Games_Drakensang: Am Fluß der Zeit

Spielen ist ein langer, ruhiger Fluß

2008 wurde mit "Drakensang" eines der erfolgreichsten deutschen Pen & Paper - Rollenspiele virtuell umgesetzt, und auch prompt zum "besten deutschen Spiel" gekürt. Kein Wunder, daß dtp Entertainment jetzt mit einer Fortsetzung aufwartet ...    28.04.2010

"Drakensang: Am Fluß der Zeit" knüpft nicht an die Story des Vorgängers an, sondern präsentiert sich als klassisches Prequel. Diese Vorgehensweise ist ein zweischneidiges Schwert: einerseits bekommt man als Spieler einen tieferen Einblick in die Geschichte, andererseits wird es dadurch unmöglich, den eigenen Charakter aus dem ersten Teil zu übernehmen. Das wird vor allem eingefleischte Rollenspieler verärgern; schließlich hat man viel Zeit und Liebe in die Entwicklung des Helden gesteckt. Damit der Trennungsschmerz aber nicht zu groß ausfällt, spielt auch der zweite Teil wieder im Mittelreich, genauer gesagt: in Kosch. Eingeweihte werden sich sofort heimisch fühlen, da man hier auf die alten, neuen Freunde trifft - darunter etwa den verstorbenen Ardo, der die Geschichte in "Drakensang" erst so richtig ins Rollen brachte. Zusammen mit dem neuen alter Ego durchlebt der Spieler nun zahlreiche Abenteuer des damaligen "Rat Pack" Ardo, Forgrimm und Cuano.

"Am Fluß der Zeit" serviert keine epische Story, in der man wieder einmal die Welt vor dem unsagbar Bösem retten oder die Götter selbst herausfordern muß. Der Plot ähnelt vielmehr einem klassischen Pen & Paper - Abenteuer, in dem Gefahren zwar hinter jeder Ecke lauern, deswegen aber nicht gleich mit der Apokalypse zu tun haben. Als Stützpunkt dient ein Schiff namens "Thalaria", mit dem die Heldentruppe auf dem großen Fluß hin und her schippert und gar manch bezaubernde, verruchte Gegenden aufsucht. Im Gegensatz zu "Dragon Age" ist Aventurien keine dreckige Fantasy-Welt, die kurz vor der Auslöschung steht, sondern ein Land der Legenden und Mythen. Genau das macht auch den Charme des Spieles aus: in diese Welt kann man als Spieler eintauchen und sich des pittoresken Ambientes erfreuen.

Man merkt sehr schnell, daß sich die Entwickler intensiv mit Setting und Regeln der Rollenspielvorlage beschäftigt haben: etwa daran, daß die Nichtspielercharaktere (NPCs) aventurische Zitate zum Besten geben, am Baustil der einzelnen Tempel, oder auch am Lied eines Barden, der die Taten eines legendären Helden besingt. Solch peinlich genaue Umsetzung der Vorlage hat aber auch ihre Schattenseiten - namentlich im Kampfsystem, das mitunter etwas frustrierend sein kann. Denn ein Regelwerk, das auf Würfelglück basiert, verträgt sich halt nicht unbedingt mit einer flüssigen Spielmechanik, da die Kämpfe so zur Geduldsprobe werden können. Lobend erwähnen muß man allerdings das großartige Dialogsystem: wesentlich differenzierter als beim Vorgänger, motiviert es zudem, in den einen oder anderen Skillpunkt bezüglich Fähigkeiten wie "Etikette" oder "Menschenkenntnis" zu investieren. Damit läßt sich der Verlauf etlicher Quests äußerst flexibel beeinflussen - wie im richtigen Rollenspielleben eben.

Durchwegs erfreulich präsentieren sich die Optionen bezüglich der Charaktererschaffung. Im Gegensatz zum ersten Teil wurde deren Generierung nämlich um einen Expertenmodus erweitert. Das richtet sich hauptsächlich an die Pen & Paper - Spieler, da man hier leicht eine Stunde an der Charaktererstellung basteln kann. Man hat die Wahl zwischen den altbekannten Klassen wie Dieb, Pirat oder Magier - oder man entscheidet sich für einen der beiden neu hinzugekommenen Archetypen; da wäre einerseits der zwergische Geode, eine Art Elementarmagier, oder der aus dem Hochland stammende Gjalkskerländer, ein besonders kampferprobter Barbar. Im Expertenmodus kann man dann die Skillpunkte neu verteilen und den Charakter mit Vor- und Nachteilen ausstatten. Zwar fehlt eine freie Erstellung wie man sie aus "Oblivion" oder "Morrowind" kennt, doch der neue Modus vermag als solcher einigermaßen darüber hinwegzutrösten

"Drakensang: Am Fluß der Zeit" ist ein Titel, der nicht nur charmant und atmosphärisch daherkommt, sondern auch versucht, die Stimmung eines gelungenen Pen & Paper - Abends in die virtuelle Welt zu transferieren. Das gelingt zwar nicht so ganz, da eine Rollenspielrunde "aus Fleisch und Blut" glücklicherweise nicht so leicht ersetzt werden kann. In Ermangelung menschlicher Mitspieler bietet das Game aber einen wunderbaren Zeitvertreib; und offeriert zudem manche Stunde Spielspaßes, weil die diversen Varianten zur Lösung eines Quests mehrere Durchgänge nahelegen - und dank der mitgelieferten Anleitung im PDF-Format eignet es sich sogar als Einstieg in die magische Welt der Pen & Paper - Spiele. Wohlan!

Dragan Andjelkovic