Kino_Yella

Land der Toten

Seelenkiller Kapital: In Christian Petzolds feinsinnigem Filmmysterium sucht eine entrückte Nina Hoss inmitten einer erkalteten Gesellschaft verzweifelt nach Halt.    15.01.2008

Die junge Yella (Nina Hoss) zieht es weg aus dem ökonomisch brachliegenden ostdeutschen Wittenberge. Hannover bietet Möglichkeiten für einen beruflichen Neubeginn. Yella klammert sich an diese Chance und sehnt sich nach einem Leben fernab der alten privaten und wirtschaftlichen Krisengebirge. Die Fahrt zum Bahnhof gestaltet sich dann auch als Flucht aus einem emotionalen Trümmerfeld: Ihre zerstörte Ehe, die in einer unseligen Wechselbeziehung mit dem Kollaps der Firma des labilen Exgatten Ben (Hinnerk Schönemann) untergegangen ist, läßt die wortkarge Frau ebenso hinter sich wie ihren abgekämpften Vater (Christian Redl), der im trostlosen Niemandsland von Wittenberge zurückbleibt.

Ben, der instabile Träumer mit ausgeprägter Stalker-Tendenz, zwingt sich Yella als Chauffeur zur Bahnstation auf und versucht bei dieser Gelegenheit, die Entfliehende von ihrem Unterfangen abzubringen. Mit seiner gemeingefährlichen Art kann er Yellas Abwehrhaltung jedoch nicht durchbrechen. Als die Situation schließlich eskaliert, steuert der erneut Zurückgewiesene den Wagen von einer Brücke direkt in die Elbe. Am Flußufer erwacht, verläßt Yella erschöpft und durchnäßt den Unfallort, verliert das eigentliche Ziel der abrupt beendeten Fahrt aber nicht aus den Augen. In Hannover folgt allerdings sogleich die Ernüchterung: Den anvisierten Job gibt es nicht, und Yellas Zukunftspläne scheinen sich in Rauch aufzulösen ...

 

Eine Frau im Umbruch, auf der Suche nach finanzieller Stabilität: Yella will raus aus der Provinz, weg aus der Tristesse und wirtschaftlichen Stagnation und weg vom erfolglosen und aggressiven Ex. Eine Festanstellung würde Unabhängigkeit schaffen und ihr die Möglichkeit geben, sich der unliebsamen Gespenster aus Wittenberge zu entledigen und den zurückgelassenen Vater zu stützen. Bei ihren Bemühungen, ein kleines Stückchen vom kapitalistischen Kuchen abzubekommen, verbucht Yella Teilerfolge. Es sind kleine Triumphe an der Seite des schwer einschätzbaren Geschäftsmannes Philipp (Devid Striesow), als dessen Assistentin sie unverhofft agieren darf. Wie Yella bald erkennt, spielt Philipp nicht nur seine Geschäftspartner brutal an die Wand, sondern zieht zudem auch die eigenen Auftraggeber über den Tisch.

Doch ein Gefühl der Unwirklichkeit überlagert ihre neue Situation: Yellas durch Fremdeinwirkung in Mitleidenschaft gezogenes Hotelzimmer, ihre merkwürdig abgekoppelte Wahrnehmung der Umwelt und natürlich Ben, der sie weiterhin zu beobachten und verfolgen scheint. Setzen ihr posttraumatische Nachwirkungen des Autounfalls zu? Wird die nervlich lädierte Yella durch einen paranoiden Schub aus der Bahn geworfen? Oder sind gar übernatürliche Kräfte am Werk?

 

"Yella", das ist kühles, stilles und geheimnisvolles Kino: Kalte Architektur dominiert, einsilbige, schemenhaft anmutende Mitmenschen, die selbst fast wie leidlich lebendige Bausteine in der sterilen Kulisse aufgehen, bestimmen das Erscheinungsbild des Films. Mittendrin agiert eine glaubhaft verstört aufspielende Nina Hoss als fremdkörperartige, desorientierte Yella, die doch nur versucht, ihre Lage zu begreifen und einen Platz zu finden. Fast kammerspielartig fallen die Szenen zwischen Hoss und Striesow aus. Zugleich verpassen weitläufige, sterile Außenareale, monochrome Glaspaläste und unpersönliche Hotelkorridore der mit bedächtigem Tempo fortschreitenden Handlung eine gespenstische Note.

Es ist ein subtiles Rätsel, das uns Christian Petzold ("Die innere Sicherheit") mit "Yella" aufgibt. Das feine Mystery-Drama mit gesellschaftskritischem Einschlag wird aber die Aufmerksamkeit so manch geduldsamen Beobachters belohnen.

Dietmar Wohlfart

Yella

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

D 2007

89 Min.

Regie: Christian Petzold

Darsteller: Nina Hoss, Devid Striesow, Hinnerk Schönemann u. a.

Links:

Kommentare_

Video
The Secret Man

Überzeugungstäter

Vom mächtigen FBI-Mann zum sagenumwobenen Whistleblower: Liam Neeson begibt sich als historisch bedeutsames Informationsleck "Deep Throat" in einen unlösbaren Konflikt. Regisseur Peter Landesman porträtiert einen kühlen Loyalisten, der bewußt zwischen die Fronten gerät.  

Video
Borg/McEnroe - Duell zweier Gladiatoren

Schlag auf Schlag

"Borg/McEnroe" durchleuchtet einen der introvertiertesten Stars der modernen Sportgeschichte. Um einen Björn Borg zu entschlüsseln, muß das Feld eines chronisch unterrepräsentierten Sport-Subgenres bespielt werden - eine Herkulesaufgabe mit Sverrir Gudnason und Shia LaBeouf in den Hauptrollen.  

Stories
50 Jahre Columbo

Der Unverwüstliche

Vor 50 Jahren schrieb ein derangierter kleiner Mann mit Glasauge und Trenchcoat TV-Geschichte: Ab 1968 zermürbte der von Peter Falk verkörperte listige Frank Columbo 35 Jahre lang ganze Mörderscharen mit provokanter Hartnäckigkeit. Dietmar Wohlfart erinnert an die beliebte Krimiserie.  

Video
Aftermath

Schicksalsgefährten ohne Zukunft

Ein Flugzeugunglück gebiert zwei tragische Figuren und verbindet sie auf unheilvolle Weise. In Elliot Lesters "Aftermath" - einer schlicht formulierten, überraschungsarmen Meditation über Trauer und Wut - übt sich Arnold Schwarzenegger in vehementer Zurückhaltung.  

Video
I Am A Hero

Held des Tages

Ein gescheiterter Comic-Zeichner behauptet sich unbeholfen, aber tapfer in den Wirren einer Zombie-Epidemie. Shinsuke Satos Adaption des gleichnamigen Manga-Erfolgs "I Am A Hero" bietet Kurzweil und satte Splatter-Action auf japanischem Boden.  

Video
The Eyes Of My Mother

Augenauswischerei

Nicolas Pesces karges Horror-Kleinod "The Eyes Of My Mother" widmet sich voll und ganz den verstörenden Anwandlungen seiner traumatisierten Hauptfigur, hat dabei aber außer stilvoller Schwarzweißoptik wenig zu bieten.