Platten_Virginia Jetzt!/Interview

"Starsearch" ist Scheiße

Ausgerechnet "Anfänger" heißt das zweite Album der deutschen Band, die sich nach einer verlorenen Flamme des Sängers benannt hat. Milan Knezevic interviewte die Musiker.    02.09.2004

So groß kann der Einfluß von Frauen auf eine Band sein: Thomas war in eine Virginia verliebt und hatte sie zu einem Konzert eingeladen. Der Weg war extra für sie mit Wegweisern ausgeschildert, auf die der Verliebte "Virginia Jetzt" und einen Pfeil gemalt hatte. Die Dame kam nicht, dafür andere Leute. Und aus denen wurden immer mehr und mehr, bis sich auch welche vom damaligen Motor-Label einfanden.

"Die waren interessiert", erzählt Thomas, "und das schon eine ganze Weile. Überstürzt wird aber auch da heutzutage selten etwas. Die beobachten Bands sehr, sehr lange und schlagen am liebsten im letzten Moment zu. Liegt wohl daran, damit eine Band nicht zu früh gesignt wird und man feststellen muß, es ist doch was Falsches. Wir waren grad im Studio für unser erstes Album, als der Schritt von Universal kam und sie sagten: 'Jetzt reden wir mal Tacheles'. Eine Band aufzubauen kostet Zeit und Geld. Am liebsten will man ja eine Band kriegen, wenn sie sehr erfolgreich ist, und das möglichst billig."

 

Die Gründe dafür, daß die Songs auf dem neuen Album "Anfänger" durch die Bank ruhiger sind als die auf dem Debüt "Wer hat Angst vor Virginia Jetzt?" sieht Schlagzeuger Angelo in der Weiterentwicklung der Band. "Wir hätten genau das machen können wie auf der letzten Platte. Aber das ist nicht spannend genug für uns. Ich bin eigentlich einer, der gern schnell spielt. Dann kam Thomas mit den neuen Stücken in den Proberaum, und ausgerechnet ich war es, der´s am besten fand. Die hätten gar nicht gedacht, daß ich das annehme. Außerdem haben wir uns an den Instrumenten weiterentwickelt. Es ist ja so, daß es schwieriger ist, so ein langsames Zeug zu spielen, als einfach nur Verzerrer an und los."

 

ECORDER: Was hast du für einen Background, daß du der "Harte" bei Virginia Jetzt! bist?

 

Angelo: Früher war das noch Punk, dann Trail of Dead und später At The Drive-In, jetzt Beginner und Fettes Brot. Thomas ist der Ben-Folds-Fan, also eher die ruhigen Sachen.

 

ECORDER: Wirkt sich das jetzt aufs Album aus?

 

Angelo: Nicht ganz, denn Ben Folds hat er schon früher gehört. Er schrieb ja viele Stücke am Piano, das ist eine andere Sache, als sie an der Gitarre schreiben.

 

ECORDER: Was glaubst du, wie die Fans reagieren werden?

 

Angelo: Wir werden sicherlich ein paar Fans verlieren, aber auch viele neue dazu gewinnen! Bei den neuen Liedern haben wir bereits gemerkt, daß 14-, 15jährige Mädels in den ersten Reihen nur auf "Von guten Eltern" gewartet haben. Als wir vier, fünf neue Stücke gespielt haben, standen die nur da und wußten nicht, was sie damit anfangen sollten. Die stempelten es wohl als ein Scheißkonzert ab. Danach lasen wir in unserm Gästebuch, daß hinten die ältere Fraktion stand, und die fand es Scheiße, daß da vorne Mädels nur auf das eine Lied gewartet haben.

 

ECORDER: Was ist der Grund für euren Erfolg?

 

Angelo: Ich glaube, weil wir uns ziemlich treu geblieben sind. So wie Wir sind Helden, die Sportfreunde Stiller oder Mia., die die deutsche Sprache vertreten. Dann gibt´s Band wie Silbermond oder Etwas, die sofort in die Schiene hineingedrückt werden, eine Single herausbringen und nicht mehr verkaufen als wir. Die werden auch wieder untergehen.

 

ECORDER: Du bist zuversichtlich, daß ihr oben bleibt?

