Editorial_23. 6. 2005

Liebe EVOLVER-Leser und -innen!

Erlauben Sie bitte eine direkte Übersetzung aus dem Amerikanischen: Die neue Platte von Coldplay saugt Arsch. Es könnte kaum schlimmer sein.    23.06.2005

Im Angehör des seiernden Organs von Sänger Chris Martins möchte man sich spitzgefeilte Stricknadeln mit dem Hammer unter die Zehennägel rammen. Nicht daß neuerdings irgendwelche Ecken und Kanten verloren gegangen wären - die hat es nie gegeben. Coldplay waren immer schon übelste Kuschelrock-Sülze. Man hat es bloß leicht überhört, weil "Parachutes" und "A Rush Of Blood To The Head" zu selten auf Ö3 gelaufen sind. Wie sich Coldplay ihre Hörerschaft weichschleimen, hübsch alternativ angehiaslt und soft untergrundelnd, wie sie sind - das war von Anfang an Vorspiegelung falscher Tatsachen und manipulativ verschleierte Regression.

Damit muß jetzt Schluß sein! Glauben Sie, verehrte Leser und -innen, bloß keinem der geschlossen in höchsten Tönen jubelnden Spaltenfüller der sogenannten Popkulturpresse, die sind alle bezahlt. Und elektronische Medien lügen von Natur aus. Wenn Coldplay für "X & Y" noch so viele Fünf-Sterne-Meisterwerkskritiken bekommen: Diese Musik ist das perfekte Hintergrundgedudel für saubere, helle Lofts gewöhnlicher Wohlstands-Alternativspießer, die sich Wellness-Sprudel aus mit Energiesteinen befüllten Keramikkrügen reinschütten und den IKEA-Katalog auswendig können. Coldplay fabrizieren reaktionäre Fahrstuhlmusik mit pseudointellektuellem Mief. Konzentriertes Laudanum fürs Trommelfell. Ein Um-Ta-Ta, das nirgends aneckt, keine Zielgruppe verschreckt und die Realität von Tod und Steuern mit Heulsusen-Melodramatik zuschmiert.

Oder ganz unpolemisch gesagt: Coldplay haben sich mit "X & Y" endgültig als kleinster gemeinsamer Nenner internationaler Popmusik-Marketingstrategien entpuppt. Gibt es eine vulgärere Beschimpfung?

Coldplays Plattenfirma EMI hatte übrigens einst die Sex Pistols unter Vertrag. Und die sprechen einem bis heute aus der Seele: "Fuck this and fuck that, fuck it all and fuck the fucking brat." (Zitat aus: "Bodies"/Never Mind The Bollocks).

Für uns beim EVOLVER ist demnächst wirklich Schluß. Wir haben genug und werden deshalb unser Online-Magazin noch heuer komplett umkrempeln und alles daransetzen, Ihnen in absehbarer Zeit einen neuen EVOLVER vorzusetzen, den es in vergleichbarer Form kein zweites Mal gibt. Die Rede ist von einem optischen und inhaltlichen Relaunch, den wir noch heuer vom Stapel lassen werden. Und das wird sicher kein kleinster gemeinsamer Nenner, sondern ein regelfreies Areal für Stecher und Schneider.

 

Bis dahin viel Spaß beim Lesen wünscht

Klaus Hübner

(EVOLVER-Herausgeber und -Chefspießer)

Klaus Hübner

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