-Hotel allerdings ...

 

Milon (schaut sich im Zimmer mit den Stockbetten um und meint grinsend): Das nicht, aber es würde uns hier sogar gefallen, wenn man uns nur Matratzen auf dem Boden gelegt hätte. Wir sind überhaupt sehr überrascht von dem, was einer Band in Europa angeboten wird! Du kommst zu einem Auftrittsort, und da gibt es Catering, Stagehands helfen dir, und für die Unterkunft wird gesorgt. In Neuseeland kommst du wohin, und es heißt: "Play and piss off!" Okay, nicht alle sind Arschlöcher, aber in Europa ist das Touren bedeutend angenehmer.

 

ECORDER: Das bringt mich auf eine interessante Frage: Wie ist das Verhältnis zwischen Neuseeland und Australien?

 

Milon: Hast du den Film "Bowling for Columbine" gesehen, als es um Kanada ging? Ungefähr so. Das Verhältnis ist sehr zu vergleichen mit Kanada und den USA. Das große Land und das liebe kleine.

 

ECORDER: In den Staaten wart ihr ja auch schon einmal ...

 

Milon: Klar. Wir spielten in New York, und das war furchbar. Dann fuhren wir mit einer Band zu einem Gig in den Westen, und der war noch schlimmer. Nein, Amerika war nichts. Da ist es in Europa bedeutend schöner.

 

Auch wenn sich Milon nicht vorstellen kann, auf unserem schönen, alten Kontinent seßhaft zu werden, in der Nähe der Schweizer Berge, der Gastfreundlichkeit in Tschechien oder der vielen Fans in Deutschland, weiß er, daß er trotzdem immer wieder zurückkommen will. Und das ist gut so.

 

Milan Knezevic

Sommerset - Live in Wien


Die neuseeländischen Punkrocker kamen, sahen und siegten - zumindest vor den versammelten Punks in der Wiener Arena. Laut, sehr laut, aber herzlich und schweißtreibend war der Gig, sodaß so mancher aus der Halle verschwinden mußte - aber nicht, um sich zu erholen. Per Handy wurden Freunde informiert - sie sollten unbedingt kommen, denn "die Band ist urgeil!"

 

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