Akzente_Old Time Relijun live

A Sensajun

Im Wiener Chelsea hat der angekündigte Freakout auch tatsächlich stattgefunden. Stephan Skrobar war dabei - für den EVOLVER und für sich selbst. Yeah.    06.12.2005

Es gibt solche und solche. Am 30. November waren solche in Wien im Chelsea zu Gast. Old Time Relijun aus Washington State checkten zum ersten Mal in Österreich ein und wurden im Vorfeld ihres Auftritts von einer für Ankündigungen zuständigen Wiener Publikation als "stets für einen Freakout gut" bezeichnet. Das klingt vielversprechend. Also anschauen beziehungsweise anhören. Wie sich herausstellen soll, war das Anschauen dann aber genauso wichtig.

Doch zuerst im Internet in die Musik reinhören. Was steht da?

"... blend of primitive swamp stomp´n swagger meets gutsy fucked up free jazz and throat singing punk gospel ..." Wer schreibt denn sowas? K Records, das geniale Label, bei dem Old Time Relijun ihre Werke herausbringen. Dann muß es also stimmen. Jetzt noch schnell was angehört, vielleicht ein Track aus einem ihrer frühen Alben "Witchcraft Rebellion".

Hmm ... das tut weh! Und zwar genau dort im Kopf, wo das Wattestäbchen nicht mehr hinkommt. Aber sei´s drum - live ist das bekanntlich immer eine andere Sache.

War es dann auch. Leider viel zu wenig Leute, man hätte leicht das gesamte Publikum in einem holländischen Reisebus untergebracht. Dafür hat der Sänger Arrington de Dionyso (so heißt er) das gut gelaunte Auditorium von Minute eins an völlig im Griff. Musikalisch war man geneigt, Parallelen zu den frühen Butthole Surfers herzustellen. Die Stimme von Mr. de Dionyso ist entsprechend geschult und wird als Allzweckmittel eingesetzt. Zum Beispiel, um das Publikum mit wohlformulierten Anekdoten zu unterhalten. Oder guttural derart daherzusingen, daß einem dünkt, der Leibhaftige selbst stünde hier unter den Gürtelbögen. Instrumententechnisch waren alle drei Bandmitglieder vom Feinsten, und der Kontrabaß wurde vom Bassisten Aaron Hartman hergeknüppelt, daß sich der Himmel im Chelsea zeitweise verdunkelte.

 

So, was für Musik war das dann jetzt wirklich? Also, dreimal konnte man von wirklich guten, straight-forward Punkrock-Hadern sprechen. Die Drummerin Jamie Peterson beutelte ihre Sticks, der Sänger das Haar. Ja und dann war da auf jeden Fall so eine Art Bluegrass auf Speed, aber ohne Banjo, dabei. Und natürlich das außergewöhnliche Solo am Saxophon, das Sax-Puristen an Teufelsaustreiberei denken hätte lassen. Und ein abschließendes Maultrommel-Solo. Jawohl, Maultrommel.

Der großartige Spuk war leider viel zu schnell auch schon wieder vorbei, und unbedarften Menschen hätte dieser Auftritt demonstriert, wohin übermäßiger Genuß harter Narkotika oder das mehrmalige Kollidieren mit immobilen Objekten führen könnte. Doch aus den Derwischen wurden dann wieder wirklich nette Priestersöhne und –töchter, die sich im eloquenten Zwiegespräch mit dem mundoffenen Chelsea-Gästen übten und putzige selbstgemachte T-Shirts unters Volk brachten.

Fazit: Das war ein Abend ... bist du deppert.

Stephan Skrobar

Old Time Relijun live im Chelsea

30. 11. 2005


Aktuelles Album: 2012 (K Records)

 

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