Wilco - A Ghost Is Born
ØØØØ 1/2
Nonesuch/Warner (USA/21. 6. 2004)
Ja, es gibt sie immer noch - diese Bands, die sich mit jedem Album neu definieren und trotzdem stets besser werden. Und darüber freuen wir uns. 14.07.2004
Was macht Wilco so interessant? Die Tatsache, daß man etwa auch ihre zunächst schwer zugänglichen Alben wie "Yankee Hotel Foxtrot" mit seinen Songs voller elektronischer Sound-Spielereien und alt.country-Anleihen als gut empfinden kann? Diese Frage muß wahrscheinlich jeder Hörer für sich selbst beantworten.
Der Nachfolger "A Ghost Is Born" ist jedenfalls weitaus zahmer als der Vorgänger. Zunächst im Country-Blues-Rock der ersten Platten verwurzelt, präsentiert Jeff Tweedy mit seinem Gefolge endlich einmal Songs, die er ausnahmsweise nicht zerstückelt. Dafür bleibt das besondere Trademark erhalten, daß sich schroffe Gittaren mit funkelnden Harmonien abwechseln und Tweedy mit seinem schüchternen Gesang fürs Publikum leidet. Und das Piano leidet mit ihm.
Bereits der erste Track legt das scheinbare Geheimnis offen, das Wilco schon bei früheren Alben interessant gemacht hat. Es ist die Finesse, die Texte so mit den Songs zu kombinieren, daß sie zu einer beinahe vollkommenen Ganzheit werden. Der Opener "At Least That´s What You Said" beginnt, vom Klavier begleitet, als traurige Ballade. Allein durch die beiden Zeilen "When I sat down on the bed next to you/you started to cry" badet man selbst in der Trübsal, das gebrochene Herz scheint plötzlich in der eigenen Brust zu schlagen. Immer tiefer und tiefer taucht man in den leisen Schmerz ein, bis unerwartet eine Gitarre explodiert. Ihr Solo schleudert uns wieder an die Wasseroberfläche zurück: "I thought it was cute for you to kiss my purple black eye/Even though I caught it from you." Humor hat Jeff Tweedy auch. Trotz allem.
Augenzwinkernd kommt das folgende Lied "Hell Is Chrome" daher, in dem der Teufel Tweedy mit in die Hölle nimmt. Er akzeptiert sein unabwendbares Schicksal und findet sich letzten Endes an einem Ort zum Wohlfühlen wieder, der besser ist als irdische die Welt. Man kann in die manchmal recht kurzen Texte viel hineinintepretieren - doch auch das macht gute Lyrics aus, nämlich mitdenken und mitfühlen zu können.
Die erste Bewährungsprobe wartet auf den Hörer, wenn "Spiders (Kidsmoke)" folgt: Der 11-Minuten-Track in stoischer Krautrock-Monotonie zehrt an den Nerven, ehe nach acht Minuten ein Rockgroove Abwechslung bringt. Genauso gestaltet sich das Ende der Platte mit "Less Than You Think", das sich zuerst als ein wunderschönes Lied ausgibt, bevor die Struktur aufgebrochen und bis zur 15. Minute durch ein undefinierbares Rauschen ersetzt wird. Klingt seltsam, ist seltsam, aber nennen wir es Kunst. Schließlich beweist Tweedy davor mit der sanften Klavierballade "Hummingbird", dem zum Ende hin melodisch zerfransenden "Handshake Drugs" oder dem gegen heuchelnde Kleriker gerichteten "Theologians" Songwriter-Qualitäten. Wieviel Gefühl in ihm steckt, verdeutlicht er mit "Wishful Thinking", dem Lied für Momente zarter Zweisamkeit.
Egal, wie verworren manche Lieder auf dieser Platte sind, egal, wann sich ihre Schönheit offenbart - alle sind sie wie das Ei auf dem Cover. Jeff Tweedy behandelt seine Songs vorsichtig, damit sie nicht zerbrechen. Das sollten neue Hörer auch tun.
Wilco - A Ghost Is Born
ØØØØ 1/2
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