 

Angelo: Ja. Weil wir ziemlich helle Köpfe haben und das langsam angehen und sagen: "Wir nehmen die Treppe statt den Fahrstuhl. Wenn der Fahrstuhl abstürzt, dann ..."

 

ECORDER: Und gibt es durch euren Erfolg auch Neider?

 

Thomas: Bestimmt, aber das sagen die einem ja nicht. Da geht´s immer ums Händchenhalten, wir sind happy und eine große Familie.

 

Angelo: Ich glaube nicht, daß Wir sind Helden, Delbo oder Mia. neidisch sind, weil wir eben anders sind. Wir haben alle unsere Unterschiede. Und wir spielen besser als jede andere Band ...

 

ECORDER: Mit dem besten Schlagzeuger, nicht?

 

Angelo lacht.

 

ECORDER: Bringt es der Erfolg auch mit sich, daß man mal eben einen Videodreh in Portugal machen kann, wie zur neuen Single "Ein ganzer Sommer"?

 

Thomas: Unser Regisseur Benni Quabeck dachte sich eine Geschichte aus, die erforderte unter anderem unwegsames Gelände. Und natürlich war das Wetter eine wichtige Frage, rückblickend auf diesen verregneten Sommer gesehen, zu Recht. Da unten hatten wir hervorragendes Wetter, in Deutschland hat es geregnet und gestürmt. Und wenn´s in Deutschland nur an einem Tag regnet, kann man da nicht mehr drehen.

 

Angelo: Im Video geht es um eine Reise, und da brauchten wir verschiedene Vegetationszonen. Braches Land, dann Wälder, Fluß, Meer. Das findet man dort im Umkreis von fünfzig Kilometern.

 

ECORDER: Lang wart ihr auch nicht in Portugal, oder?

 

Thomas: Viereinhalb Tage. Da fliegt man nur hin und kann nur arbeiten.

 

ECORDER: So wie jetzt in Wien. Den ganzen Tag Interviews geben und nichts von der Stadt sehen.

 

Thomas: Gestern hatten wir frei. Die anderen schliefen und ich schaute mir die Stadt an. Aber Wien an einem Sonntag ist tot! Im ersten Bezirk hatten kaum Geschäfte offen ... Dann war ich im Museum - hier im "Museumsquartier" - und schaute mir eine Ausstellung an.

 

ECORDER: Du bist eher der künstlerisch Veranlagte in der Band ...

 

Thomas: Die anderen sind alles Handwerker - hast recht!

 

Angelo: Genau. Ich wollte in einen Werkzeugladen gestern. Aber da hatte alles zu!

 

ECORDER: Du warst ja zuvor nicht da, als wir mit dem Frage-Antwort-Spiel begonnen haben, Thomas. Warum sind die neuen Lieder ruhiger geworden?

 

Thomas: Tempo ist teurer geworden.

 

Angelo (der übrigens zum ersten Mal in der Geschichte von VJ! zunächst ganz allein ein Interview bestreiten durfte, ein wenig beleidigt): Habe ich dir das nicht schon vorher gesagt?

 

ECORDER: Doch, aber jetzt will ich´s von Thomas hören. Vielleicht sagt er was anderes.

 

Angelo (spielt noch immer den Beleidigten und grinst): Das ist frech, sowas.

 

Thomas: Wir reden eh das Gleiche, nur mit anderen Worten. Wir haben das Interesse am Alten verloren, uns hat das Neue interessiert. Nicht auf Tube drücken und Sportfreunde Stiller-Rock machen. Hast du das auch so gesagt?

 

Angelo: Ich habe gesagt, daß ich nicht mehr so schnell spielen kann, nicht mehr so schnell herumgreifen kann.

 

ECORDER: Gab es Ereignisse, die dich beim Song-Schreiben beeinflußten?

 

Thomas: Letztes Jahr bestand zu 90 Prozent aus Band. Ansonsten gab es nichts Entscheidendes. Man läuft durchs Leben und macht sich so seine Gedanken über dieses oder jenes.

 

ECORDER: Im Hidden Track geht´s ja kurz gegen das Busineß.

 

Thomas: In einer kurzen Zeile.

 

ECORDER: Aber doch.

