Kino_My Blueberry Nights

Feeling so blue

Wong Kar-Wai got the Blues. Sein erster Film in englischer Sprache ist eine sehnsuchtsvolle Elegie, traumhaft photographiert und mit einer Garde herausragender Schauspieler besetzt.    13.12.2007

"Ich habe fast ein Jahr gebraucht, um hierherzukommen. Am Ende war es gar nicht so schwer, die Straße zu überqueren. Es kommt nur darauf an, wer auf der anderen Seite auf einen wartet." (Drehbuchauszug)

 

Daß ein Blaubeerkuchen ein ganzes Leben verändern kann, zeigt Wong Kar-Wais "My Blueberry Nights". Natürlich ist hier ein Blaubeerkuchen nicht bloß ein Blaubeerkuchen. Nahezu alles lädt der Meister der Melancholie in seinem ersten in englischer Sprache gedrehten Film mit einer metaphorischen Bedeutung auf. Da werden Highways zu Selbstfindungs-Trips, Schlüssel zu emotionalen Türöffnern und andere Menschen zu Spiegeln der eigenen Persönlichkeit. Die Geschichte ist dabei schnell erzählt und handelt - typisch für den Regisseur - von großen Gefühlen, Liebe, Sehnsucht und dem Schmerz der Einsamkeit.

Alles beginnt in einem kleinen, pittoresken Café irgendwo in New York. Eine junge Frau namens Elizabeth (Norah Jones) scheint sich in ihrem Liebeskummer zu verlieren. Das bemerkt jedoch nur Jeremy (Jude Law), der Café-Besitzer. Nachdem bereits alle anderen Gäste gegangen sind, kommen die beiden ins Gespräch. Sie reden darüber, warum ausgerechnet immer der Blaubeerkuchen verschmäht wird, wieso Liebe in Haß umschlägt und wie dieser einen Menschen innerlich auffressen kann. Obwohl beide spüren, daß da etwas zwischen ihnen ist, was sich mit Worten nur schwer beschreiben läßt, entscheidet sich Elizabeth dazu, New York zu verlassen - ohne bestimmtes Ziel, aber mit dem festen Wunsch, sich über ihr Leben Klarheit zu verschaffen.

 

Wong Kar-Wai beschreibt die Essenz seines melancholischen Road-Movies als Geschichte über eine Frau, die statt der kürzesten Strecke erst einen Umweg nehmen muß, um den Mann zu treffen, den sie liebt. Die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit der Sängerin Norah Jones sorgte im Vorfeld für einigen Gesprächsstoff; immerhin erwiesen sich Musiker bislang nur äußerst selten als fähige Schauspieler. Doch bei Jones geht das Kalkül auf. Zwar dürfte es kaum für Ehrungen auf Festivals reichen, aber die Vorgabe der Rolle füllt sie nahezu perfekt aus. Elizabeth ist anfangs eine Gefangene, die den Ausbruch aus ihrem eigenen emotionalen Gefängnis probt. Um sich auf etwas Neues - also Jeremy - einlassen zu können, muß sie erst mit der Vergangenheit abschließen. Und das geht nicht, solange sie in New York bleibt.

Jones´ große Rehaugen, ihr verträumter Blick und zärtliches Lächeln: Wong weiß, wie er seine Hauptdarstellerin ins rechte Licht rücken muß, damit man als Zuschauer ihrer Ausstrahlung verfällt - eine im übrigen unabdingbare Vorraussetzung für das Gelingen des Films. Nur wenn man mit ihr fühlt, kann ihre Odyssee durch Amerika funktionieren. Ansonsten stellt sich recht bald die Frage, warum Wong das offensichtliche Ende des Films nicht einfach um eine Stunde vorzieht. Strukturell teilt sich "My Blueberry Nights" in drei Fragmente auf, die über den roten Faden Elizabeth zusammengehalten und von Wong zu einer Studie in verschmähter Liebe und Einsamkeit verwoben werden.

Nachdem Elizabeth New York verlassen hat, führt sie ihr Weg zunächst in die Südstaaten-Metropole Memphis. Dort nimmt sie zwei Jobs an, in einem Diner und in einer Bar, wo sie Arnie (David Strathairn) kennen lernt, einen bemitleidenswerten Trinker, der nicht damit klarkommt, daß seine Frau (Rachel Weisz) einen anderen Mann liebt. Arnies Fluch ist das Nichtloslassenkönnen. In einem Hollywoodfilm würde Elizabeth vermutlich in die Rolle des rettenden Engels schlüpfen, bei Wong Kar-Wai ist sie nur eine zurückhaltende Wegbegleiterin, die zwar Trost, aber letztlich keine Erlösung spenden kann. Die Episode lebt vor allem von Strathairns großartigem Spiel. Wie er Arnie zu keiner Zeit seine Würde nimmt, wie er ihn auch nahe dem Delirium noch ohne Rückgriff auf platte Trinkerklischees verkörpert (ein angedeutetes Zucken der Unterlippe sagt manchmal mehr als tausend Worte), das zeugt von schauspielerischer Klasse und immensem Einfühlungsvermögen.

Bevor sich der Kreis schließt und Elizabeth an den erwarteten Ausgangspunkt ihrer Reise zurückkehrt, macht der Film einen weiteren Abstecher, diesmal nach Nevada und in die Spielerstadt Las Vegas. Die Geschichte um die scheinbar abgebrühte Poker-Spielerin Leslie (Natalie Portman) und ihr problematisches Verhältnis zu ihrem Vater wartet zwar mit einer netten Pointe auf, kann ansonsten aber nicht an die emotionale Kraft der anderen zwei Episoden anknüpfen. Das mag ganz einfach damit zusammenhängen, daß Leslies Gegenüber - also der Vater - immer ein Phantom bleibt.

 

Auch wenn Wong Kar-Wai dieses Mal in den USA an Originalschauplätzen drehte, fühlt sich "My Blueberry Nights" nicht viel anders an als "In the Mood for Love" oder "Chungking Express". Dazu trägt nicht zuletzt Darius Khondjis elegante Kameraarbeit bei, die Wongs alten Kompagnon Christopher Doyle nahezu vergessen macht. Wong ist und bleibt ein Ästhet, jemand, der Gefühle und Stimmungen lieber in Bilder verpackt, statt sie zu Dialogzeilen zu verarbeiten. Der Eindruck, er habe lediglich einen sehnsuchtsvollen Traum, eine flüchtige Phantasie verfilmt, ist das Resultat einer harmonischen Montage aus Bild und Musik. Letztere gibt in einem Wong-Kar-Wai-Film immer den Rhythmus und das Tempo vor. Für seine erste US-Produktion wählte er größtenteils elegische Blues-, Jazz- und Soul-Stücke aus. Ry Cooder komponierte den Score; Norah Jones, Cat Power und Cassandra Wilson interpretieren Originalkompositionen und Klassiker wie Neil Youngs "Harvest Moon".

Natürlich ist "My Blueberry Nights" trotz seiner unbestreitbaren Qualitäten ein hochgradig stimmungsabhängiger Film. Seine tiefe, ehrliche Melancholie schmerzt. Das soll sie auch. Denn am Ende wartet auf uns und Elizabeth die sehnsüchtig erhoffte Belohnung: ein Blaubeerkuchen - serviert von dem Menschen, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen möchte.

Marcus Wessel

My Blueberry Nights

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

USA/Hongkong/China 2007

96 Min.

Regie: Wong Kar-Wai

Darsteller: Norah Jones, Jude Law, David Strathairn u. a.

 

Filmstart D: 24. 1. 2008

Filmstart Ö: 8. 2. 2008

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