 

Thomas: Ja, aber doch. Weil man sich nicht davon vereinnahmen lassen sollte. Man sollte schon bei seinen Idealen bleiben und diesem Zirkus nicht soviel Wert beimessen. Das ist ein Geschäft, das mehr vom Schein lebt und nicht vom Sein.

 

ECORDER: Ein Künstler oder Performer stellt ja auch etwas dar, was er nicht immer ist.

 

Thomas: Ja, aber er sollte doch echt sein. Es sollte nicht irgendwann der Band befohlen werden, macht mal so, denn ihr müßt ja Platten verkaufen. Es gibt so viele nicht selbstbestimmende Künstler, die nur Maskottchen sind, die an Fäden hängen, und oben steuert der A&R die Puppe damit.

 

ECORDER: Doch ein wenig Biographisches ist in dieser kleinen Zeile doch noch dabei.

 

Thomas: Nun, du kommst als Band zu einer Plattenfirma, findest Vertrauen zu Leuten, die mit dir arbeiten, und nach ein paar Monaten sind die weg. Da ist natürlich deine ganze Planung über den Haufen geworfen. Du willst an einer Band und an einem Konzept arbeiten und dafür brauchst du auch die Leute, die mit dir dieses Konzept erspinnen - einen A&R und so weiter. Und dann sind die weg. Das ist alles andere als gut. Man kann der Firma natürlich nicht vorschreiben, daß niemand gekündigt wird - aber es kommt dem Aufbau einer Band auch nicht gerade zugute, wenn da plötzlich wichtige Bezugspersonen weg sind.

 

ECORDER: Deswegen seht ihr euch als Anfänger?

 

Thomas: Das hat damit eher weniger zu tun. Da läuft soviel falsch in der Plattenindustrie wie in vielen anderen Dingen im Leben auch. Ich will nicht, daß die Leute sich um "Starsearch" oder "Starmania", wie das bei euch heißt, kümmern. Diese Christina Stürmer wird sicher eine Weile lang Erfolg haben, aber es ist selten etwas Langfristiges. Man arbeitet hier nicht mit Künstlern, sondern mit Puppen. In Deutschland gibt´s vielleicht einen oder zwei, die auf einem guten Weg sind, aber das meiste ist Schwachsinn. Das sollten die irgendwann kapieren, daß das Mist ist, eine ganz große Scheiße ...

 

ECORDER: Wer kommt auf die netten Albumnamen? In "Anfänger" kann man so vieles hineininterpretieren ...

 

Thomas: Kann man, klar. Aber das lag auch einfach am Stück auf dem Album "Weil wir Anfänger sind". Das hat auch mit einer Beziehung zu tun, wenn man begreift, daß man in einer jeden Beziehung zu Beginn ein Anfänger ist. Das läßt sich auch auf uns als Band übertragen, auf Menschen und Probleme, daß vieles nicht planbar ist. Man kann nicht aus vielen Erfahrungen schöpfen, wenn man vor einem Problem steht, das man noch nie hatte.

 

ECORDER: Sprecht ihr in Liedern, speziell Liebesliedern, bestimmte Personen an?

 

Thomas: Keine bestimmten Personen ... wir sind vergeben an unsere Musik und unsere Leidenschaft für die Musik.

 

ECORDER: Frauen kommen also an zweiter Stelle?

 

Thomas: Eher an vierter, fünfter.

 

Angelo: Da kommt zuerst das Auto.

 

Thomas: Und die Bohrmaschinen, mein iPod. Dann kommt die Frau. Also, da ist recht viel Fiktion in Liebesliedern. Man denkt sich in Menschen oder Situationen hinein und schreibt darüber. Oder man schaut einen Film an und sieht, wie ein bestimmtes Thema behandelt wird. Das versucht man umzumünzen oder denkt darüber hinaus nach, wie es sonst noch verlaufen könnte.

 

 

Wie die Geschichte von Virginia Jetzt! weitergehen wird, das wird auf jeden Fall die nahe Zukunft zeigen. Am 30. 8. erschien jedenfalls ihr zweites Album "Anfänger". Und Thomas wird künftig wohl weder für ein Mädchen noch sonst einen Besucher den Weg zum Konzert ausschildern müssen ...

Milan Knezevic

Virginia Jetzt! - Anfänger


 

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